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Warum sich eine Irakerin in Freital zu Hause fühlt

Die Arbeit im Seniorenpark ist für die zweifache Mutter eine Erfüllung. Manchmal ist die 39-Jährige aber auch traurig. Aus verschiedenen Gründen.

Von Gabriele Fleischer
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Küchenchef Andrè Ullmann ist froh über die Hilfe von Niga Hama Saeed aus dem Irak. Beide arbeiten in der Seniorenpflege Solarpark in Freital.
Küchenchef Andrè Ullmann ist froh über die Hilfe von Niga Hama Saeed aus dem Irak. Beide arbeiten in der Seniorenpflege Solarpark in Freital. © Egbert Kamprath

Niga Hama Saeed rückt ihr Kopftuch zurecht und nimmt eine Flasche Wasser mit zwei Gläsern. Zielgerichtet geht sie zu zwei Bewohnern der Seniorenpflege Solarpark in Freital-Wurgwitz.

Die 84-jährige Helga Zeisberg und ihr 93-jähriger Begleiter Karl Walter freuen sich über die Erfrischung – und, dass sie die Irakerin besucht. "Das ist unsere Freundin", sagt der Senior und lächelt ihr und seiner Helga zu.

Die beiden, deren Ehepartner beide schon verstorben sind, haben sich erst im vergangenen Jahr im Heim kennengelernt. "Wer hätte gedacht, dass ich im hohen Alter noch einmal so einen Volltreffer lande", sagt Walter glücklich. Die Seniorin weist ganz stolz darauf hin, dass ihr Begleiter einen Doktortitel hat und sie von ihm jede Woche einen Rosenstrauß bekommt.

Arbeitssuche nach dem Integrationskurs

Hama Saeed lächelt und freut sich mit den beiden Turteltäubchen. Seit einem Jahr arbeitet sie, die in ihrer Heimat Irak Anglistik studiert hat und Englischlehrerin war, im Seniorenheim mit seinen 88 Bewohnern in der Küche, bereitet Essen mit vor und verteilt es – mittlerweile 35 Stunden in der Woche.

Sie gehört zu den 633 Menschen aus den nichteuropäischen Asylherkunftsländern Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien, die im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge eine Arbeit gefunden haben.

Dafür, so Sabine Schöne, Sprecherin des Jobcenters im Landkreis, müssen die arbeitswilligen Flüchtlinge, die nach dem Asylverfahren anerkannt sind und Bleiberecht haben, einen Integrationskurs, bei dem sie auch Deutsch lernen, erfolgreich bestanden haben. Erst dann würden sie auch eine Aufenthaltserlaubnis durch die Ausländerbehörde bekommen und könnten auf Arbeitssuche gehen.

Eine Chance für Geflüchtete

Mehr als ein Drittel der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten hätten ein dafür nötiges Sprachniveau. Parallel zur Arbeitsaufnahme unterstütze das Jobcenter die Absolventen der Integrationskurse durch Förderangebote.

"Wir brauchen Unternehmen, die den Geflüchteten eine Chance geben und sie einstellen – selbst wenn sie nicht perfekt Deutsch sprechen", sagt Schöne. Aufgrund des Fachkräftemangels und des steigenden Bedarfs hätten Arbeitgeber im Landkreis auch Interesse. Leider sei es aber oft so, dass es zu wenig Sprachkursangebote gibt, Träger Wartelisten führen und Anerkennungsverfahren der ausländischen Bildungsabschlüsse lange dauern.

Hindernisse seien zudem unklare Bleibeperspektiven, gesundheitliche Einschränkungen, fehlende Kinderbetreuung oder die nötige Pflege von Angehörigen. Laut Schöne würden die Mitarbeiter des Jobcenters Geflüchtete jederzeit beraten und Vermittlungsbemühungen unterstützen. Derzeit leben laut Landratsamt 2.186 Asylbewerber im Landkreis – Männer, Frauen und Kinder, etwa 100 mehr als ein Jahr zuvor.

Gute Kontakte im Seniorenpark

Hama Saeed spricht inzwischen sehr gut Deutsch. 2017 kam sie mit ihrer Familie zunächst legal mit einem Schengen-Visum und stellte dann einen Asylantrag. Als politisch aktiver Kurde wird ihr Mann in der Heimat verfolgt, hätte schon im Gefängnis gesessen. "Er kann nicht zurück", sagt Saeed.

Zwei Jahre dauerte es, bis der Antrag genehmigt wurde und die Familie die Aufenthaltsgenehmigung erhielt. Dann hätten sie wie viele Asylbewerber erst einmal auf einen Deutschkurs warten müssen, erzählt Saeed.

Eine Zeit des Ungewissen. Dann aber kam ein Angebot und die 39-Jährige hat intensiv gelernt. Endlich durfte sie auch arbeiten. Erst war sie Springerin in einem Kindergarten, dann kam sie in die Seniorenpflege.

Speisen mit zubereiten und Tee ausschenken gehört zu den Aufgaben von Niga Hama Saeed in der Küche der Freitaler Seniorenpflege.
Speisen mit zubereiten und Tee ausschenken gehört zu den Aufgaben von Niga Hama Saeed in der Küche der Freitaler Seniorenpflege. © Egbert Kamprath

Einen weiterführenden Kurs hat sie zugunsten der Arbeit hier im Seniorenheim erstmal verschoben. Sie wolle ebenso wie ihr Mann, der als Dolmetscher arbeitet, ihren Unterhalt für die Familie selbst verdienen.

Böse Sprüche und viel Zuspruch

Ja, sie vermisse ihre Heimat, Freunde und Verwandte. Aber ihren Mann möchte sie nicht verlassen. Die Familie, zu der zwei Töchter gehören, ist froh und dankbar für die Aufnahme hier in Freital, sagt sie und zögert dann doch etwas.

"Es kam schon vor, dass mich Mitarbeiter wegen des Kopftuches angesprochen haben." Nein, nicht alle seien nett. Aber sie möchte keinen Ärger, will sich integrieren. Und so hätte sie auch die ältere Dame, die ihr beim Einkaufen auf den Kopf geschlagen hat, nicht angezeigt. "Die meisten Menschen sind ja entgegenkommend." Sprüche wie "geh raus" oder "eklig" müsse sie aushalten.

Müsse sie nicht, sagt André Ullmann, ihr Chef in der Küche. "Du musst uns sagen, wenn du Ärger hast." Ullmann lobt ebenso wie Julia Feist, die Assistentin der Geschäftsführung, die Einsatzbereitschaft der irakischen Mitarbeiterin. Sie sei pünktlich, freundlich, folge dem Arbeitsplan gewissenhaft und lerne aus Fehlern.

Großes Lob für Einsatzbereitschaft

Mit den Bewohnern komme sie gut aus. Und das sei bei allen ihren ausländischen Mitarbeitern so, sagt Julia Feist. Von 150 Angestellten sind das immerhin 20 Männer und Frauen mit Migrationshintergrund. Ohne sie wäre die Arbeit nicht zu bewältigen. "Sie springen ein, wenn Leute ausfallen, übernehmen zusätzliche Schichten und wollen viel lernen." Die Juniorchefin der Einrichtung hofft auch, dass Niga Hama-Saeed noch lange bei ihnen ist.

Irgendwann möchte die 39-jährige Irakerin natürlich wieder in ihrem Beruf arbeiten, vor Kindern in einer Klasse stehen. Dafür braucht es noch einige Kurse und Prüfungen. Momentan will sie aber erst einmal durch ihre Arbeit dem Gastgeberland helfen, niemandem auf der Tasche liegen.

Zur Integration voneinander lernen

Hat sie nicht auch Angst und fühlt sich gerade nach den Ergebnissen der jüngsten Landtagswahl in Sachsen noch mehr bedroht? Sie schüttelt den Kopf. Nein, Angst hätte sie nicht.

Sie kenne so viele Menschen, die freundlich sind. Das mache ihr Mut. Freital möchte sie auch deshalb nicht verlassen, weil ihre Töchter Anja und Aida hier zur Schule gehen.

Und so tut sie alles, um sich zu integrieren in ihrer zweiten Heimat, wie sie Deutschland und Freital selbst bezeichnet. Sie bietet ihrem Chef an, seinem 13-jährigen Sohn Englisch-Nachhilfe zu geben. Ullmann seinerseits interessiert sich für ihr Leben als Muslima, fragt, wie der Ramadan abläuft. "Es ist doch wichtig, voneinander zu lernen und sich so besser zu verstehen", sagt er. Hass und Ablehnung seien keine Lösung.

Ein Plus für Klöße und Apfelkuchen

Vielleicht klappt es mit Niga Hamad Saeed auch deshalb so perfekt, weil sie so gut Deutsch spricht und immer dazu lernen will. Was mag sie an Deutschland und insbesondere Freital?

Neben der netten Aufnahme im Seniorenpark und durch Menschen, die ihrer Familie helfen, mit denen sie sich austauschen kann, hätte sie Apfelkuchen, Klöße und Grießbrei kennen- und schätzen gelernt. Auch das sei gelebte Integration, finden Julia Feist und André Ullmann. Sie jedenfalls sind froh, Niga in ihrem Team zu haben.