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Wegen Abnehmspritze: Für Tausende Diabetiker in Sachsen ist ihr Medikament nicht lieferbar

Weil man mit dem Mittel Ozempic auch abnehmen kann, gibt es einen Engpass für das Medikament. Tausende Diabetiker haben das Nachsehen, die Begehrlichkeiten haben auch kriminelle Energien geweckt.

Von Stephanie Wesely
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Katja Daub, Inhaberin der City-Apotheke in Dresden, zeigt die Vorbestellungen für das Diabetes-Medikament Ozempic.
Katja Daub, Inhaberin der City-Apotheke in Dresden, zeigt die Vorbestellungen für das Diabetes-Medikament Ozempic. © Jürgen Lösel

Ungefähr 80 Patienten stehen bei Apothekerin Katja Daub aus Dresden momentan auf der Warteliste für ein Diabetes-Medikament – Ozempic. Sachsenweit sind es Tausende Zuckerkranke, die nicht angemessen versorgt werden können.

„Der Unmut der Kunden ist groß. Einzelne wollten sogar die Polizei einschalten, weil sie dachten, wir halten die Medikamente absichtlich zurück“, sagt sie. „Doch so ist es nicht. Wir Apotheker sind auch die falschen Ansprechpartner.“ Dennoch verstehe sie die Reaktion der Patienten. Denn gerade in der Diabetesbehandlung kann eine Therapieunterbrechung schwerwiegend sein.

Das Diabetes-Medikament sei nicht das einzige, das fehle. Ähnlich gravierend ist die Versorgungssituation für Trulicity mit dem Wirkstoff Dulaglutid. „Aber auch für mehrere hundert Medikamente gegen andere Krankheiten gibt es derzeit einen Lieferengpass“, so Katja Daub. Darunter sind Blutdrucksenker, Schmerzmittel, Psychopharmaka und Krebsmedikamente. Sie selbst müsse eine komplette Arbeitskraft nur dafür bezahlen, dass sie den ganzen Tag nach Quellen für die Medikamentenversorgung sucht. „Das kann sich kein Apotheker auf die Dauer leisten“, sagt sie.

Herstellerfirma ist am Limit

Dabei seien viele Gründe für Arzneimittelengpässe hausgemacht. Deutschland wäre oft nicht bereit, so viel für die Medikamente zu zahlen wie andere Industriestaaten. Außerdem müssten für deutsche Abnehmer – speziell bei Ozempic – andere Packungsgrößen hergestellt werden, was den Firmen zusätzlich Aufwand bereite. Der weltweit einzige Hersteller des Medikaments, Novo Nordisc aus Dänemark, kommt mit der Produktion nicht nach.

„Wir arbeiten weiter mit Hochdruck daran, die Versorgung der Patienten sicherzustellen, die sich auf uns und unsere Produkte verlassen“, erklärt Lena Klersy, Sprecherin von Novo Nordisc. „Dazu sind unsere globalen Produktionsanlagen rund um die Uhr in Betrieb, und wir investieren in hohem Umfang in den Ausbau der Kapazitäten.“ Dennoch sei es nach wie vor nicht absehbar, wann die Nachfrage gedeckt werden könne. Aufgrund der hohen öffentlichen Aufmerksamkeit sei der Bedarf weltweit stärker gestiegen als erwartet. Sie spielt damit auf Prominente an, die Ozempic als Abnehmspritze beworben haben. Das habe Begehrlichkeiten bei Nicht-Diabetikern und kriminelle Energien geweckt.

Das Medikament Ozempic gilt bei Diabetesärzten als Revolution. Der GLP-1-Rezeptoragonist ahmt die Wirkung des körpereigenen Hormons GLP-1 nach. Das senkt nicht nur den Blutzucker, sondern hemmt auch den Appetit auf fettreiche Lebensmittel. Es hilft so beim Abbau von Übergewicht, unter dem viele Typ 2-Diabetiker leiden. Damit reduziert sich ihr Risiko für Nieren-, Herz- und Gefäßerkrankungen. Deshalb sei es besonders wichtig, dass Ozempic allein der Behandlung der Zuckerkrankheit vorbehalten bleibe, so Klersy.

Gekonnte Rezeptfälschungen

Katja Daub berichtet von gefälschten Ozempic-Rezepten, die in ihren vier City-Apotheken vorgelegt wurden. „Die Fälschungen waren zum Teil so gekonnt, dass mehrere Apotheker recherchieren mussten, ob es den ausstellenden Arzt wirklich gibt“, sagt sie. Die elektronischen Rezepte erschwerten Betrügern heute das Handwerk. Allerdings sei man auch gefälschten Medikamenten aufgesessen.

Mittlerweile gibt es zur Behandlung des krankhaften Übergewichts ein wirkstoffgleiches Medikament – Wegovy –, das höher dosiert werden muss. Es wird ebenfalls von Novo Nordisc hergestellt. „Wegovy ist lieferfähig, es gibt keine Engpässe“, sagt Katja Daub. Doch im Gegensatz zum Diabetes-Medikament muss dieses Mittel selbst bezahlt werden. Je nach Dosierung fallen hierfür zwischen 180 und 300 Euro pro Monat dafür an. Das versuchen Übergewichtige zu umgehen, indem sie Ärzte finden, die ihnen das Medikament zur Diabetestherapie auf Kassenkosten verordnen.

Neuer Hersteller auf dem Markt

Solange die Versorgung für Ozempic-Patienten nicht gesichert ist, bittet Novo Nordisc, keine neuen Patienten mehr auf das Medikament einzustellen. Der dänische Hersteller liefere deshalb auch keine Fertigpens mit der Einstiegsdosierung von 0,25 Milligramm Semaglutid aus. Diabetesärzte bedauern das.

Seit Anfang des Jahres gibt es einen weiteren Hersteller für GLP-1-Rezeptorantagonisten – das US-Unternehmen Eli Lilly. Dessen Wirkstoff Tirzepatid im Medikament Mounjaro ist sowohl zur Behandlung des Diabetes als auch zum Abnehmen zugelassen. Seit Juni gibt es das Medikament in Fertig-Pens, vorher mussten die Spritzen selbst aufgezogen werden. Mounjaro wird wie die semaglutidhaltigen Medikamente von Novo Nordisc zur Behandlung von Diabetes von den Krankenkassen bezahlt. Gegen Übergewicht ist es sogar erfolgreicher als Semaglutid, wie eine aktuelle Studie aus den USA bestätigt hat. Die Kosten liegen jedoch auch etwas höher – etwa bei 250 bis 350 Euro pro Monat.

Die Nebenwirkungen der Abnehmspritze

„Wegovy“ ist ein Medikament, das sich Menschen mit Adipositas verschreiben lassen können, deren Body-Mass-Index mindestens bei 30 liegt. Es soll beim Abnehmen helfen, indem es den Appetit zügelt und das Sättigungsgefühl steigert. Patienten spritzen es sich mit einem Fertigpen einmal pro Woche unter die Haut.

  • Der „Wegovy“-Wirkstoff Semaglutid signalisiert unter anderem dem Magen, dass noch genügend Essen im Dünndarm ist, die Magenentleerung also verzögert wird. Insbesondere diesen Effekt bemerken Patienten als Nebenwirkung – nämlich Übelkeit. Das legt sich aber in der Regel, wenn die Leute sich daran gewöhnen, kleinere Portionen zu essen.
  • „Zu Beginn der Therapie kommt es häufig zu weiteren Magen-Darm-Beschwerden wie Erbrechen, Durchfall und Verstopfung“, sagt Karsten Müssig von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie. Daher werde mit einer niedrigen Dosis begonnen, die gesteigert werde. Seltene Nebenwirkungen seien eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse und Darmverschluss. „Deshalb sollte die Behandlung nur unter ärztlicher Kontrolle erfolgen“, so Müssig.
  • Eine jüngst in der Fachzeitschrift „Jama Ophthalmology“ veröffentlichte Studie deutet darauf hin, dass Semaglutid in sehr seltenen Fällen mit einer schweren Augenerkrankung einhergehen könnte – der nicht-arteriitischen anterioren ischämischen Optikusneuropathie. Erwiesen sei dies zwar nicht, ernst nehmen müsse man es aber schon, sagt Horst Helbig von der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft. Die Klärung dieser Frage bedürfe weiterer Untersuchungen.
  • Berichte deuten auf ein weiteres Phänomen hin, bekannt unter dem Begriff „Ozempic Face“: Generell kann bei einer schnellen Gewichtsabnahme das Gesicht eingefallen und stark gealtert wirken. Da Adipositas eine chronische Erkrankung ist, muss das Medikament lebenslang genommen werden. Begleitend sollte immer eine Änderung des Lebensstils erfolgen, etwa im Sinne einer ausgewogenen Ernährung und regelmäßiger körperlicher Bewegung. Die Kost sollte kalorienreduziert und ballaststoffreich sein und weniger gesättigte und mehr ungesättigte Fettsäuren enthalten, ähnlich wie bei der mediterranen Ernährung.
  • Während der Schwangerschaft und Stillzeit soll das Präparat nicht verwendet werden. Wer ein Kind bekommen will, sollte Semaglutid mit einem Vorlauf von mindestens zwei Monaten absetzen. (dpa)