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Brustkrebs mit 37 – das betrifft nicht nur Claudia Dietrich aus Dresden

In Sachsen erkranken jährlich über 550 Frauen unter 50 an Brustkrebs. So wie Claudia Dietrich aus Dresden. Der Krebs griff zuerst ihren Körper an - und dann auch ihren Geist. Mögliche Änderungen bei der Vorsorge machen Betroffenen nun Hoffnung.

Von Stephanie Wesely
 10 Min.
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Ihr Arbeitsort – das Diakonissenkrankenhaus Dresden – ist ein besonderer Ort, sagt Claudia Dietrich.
Ihr Arbeitsort – das Diakonissenkrankenhaus Dresden – ist ein besonderer Ort, sagt Claudia Dietrich. © Foto: SZ/Veit Hengst

Ihr dreijähriger Sohn sollte noch ein Geschwisterchen bekommen. Deshalb ließ sich Claudia Dietrich aus Dresden vorsorglich bei ihrer Frauenärztin „durchchecken“, wie sie sagt. „Mit 37 ist man ja nicht mehr so jung, um Mutter zu werden.“ Das war im Dezember 2018 – einen Zeitpunkt, den sie als Wendepunkt ihres Lebens bezeichnet.

Mit guten Gedanken ging sie zu dieser Untersuchung. Doch danach war ein zweites Kind kein Thema mehr. Es ging für sie nur noch ums Überleben. Denn ihre Ärztin ertastete einen etwa vier Zentimeter großen Knoten in der Brust, den Claudia Dietrich vorher nicht bemerkt hatte. „Da fällt man ins Bodenlose“, sagt sie. Ihr seien die schlimmsten Gedanken durch den Kopf gegangen. „Wie lange habe ich noch – ein Jahr? Werde ich die Schuleinführung meines Sohnes überhaupt noch erleben?“ Als gelernte Krankenschwester und aufgrund ihrer Spezialisierung in der Palliativ- und Hospizpflege kennt sie solche Schicksale aus ihrer Arbeit in der Klinik.

Erkrankungszahlen steigen weltweit

Die Dresdnerin ist kein Ausnahmefall. So wie sie erkrankten in Sachsen 2018 rund 490 Frauen unter 50 Jahren an Brustkrebs. Im Jahr 2021 waren es bereits 555, wie die Sächsische Krebsgesellschaft informiert. Auch weltweit steigen die Zahlen der jungen Brustkrebspatientinnen. Lag die Brustkrebshäufigkeit von US-amerikanischen Frauen zwischen 20 und 49 Jahren im Jahr 2000 noch bei etwa 64 Fällen pro 100.000 Frauen, stieg sie bis 2019 um mehr als 15 Prozent auf 74 Fälle pro 100.000 an.

Die USA hat deshalb das Eintrittsalter für eine vorsorgliche Röntgenuntersuchung der Brust (Mammografie-Screening) wieder auf 40 Jahre abgesenkt. Das gab es schon einmal, wie das Ärzteblatt informiert, bis 2009. Danach sei die Altersgrenze so wie in anderen westlichen Industriestaaten auf 50 Jahre angehoben worden. Nun erfordern die gestiegenen Erkrankungszahlen ein Umdenken. Auch Deutschland plant nun, die Altersgrenze fürs Mammografie-Screening auf 45 Jahre zu senken.

Da Claudia Dietrich mit 37 an Brustkrebs erkrankte, hätte ihr diese Neuerung nicht geholfen. Nach der Diagnose brauchte sie erst einmal Bedenkzeit. „Das war einfach zu viel für mich. Alle Lebenspläne wurden damit infrage gestellt.“ Eigentlich sollte sie sofort mit der Behandlung beginnen. „Doch das konnte ich nicht. Ich musste das erst einmal verarbeiten“, sagt sie. „Als ich den letzten Tag auf Arbeit war, habe ich meine Schuhe nicht mitgenommen, sondern in den Spind gestellt.“ „Ihr seht mich wieder“, habe sie gesagt. „Ich werde euch noch brauchen.“

Angelina Jolie machte den Anfang

In der Diagnostik stellte sich heraus, dass die Dresdnerin an einer erblich bedingten Krebsform leidet. Ein Bluttest zeigte eine Mutation des Brustkrebsgens BRCA2. Viele Frauen, die so jung wie sie an Brustkrebs erkranken, haben diese genetische Veränderung. Sie sind Hochrisikopatienten.

Im Mittel erkrankt eine Frau mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa zehn Prozent irgendwann in ihrem Leben an Brustkrebs. Von zwei Genen ist bekannt, dass Mutationen dieses Risiko drastisch auf bis zu 80 Prozent erhöhen. Die Gene heißen BRCA1 und BRCA2. Auch die Wahrscheinlichkeit für Eierstock- und Bauchspeicheldrüsenkrebs ist bei mutierten BRCA-Versionen im Erbgut erhöht. „Um dies nicht zu verkennen, ist eine Erhebung der Familiengeschichte wichtig“, sagt Professorin Pauline Wimberger, Direktorin der Frauenklinik am Uniklinikum Dresden. Dresden ist eins von 23 Zentren für Familiären Brust- und Eierstockkrebs in Deutschland. „Gerade bei gehäuftem Auftreten dieser Krebsarten in der Familie kann eine genetische Beratung angeboten werden“, so die Professorin.

Besonderen Zulauf erlebten die Zentren, seitdem Schauspielerin Angelina Jolie im Jahr 2013 bekannt gab, dass sie sich zum Schutz vor Brustkrebs beide Brüste sowie 2015 auch Eierstöcke und Eileiter hat entfernen lassen. Angelina Jolies Mutter war mit 56 Jahren an Eierstockkrebs gestorben. Auch andere weibliche Familienmitglieder waren erkrankt.

Sohn war der Rettungsanker

Nicht so bei Claudia Dietrich. Ihr war nur bekannt, dass ihre Großmutter „etwas an der Brust“ gehabt haben soll. Ob es Krebs war, weiß sie nicht. Von einer Häufung konnte in ihrer Familie also keine Rede sein. Trotzdem erkrankte sie an der erblich bedingten Form. Für die Behandlung mache das aber keinen Unterschied, so Professorin Wimberger. „Es geht nach der Tumorbiologie“, sagt sie. Also ob der Tumor zum Beispiel hormonabhängig wächst oder bestimmte Wachstumsfaktoren vorhanden sind.

„Die Therapie hat mich sehr belastet, vor allem die Chemotherapie. Sie sollte den Tumor verkleinern, damit er besser operiert werden kann“, sagt Claudia Dietrich. Das habe auch geklappt, doch von den vier angesetzten Chemo-Zyklen schaffte sie nur drei. Eine schwere Lungenentzündung machte die Fortsetzung der Therapie unmöglich. „Ganz schlimm war für mich der Haarverlust“, sagt sie. Sie hatte sich zwar schon vor der Chemo die Haare ganz kurz schneiden lassen. Doch als auch diese ausgingen, habe ihr das psychisch sehr zugesetzt. „Eine Perücke wollte ich aber auf gar keinen Fall. Da habe ich mich in der Öffentlichkeit lieber ohne Haare gezeigt oder Tücher und Mützen aufgesetzt.“

Nach der Chemo folgte die Operation. „Ich habe entschieden, mir beide Brüste operieren zu lassen.“ Kosmetisch sei davon heute nichts mehr zu sehen. Doch die Sicherheit war einfach größer, da jetzt kein Brustgewebe mehr da ist, das vom Krebs befallen werden kann. Vor zwei Jahren ging sie dann auch den nächsten Schritt und ließ sich Eierstöcke und Eileiter entfernen. „Mein Mann und ich haben viel darüber geredet, ob wir nach der Krebstherapie noch ein Kind wollen. Ich hätte dafür Eizellen einfrieren lassen können. Wir haben uns aber schweren Herzens dagegen entschieden“, sagt sie.

Während der Krankheit sei es gut gewesen, dass sie ihren Sohn hatte. „Er war mein Kraftquell, mein Ansporn, um immer wieder weiterzumachen, auch wenn es mir sehr schlecht ging“, sagt sie. Zur Reha an die Ostsee fuhr sie dann aber ohne Kind. „Da konnte ich mich ganz auf mich konzentrieren, meine Krankheit verstehen lernen und langsam wieder etwas Fitness aufbauen.“ Wie viele Krebspatienten litt auch Claudia Dietrich an chronischer Erschöpfung. 300 Meter Weg zu ihrem Supermarkt zu Hause schaffte sie nur mit Pausen, musste sich auch sonst viel ausruhen.

Die Haare wachsen wieder. Claudia Dietrich und ihr Sohn nehmen es mit Humor, dass sie fast die gleiche Frisur haben.
Die Haare wachsen wieder. Claudia Dietrich und ihr Sohn nehmen es mit Humor, dass sie fast die gleiche Frisur haben. © Claudia Dietrich

Krankheit hat Partnerschaft belastet

Die Krankheit und die Behandlungen nagten auch an ihrer Psyche. Die unterschwellige Angst, dass der Krebs zurückkommt, sei immer da gewesen, auch wenn die Werte bei den Kontrolluntersuchungen gut waren. Durch die Antihormontherapie und die Entfernung ihrer Eierstöcke und Eileiter kam sie zudem direkt in die Wechseljahre. „Ich schwitzte viel und war mental oft am Boden“, sagt die Dresdnerin. Pflanzliche Mittel und Bewegung hätten das Ganze aber etwas gelindert.

„Das alles hat auch uns als Paar sehr belastet“, sagt sie. „Meine Krankheit stand immer im Mittelpunkt. Mein Mann hat sich viel um Kind und Haushalt gekümmert. Doch er hatte auch Angst um mich, wollte mich damit aber nicht zusätzlich belasten.“ Er habe viel in sich hineingefressen, wie man so sagt. „Ich war in dieser Zeit meist die Nehmende und muss nun lernen, auch wieder zu geben“, sagt sie rückblickend. Das sei auch der Grund gewesen, warum sie sich trennten. Jeder brauchte Zeit für sich, die Krankheit habe einfach zu viel zerstört, wie Claudia Dietrich sagt.

Die Zwickauer Psychoonkologin Simone Groß-Manes erfährt fast täglich von solchen Problemen, die die Krebserkrankung mit sich bringt. „Vor allem, wenn noch sehr junge Frauen mit der Diagnose Krebs zurechtkommen müssen.“ Brustkrebs sei bei Frauen zwischen 30 und 45 Jahren, die in ihre Beratung kommen, die Hauptdiagnose. „Da steht plötzlich alles infrage – die berufliche Zukunft, die Familienplanung, die Partnerschaft.“ Patienten, die in zertifizierten Krebszentren behandelt werden, haben dort die Möglichkeit, sich psychologisch beraten zu lassen“, so Groß-Manes.

Vielen helfe es bereits, mit einer außenstehenden Person über ihre Sorgen zu sprechen und zu erfahren, dass sie damit nicht allein sind. „Wir versuchen, die Patienten wieder auf die Handlungsebene zurückzubringen, ihnen das Gefühl zu geben, selbst etwas tun zu können“, sagt die Psychologin. Dabei gehe es um die nächsten Behandlungsschritte, um das Setzen von Zwischenzielen, damit das alles nicht zu viel werde.

„Wir erarbeiten zusammen, welche Dinge jetzt im Moment wichtig sind, und welche noch etwas warten können“, sagt sie. Für viele Frauen sei es auch ein großes Problem, nach der Krankheit nicht mehr hundertprozentig leistungsfähig zu sein. Sie seien es immer gewohnt gewesen, die Starken und Belastbaren zu sein. „Doch selbst mit 70 Prozent Leistungsfähigkeit lässt sich noch viel bewegen. Man muss jedoch differenzieren, wofür man seine Kraft ausgibt und wann Pausen notwendig sind“; sagt Simone Groß-Manes.

Seit ihrer Krankheit malt die 43-jährige Dresdnerin wieder. Auch Ausstellungen in ihrer Klinik hat sie mit initiiert.
Seit ihrer Krankheit malt die 43-jährige Dresdnerin wieder. Auch Ausstellungen in ihrer Klinik hat sie mit initiiert. © Claudia Dietrich

Malerei als Hobby wiederentdeckt

Seit 2020 – nach etwa einem Jahr Krankheit – arbeitet Claudia Dietrich wieder im Dresdner Diakonissen-Krankenhaus. Glücklicherweise wechselte sie bereits vor ihrer schlimmen Diagnose in den Bereich Entlassmanagement. Die Pflegetätigkeit im Dreischichtsystem hätte sie wahrscheinlich nicht geschafft, ist sie sicher. Voll leistungsfähig ist sie auch heute – fünf Jahre nach ihrer Diagnose – nicht. Sie arbeitet 30 Wochenstunden, muss sich zu Hause aber immer wieder ausruhen.

Sie nimmt an einem Nachsorgeprogramm teil, das regelmäßige MRT-, Blut- und Mammografie-Untersuchungen beinhaltet. Nach fünf Jahren, also demnächst, ist es beendet. Die Untersuchungsintervalle werden dann immer größer. Für insgesamt zehn Jahre bekommt sie noch die Antihormontherapie. „Diese Medikamente haben auch Nebenwirkungen, nicht nur die Wechseljahresbeschwerden, auch eine Gewichtszunahme. Mit über 40 nimmt man ja nicht mehr so schnell ab“, sagt sie. Doch was sie früher aus der Fassung gebracht hätte, nimmt sie heute hin. Denn die Medikamente haben ja schließlich dazu beigetragen, ihren Krebs zu besiegen, sagt sie sich immer wieder.

„Ich bin auch wieder mit meinem Mann zusammen. Wir haben uns alles erzählt, was uns in der Zeit meiner Krankheit belastet hat, und fühlen uns nun viel enger verbunden als früher“, erzählt sie. Er habe ihr auch Mut gemacht, ihr Hobby – die abstrakte Malerei – wieder aufzunehmen. Sie brauche etwas, was ihrer Psyche guttue, meinte er. „Und es macht mir große Freude“, sagt sie. Im Krankenhaus hätten sie auch Ausstellungen organisiert, an denen sich Patienten und Angestellte beteiligen konnten.

Claudia Dietrichs Sohn ist jetzt acht Jahre alt. „Damals dachte ich, ich erlebe seine Schuleinführung nicht. Es ist ein großes Glück, dass ich noch immer für ihn da sein kann.“ Sie sei heute viel dankbarer, schätze Dinge, die für sie früher selbstverständlich waren. „Auch gelassener bin ich, nicht mehr so überkorrekt, ehrgeizig und ungeduldig.“ Es habe sich alles zum Guten gewendet.

Deshalb rät sie Frauen, die wie sie ein solches Schicksal verkraften müssen, an sich zu glauben, sich Hilfe zu suchen und nie die Hoffnung aufzugeben. Eine solche Krankheit könne auch eine Chance sein.

Risikofamilien für genetisch bedingten Brustkrebs

Eine Beratung in einem Zentrum für familiären Brust- und Eierstockkrebs wird empfohlen, wenn eines der folgenden Kriterien erfüllt wird:

  • Mindestens zwei Frauen, davon eine unter 51 Jahren, sind an Brustkrebs erkrankt. Die Altersgrenze entfällt ab drei Erkrankten pro Familie.
  • Mindestens eine der Frauen hatte beidseitigen Brustkrebs. Die erste Erkrankung trat vor dem 51. Lebensjahr auf.
  • Mindestens eine Frau erkrankte unter 36 an Brustkrebs.
  • Mindestens eine Frau der Familie hatte Brust-, eine andere Eierstockkrebs. Oder eine Frau hatte Brust- und Eierstockkrebs.
  • Mindestens zwei Frauen der Familie sind an Eierstockkrebs erkrankt.
  • Ein männlicher Familienangehöriger ist an Brustkrebs erkrankt.
  • Mindestens eine Frau ist vor dem 80. Lebensjahr an Eierstockkrebs erkrankt.
  • Eine Frau mit triple-negativem Brustkrebs ist vor dem 60. Lebensjahr erkrankt.
  • Das Brustzentrum hat einen Flyer mit weiteren Informationen für Patientinnen herausgegeben.

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