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Warum die Pflege meiner Eltern ein persönliches Glück ist

Die Dresdner Psychologin Ilona Bürgel hat ein sehr persönliches Buch für erwachsene Kinder geschrieben, die für ihre Eltern sorgen. In den Mühen liegt auch eine einmalige Chance, sagt sie.

Von Katrin Saft
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Schenkt ihrer Mutter Zeit und Wärme: Ilona Bürgel aus Dresden.
Schenkt ihrer Mutter Zeit und Wärme: Ilona Bürgel aus Dresden. © SZ/Veit Hengst

Sie ist bekannt durch ihre Bücher und Kolumnen über Glück und Lebensfreude. Als Vertreterin der Positiven Psychologie wirbt Dr. Ilona Bürgel dafür, Leistung und Wohlbefinden zu verbinden, um froh und gesund zu bleiben. Doch auch in ihrem Leben gibt es nicht nur Höhen.

Vor ein paar Jahren merkte Bürgel, dass ihre über 80-jährigen Eltern nicht mehr allein zurechtkommen. Das warf für sie viele neue Fragen auf: Soll und kann ich sie pflegen? Wollen meine Eltern das überhaupt? Und wie ist das mit dem eigenen Alltag vereinbar?

Sächsische.de sprach mit der 59-Jährigen über ihre Erfahrungen, die sie in einem Buch verarbeitet hat – das persönlichste Buch, das sie je geschrieben hat, wie sie sagt.

Frau Dr. Bürgel, die Themen Altern und Pflege sind meist negativ belegt. Wieso haben ausgerechnet Sie als Vertreterin der Positiven Psychologie ein Buch darüber geschrieben?

Es gibt so viele Bücher, die Eltern sagen, was sie für ihre kleinen oder pubertierenden Kinder tun oder lassen könnten. Doch niemand bereitet uns erwachsene Kinder auf ein neues Verhältnis zu unseren alternden Eltern vor. Beide Seiten tun so lange wie möglich so, als sei alles wie früher. Beide wollen nicht wahrhaben, dass sich Menschen nicht nur körperlich, sondern auch geistig verändern. Diese Lebensphase ist sowohl für Eltern als auch für Kinder höchst verunsichernd. Für mich war sie eine Ausnahmesituation, in der ich mir beweisen konnte, wie ernst es mir mit dem positiven Denken ist. Mit dem Buch möchte ich andere ermutigen, die Perspektive zu wechseln: Weg von dem, was mal war, hin zu dem, was jetzt ist.

Eltern mit Schmerzen, Einschränkungen, Gedanken an das Ende. Was soll daran positiv sein?

Ich sage nicht, dass diese Situation leicht wäre. Sie gibt uns aber eine Chance, die niemals wieder kommt: Indem wir uns um unsere Eltern kümmern, können wir sie und uns ganz neu kennenlernen. Wir können genauer hinsehen, was wir an unseren Eltern mögen und was nicht, was wir von ihnen gelernt und übernommen haben. Es ist ein Weg der Selbsterkenntnis. Spätestens jetzt bietet er die Option zu hinterfragen, ob wir selbst auf der richtigen Spur unterwegs sind, ob wir so leben, dass es uns und anderen künftig dienen wird. Was zählt für ein gelingendes Leben? Wenn die alten gesellschaftlichen Antreiber wie „mehr, schneller, effizienter“ bei unseren Eltern nicht mehr funktionieren, entsteht Raum für Qualitätszeit.

Nun hat aber nicht jeder ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern oder ist vielleicht sogar verstritten.

Mag sein. Doch es macht in dieser Phase keinen Sinn mehr, alte Konflikte immer wieder aufzuwärmen, weil das sowieso nichts mehr ändert. Wir Kinder sind diejenigen, die mental und emotional flexibler sind als unsere Eltern. Wir können leichter als sie alte Wunden heilen, vergeben, großzügig sein. Auch wenn das anfangs vielleicht nur einseitig ist, wird sich etwas zum Positiven wandeln. Wir tun dies nicht, um den Eltern einen Gefallen zu tun, sondern uns. Denn wir nehmen das Erfreuliche und Unerfreuliche zwischen uns und unseren Eltern mit – für immer. Gelingt es uns, die Beziehung zu unseren Eltern zu verbessern, werden sich auch andere Beziehungen verbessern – zu unserem Partner, zu Nachbarn. Sich wieder anzunähern, braucht aber Mut und eine Entscheidung.

Welche Entscheidung?

Wage ich es, mich für meine Eltern zu öffnen, für eine neue Qualität des Miteinanders? Die Folge wäre, persönlicher, wahrhaftiger, nahbarer zu sein, sich von Herzen einzulassen auf alles Leichte und Schwere. Ich habe es gewagt.

Was war das Schwerste daran?

Die Ohnmacht und das Zuschauen müssen, wie die einst aktiven, selbstständigen und klugen Eltern zunehmend nicht mehr können. Und wie schwer sie sich damit tun, sich das einzugestehen. Man kann ihnen zwar behilflich sein, aber ihnen die Bürde nicht abnehmen, eingeschränkt zu sein. Das tut weh, zumal es auch ein Spiegel ist, wie das Altern für einen selbst einmal laufen könnte.

Wie können Kinder mit dieser Situation konstruktiv umgehen?

Indem sie den Eltern nicht einfach sagen: „Es gibt noch Schlimmeres“, sondern sich selbst fragen, wie es ihnen in der Lage gehen würde. Es geht nicht um Mitleid, sondern um Mitgefühl – sich berühren lassen, auch mal zusammensetzen und weinen.

Was aber, wenn sich die Eltern gar nicht helfen lassen wollen? Wenn die Mutter zum Beispiel einen Rollator bräuchte, um sich absehbar nicht einen Oberschenkelhalsbruch zuzuziehen und das ablehnt?

Hilfe ist immer auch eine Art Einmischung. Die Generation unserer Eltern war es gewohnt, sich alles selbst zu erarbeiten, alles alleine hinzubekommen. Wir müssen raus aus unserem Effizienzdenken, was für sie nun besser und schneller wäre. Wir sollten aufhören, rein von unserer Logik her zu bewerten: „Ihr seid zu schwach, zu alt, das bringt doch nichts.“ Lieber gemeinsam hinsetzen und zuhören. Am Ende entscheiden die Eltern. Sie dürfen anders denken als ihre Kinder. Wir denken ja auch anders als unsere Kinder. Im konkreten Fall kann man Menschen, die man schätzt und die einen Rollator haben ansprechen, von ihren Erfahrungen zu erzählen – dass es heute schicke Modelle gibt, dass ein Rollator nicht nur beim Laufen, sondern auch beim Ausruhen hilft.

Sich um die Eltern zu kümmern bedeutet oft Stress, wenn man selbst noch voll im Berufsleben steckt. Wie haben Sie das geschafft?

Ich habe für mich zwei Erkenntnisse gewonnen: Zum einen ist es wichtig, in dieser Zeit auch für sich selbst gut zu sorgen. War ich müde nach einem anstrengenden Tag, war ich schnell reizbar und wir haben uns gegenseitig hochgeschaukelt. Kam ich dagegen mit guter Stimmung aus meinem Leben in das meiner Eltern, konnte ich mit allem besser umgehen, was klappte oder nicht. Andere spüren, ob wir aus leeren Tanks oder einem gut gefüllten System abgeben. Nur dann haben wir überhaupt etwas abzugeben. Nur dann können wir helfen, weil wir wollen und nicht nur müssen.

Und die zweite Erkenntnis?

Sehr ehrlich zu sich selbst und zu den Eltern zu sein. Ich habe zum Beispiel ehrlich gesagt, dass ich von meiner Kraft her nicht in der Lage bin, körperliche Pflegeleistungen zu erbringen. Ebenso habe ich keine Kraft für einen zusätzlichen Haushalt. Auch eine Wundpflege traue ich mir nicht zu. Stattdessen kann ich meinen Eltern mein Gefühl für den richtigen Zeitpunkt, das Planen, das Organisieren und Vernetzen von Menschen und Leistungen schenken. Ich nehme ihnen Bürokratie ab. Meinen Optimismus gibt es noch dazu.

Was aber, wenn Kinder sich gar nicht in der Lage sehen, ihre Eltern zu pflegen?

Wenn man keinen echten guten emotionalen Zugang zu seinen Eltern findet, kann ein Nein zur persönlichen Pflege für beide Seiten sogar besser sein. Dann sollte lieber ein Profi ran.

Es gibt das erfolgreiche Buch von Joachim Fuchsberger „Altwerden ist nichts für Feiglinge“. Ihr Buch heißt „Die Sonne und das Glück kommen immer wieder“. Wie passt das zusammen?

Natürlich sind Kummer, Frustration, Ärger und Verzweiflung ganz normale Gefühle, wenn das Leben viel eingeschränkter ist als früher. Statt sich aber darauf zu konzentrieren, was alles nicht mehr geht und was wehtut, sollte man seine Aufmerksamkeit auf die kleinen Glücksmomente im Leben lenken: ein leckeres Essen, die Vögel vor dem Fenster, ein freundlich grüßender Nachbar. Solche Momente sind kleine Auszeiten in Belastungssituationen und dürfen gehegt und gepflegt werden.

Viele Menschen unterliegen dem Irrglauben, dass sie glücklicher wären, wenn zum Beispiel der Schmerz weg wäre. Doch wenn wir in einem System von Bedingungen bleiben, fehlt immer irgendetwas, bevor wir „richtig“ glücklich sind. Wir sind immer auf dem Weg zu einem nie eintretenden Zustand, bei dem alles passt. Was wir dabei allerdings verlieren, ist die Zufriedenheit mit dem, was schon da ist – und sei es ein schöner Sonnenaufgang.

Ilona Bürgel

  • Die Diplom-Psychologin zählt zu den Vertretern der Positiven Psychologie.
  • Als Jüngste ihres Jahrgangs hat sie in der Gedächtnisforschung promoviert und in der Wirtschaft gearbeitet.
  • Als Autorin hat sie 14 Bücher geschrieben. Das neueste: „Die Sonne und das Glück kommen immer wieder“, Verlag Tredition, 10,40 Euro.
  • Sie arbeitet heute als Coach und Referentin.