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Herzinfarkt mit 36: „Ich dachte, es ist ein Asthmaanfall“

Frauen haben andere Symptome und rufen oft spät den Notarzt – so wie Sophie aus Ostsachsen. Ein neues Gesetz soll Risiken schneller sichtbar machen. Doch Kardiologen halten das für nicht ausreichend.

Von Stephanie Wesely
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Verschlossene Herzkranzgefäße – selbst als es Sophie Trentsch auf dem Bildschirm sieht, kann sie kaum fassen, was ihr Professor Stefan G. Spitzer, Leiter der Praxisklinik Herz und Gefäße in Dresden, erklärt.
Verschlossene Herzkranzgefäße – selbst als es Sophie Trentsch auf dem Bildschirm sieht, kann sie kaum fassen, was ihr Professor Stefan G. Spitzer, Leiter der Praxisklinik Herz und Gefäße in Dresden, erklärt. © SZ/Veit Hengst

Den Abend des 17. März dieses Jahres wird Sophie Trentsch wohl nie vergessen. „Ich hatte starke Rückenschmerzen. Mein Schulterbereich war total verkrampft. Hinzu kam Sodbrennen, wie ich es nur von meinen Schwangerschaften kannte“, sagt die 36-Jährige aus Lichtenberg bei Pulsnitz. Sie dachte, sie hätte sich beim Hochheben ihres zweijährigen Kindes gezerrt. Auch Stress war ein Gedanke, mit dem sie sich ihr Sodbrennen erklärte.

Deshalb wollte sie an diesem Sonntagabend früh zu Bett gehen, eine Schmerztablette nehmen, um am Morgen wieder fit für ihren Job zu sein. Sie arbeitet im Büro eines Tiefkühlkosthändlers. „Doch dann bekam ich plötzlich Luftnot. Da ich Asthma habe, vermutete ich eher einen Asthmaanfall. Ich nahm mein Spray und ein entkrampfendes Pulver, das mir mein HNO-Arzt verordnet hat. Doch diesmal half es nicht.“

Die Nacht sei eine Qual gewesen. „Am Morgen war es mir so übel, dass ich nicht auf Arbeit gehen konnte. Mein Mann musste auch die Kinder in die Kita und in die Schule bringen“, so Sophie Trentsch. Sie habe sich den Finger in den Hals gesteckt und gehofft, dass es ihr besserginge, wenn der Magen leer sei. „Doch es kam nichts, mir ging es immer schlechter. Als sich mein Oberkörper komplett verkrampfte und ich fast gar keine Luft mehr bekam, rief mein Mann den Notarzt.“

Notarzt erst nach fast zwölf Stunden gerufen

„Bei Frauen treten oft untypische Herzinfarktsymptome auf“, sagt Professor Stefan G. Spitzer, Ärztlicher Leiter der Praxisklinik für Herz und Gefäße Dresden. „Zum Beispiel Kurzatmigkeit, Rückenschmerz, Übelkeit und Bauchschmerzen – etwa so, wie es auch Frau Trentsch erlebt hat“, sagt der Kardiologe. Der typische Brustschmerz könne sich bei Frauen zudem weniger heftig bemerkbar machen. Deshalb riefen sie meist erst spät den Notarzt.

Eine Studie hat das für Deutschland nachgewiesen. Danach dauert es bei Männern im Schnitt 80 Minuten vom Schmerzbeginn bis zum Eintreffen des Notarztes, bei Frauen 110 Minuten. Bei Sophie Trentsch vergingen fast zwölf Stunden.

Die Notärztin, die zu ihr kam, dachte bei so einer jungen Patientin wohl auch nicht sofort an einen Herzinfarkt. Sie kontrollierte den Blutzucker und schrieb ein EKG, konnte aber nichts Ungewöhnliches feststellen. „Während sie ihren Bericht schrieb, bekam ich einen neuerlichen Anfall. Die Ärztin nahm mich mit ins Krankenhaus nach Radeberg“, so Sophie Trentsch. „Wer weiß, was passiert wäre, wenn der Anfall später aufgetreten wäre, als die Ärztin schon weg war.“

"Ich hatte panische Angst"

In der Kardiologie folgten detailliertere Untersuchungen – EKG, Herzecho, Blutuntersuchung. „Die Kardiologin schüttelte immer wieder den Kopf“, erzählt die junge Mutter. Sie habe gesagt: „Das kann nicht sein. In Ihrem Alter einen Herzinfarkt.“ Das sei ein Schlag gewesen. „Dann flossen bei mir die Tränen.“ Sie dachte, es sei vorbei. Müssten ihre Kinder ohne sie aufwachsen? „Ich hatte panische Angst“, sagt sie.

Ihre Gedanken sind nicht ganz unbegründet, denn Sachsen gehört zu den Bundesländern mit der höchsten Herzinfarkt-Sterblichkeit. „Das liegt aber nicht an einer schlechteren Behandlungsqualität“, sagt Stefan G. Spitzer. Es könnte auch mit an den Lebensumständen liegen, unter denen die heute Über-60-Jährigen in den neuen Bundesländern aufgewachsen sind. „Die Menschen in Sachsen haben im Vergleich mit den westlichen Bundesländern häufiger Diabetes, Fettstoffwechselstörungen und Bluthochdruck und somit insgesamt ein höheres Risikoprofil.“ Oft würden diese Gesundheitsprobleme auch nicht ernst genug genommen. Sie könnten zudem immer früher auftreten.

„Wir haben heute immer wieder jüngere Infarktpatienten, die unter 50 Jahre alt sind. Doch so jung wie Sophie Trentsch sind die wenigsten“, sagt Professor Spitzer. Da müssten schon einige Risikofaktoren zusammenkommen, um einen Verschluss der Herzkranzgefäße auszulösen.

Gefährliche Kombi: Hohe Blutfettwerte und Rauchen

Bei der Lichtenbergerin war das der Fall. Ihre Blutfettwerte waren erhöht – erblich bedingt. Sie ist auch Raucherin, wenngleich es ihren Angaben zufolge höchstens zehn Zigaretten am Tag seien. Hohe Blutfettwerte und Rauchen sind laut Professor Spitzer eine gefährliche Kombination für eine Gefäßverengung. Trentschs Risiko erhöhte sich zudem durch die Pilleneinnahme. „Bestimmte Hormonpräparate können Blutgerinnsel begünstigen“, so Spitzer.

Doch auch Stress, Sorgen und depressive Verstimmungen hätten negative Auswirkungen auf das Herz. „Die Stresshormone Adrenalin und Cortisol erhöhen den Blutdruck. Zudem werden verstärkt Substanzen produziert, die Entzündungen fördern. Sie können somit ebenfalls das Herz und die Blutgefäße langfristig schädigen“, erklärt der Kardiologe.

Bei Sophie Trentsch war es der frühe Tod ihres Vaters in der Coronapandemie, den sie einfach nicht verarbeiten konnte. Zu dieser Zeit durfte die Familie nicht einmal bei ihm sein, als es ihm im Krankenhaus sehr schlecht ging. Er sei allein gestorben. „Darüber bin ich einfach nicht hinweggekommen“, sagt sie. Noch während sie davon spricht, hat sie Tränen in den Augen. Kardiologen nennen dieses Phänomen „Broken-Heart-Syndrom“ – eine stressbedingte Funktionsstörung des Herzens, die meist durch ein belastendes emotionales Erlebnis ausgelöst wird. „Die Überlagerung der einzelnen Risikofaktoren hat wohl zum Infarkt geführt“, so Professor Spitzer.

Mehr Bewegung und gesunde Ernährung im Alltag

Um solche Risikopatienten früher herauszufinden und zu behandeln, plant die Bundesregierung ein „Gesundes-Herz-Gesetz“. Laut Referentenentwurf sollen bereits Kinder im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung J1 auf hohe Blutfettwerte untersucht und ihr Herz-Kreislauf-Risiko ermittelt werden. Für Erwachsene sind Früherkennungsuntersuchungen im Alter von 25, 35 und 50 Jahren angedacht. Hohe Blutfettwerte sollten möglichst zeitnah medikamentös behandelt werden. Doch der Referentenentwurf wird von vielen Seiten kritisiert.

Auch Professor Spitzer teilt die Bedenken. Ihm zufolge sollte nicht allein die medikamentöse Behandlung im Mittelpunkt stehen, sondern zusätzlich Anreize für mehr Bewegung und gesunde Ernährung im Alltag gesetzt werden. „Zudem haben viele Ärzte bereits die Erfahrung gemacht, dass Screeningangebote hauptsächlich von gesundheitsbewussten Menschen genutzt werden. Die Risikopatienten erreicht man damit oftmals nicht“, sagt er.

Sophie Trentsch bleibt unabhängig von einem neuen Gesetz weiter in kardiologischer Behandlung. In der Dresdner Praxisklinik für Herz und Gefäße wurde bei ihr mit einem Herzkatheter das Herzkranzgefäß untersucht und medikamentös behandelt. „Ich bekomme Blutdrucksenker, Cholesterinsenker und Blutverdünner, um das Herz zu entlasten“, sagt sie. Auch eine Psychotherapie hat sie begonnen, um das Trauma zu überwinden.

Das Rauchen reduziert, aber noch nicht ganz aufgegeben

Drei Monate war die junge Mutter krankgeschrieben. „Seit Juni bin ich in der Wiedereingliederung. Jetzt arbeite ich sechs Stunden am Tag“, so Sophie Trentsch. Nach ihrem Urlaub müsste sie dann wieder voll arbeiten, ist sich darüber aber noch nicht sicher. „Vollbeschäftigung und drei Kinder sind zu viel für mich, das hat mir der Herzinfarkt gezeigt. Geld ist nicht alles. Denn ich möchte mein Leben gerne umstellen, mehr Zeit für Sport und gesunde Ernährung haben, mir auch mal Entspannung gönnen.“

Das Rauchen hat sie reduziert. „Ganz davon los bin ich noch nicht“, gibt sie zu. „Aber ich bin auf einem guten Weg, auch psychisch. Deshalb hoffe ich, dass das mein letzter Herzinfarkt war.“

Notfall-Tipps

  • Wenn Anzeichen eines Herzinfarktes bemerkt werden, sollte unverzüglich der Notruf 112 gewählt werden.
  • Die Rettungsleitstelle gibt Anweisungen, wie der Patient bis zum Eintreffen des Notarztes gelagert werden soll.
  • Angehörige sollten beruhigend auf den Patienten einwirken, ihm die Atmung erleichtern, beengende Kleidung lockern und das Fenster öffnen.
  • Wird der Patient bewusstlos und es tritt Herzstillstand ein, muss bis zum Eintreffen des Notarztes eine Herzdruckmassage erfolgen.