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Dresdner Gericht spricht Altenpflegerin frei

Eine Pflegerin sollte für den Tod eines Patienten verantwortlich sein. Das stellt sich nun als haltlos heraus. Kritik gibt es jedoch an der Polizeiarbeit.

Von Alexander Schneider
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Erleichterung am Ende. Nach einem dreiwöchigen Prozess am Amtsgericht Dresden wurde eine Altenpflegerin freigesprochen.
Erleichterung am Ende. Nach einem dreiwöchigen Prozess am Amtsgericht Dresden wurde eine Altenpflegerin freigesprochen. ©  Archiv/René Meinig

Dresden. Man kann dem Gericht nicht vorwerfen, diesen so schwierigen wie tragischen Fall auf die leichte Schulter genommen zu haben. Drei Verhandlungstage ging es für eine 35-jährige Altenpflegerin in ihrem Prozess am Amtsgericht Dresden um den Vorwurf, fahrlässig den Tod eines 81-jährigen Patienten verschuldet zu haben.

Am Donnerstag jedoch war der „Albtraum“, diesen Begriff verwendete Richter Rainer Gerards mehrfach, für die Angeklagte vorbei. Gerards hat die Frau freigesprochen und betont, wie sehr sie unter diesem Verdacht habe leiden müssen. Es wäre schade, so Gerards, wenn die Angeklagte aufgrund dieser Sache ihren Beruf nicht mehr ausüben würde. Er habe jedenfalls nicht den leisesten Zweifel feststellen können, dass sich die 35-Jährige falsch verhalten habe.

Sturzverletzung verursachte den Tod

Laut Anklage soll sie den 81-jährigen Mann, der schon seit Jahren von dem mobilen Pflegedienst versorgt wurde, abends aus dem Bett geholfen haben. Wie der Mann nun vor seinem Bett stand, habe die Angeklagte ihn alleine gelassen, um Windeln aus dem Bad zu holen. Während sie im Bad war, sei der Mann an jenem 23. Oktober 2018 gestürzt. Er habe sich so schwer am Kopf verletzt, dass er operiert werden musste. Am 10. November erlag er einem Multiorganversagen, das auf den Sturz zurückzuführen sei.

Die Angeklagte sagte, sie habe den Mann nicht alleine stehen lassen. Er sei neben ihr umgefallen: „wie ein Stein“. Schwächeanzeichen habe sie nicht erkennen können. Man müsse immer tagesabhängig entscheiden, was man Patienten zumuten könne, sagte sie. Es sei für die Menschen wichtig, sich zu bewegen.

Der Vorwurf kam nach dem Tod des Mannes auf. Die heute 75-jährige Witwe erzählte ihrer Tochter angeblich, dass die Angeklagte im Bad gewesen sei. Als sich eine Kriminalbeamtin im Rahmen des üblichen Todesermittlungsverfahrens telefonisch bei der Witwe erkundigt hatte, erneuerte die Rentnerin ihren Vorwurf.

Am ersten Prozesstag hatten mehrere Zeugen, Kollegen und Vorgesetzte die Angeklagte als verlässliche und einsatzbereite Kollegin beschrieben, die zuletzt vor ihrer Elternzeit eine Filiale des Pflegedienstes geleitet hatte. Die Tochter des Toten belastete die Angeklagte nicht. Sie könne sich nicht an Einzelheiten erinnern, sagt sie. Daher sah sich das Gericht gezwungen, auch die Witwe zu vernehmen. Die demenzkranke Frau lebt seit Anfang 2019 in einem Pflegeheim. Sie belastete am Donnerstag zwar die Angeklagte, machte aber auch einige Angaben, die nicht stimmen konnten.

Späte Vernehmung

Unzufrieden war Richter Gerards jedoch mit der Arbeit einer Kriminalbeamtin. Sie hatte die Witwe erst im Mai 2019 auf ein Ersuchen der Staatsanwaltschaft hin vernommen – obwohl Mutter und Tochter bereits im November 2018 ihren Verdacht telefonisch geäußert hatten. Ob dieser Verdacht nicht Anlass genug sei, der Sache zeitnah nachzugehen, fragte der Richter. Die Beamtin antwortete: „Das machen wir immer so.“

Sie berichtete, dass die Kripo bei „nicht natürlichen Todesfällen“ regelmäßig mit Angehörigen telefoniere. Oft hätten Angehörige erst selbst nur wenige Stunden zuvor die Todesnachricht erhalten und seien vom Anruf der Polizei zusätzlich beeindruckt. Zu solchen Fällen käme es „fünf bis zehn Mal“ am Tag. „So viele!“, entgegnete Richter Gerards. Ähnlich entsetzt hatte er reagiert, als die Altenpflegerin am ersten Sitzungstag beschrieben hatte, in der Spätschicht von 15.30 bis 20.30 Uhr rund 30 Patienten zu versorgen.

Die Zahlen zeigen, wie angespannt das System ist, bei der häuslichen Pflege wie bei der Polizei. Doch die Vernehmung der Beamtin – sechs Monate nach dem Tod des schwerkranken Patienten – war auch nicht vollständig. Widersprüche der betagten Witwe, soweit das überhaupt noch möglich gewesen wäre, habe die erfahrene Ermittlerin nicht herausgearbeitet, kritisierte der Richter. So sei aus der Vernehmung nicht klar hervorgegangen, ob die Anklage nach Aussage der Witwe zum Zeitpunkt des Sturzes noch im Bad oder schon am Windeln des Patienten gewesen sei.

Am Ende war nicht nur Richter Gerards von der Unschuld der Angeklagten überzeugt, sondern auch die Staatsanwältin. Sie forderte wie auch Verteidiger Andreas Boine, die Altenpflegerin freizusprechen.

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