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Neubeginn in Tharandt

Vor 75 Jahren nahm die Fakultät für Forstwirtschaft ihren Lehrbetrieb wieder auf. Ein Beitrag zum Jubiläum 75 Jahre SZ.

Von Thomas Morgenroth
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Professor Otto Wienhaus in seinem Grundstück an der Pienner Straße. Im Stöckhardt-Bau gegenüber war jahrelang sein Arbeitsplatz, wie auch der seines Vaters.
Professor Otto Wienhaus in seinem Grundstück an der Pienner Straße. Im Stöckhardt-Bau gegenüber war jahrelang sein Arbeitsplatz, wie auch der seines Vaters. © Daniel Schäfer

Ein hagerer junger Mann in grüner Uniform lehnt am Geländer auf dem Dach des Altbaus der Forstakademie in Tharandt. Er trägt seinen Hut auf Pfiff und schaut sichtlich entspannt himmelwärts. Es handelt sich um den 27 Jahre alten Wilhelm Knabe, der soeben sein Studium zum Diplom-Forstwirt erfolgreich abgeschlossen hat. 1950 ist das Foto entstanden. Knapp dreißig Jahre später leitet der aus Arnsdorf stammende Knabe, der 1959 mit seiner Familie in den Westen ging, in Karlsruhe die Gründungsversammlung der Partei Die Grünen.

Wilhelm Knabe, im Januar im Alter von 97 Jahren verstorben, war der wohl prominenteste Absolvent des ersten Jahrgangs der forstlichen Hochschulausbildung in Tharandt nach dem Zweiten Weltkrieg. Am 1. Oktober 1946 wurde der Lehrbetrieb an drei Fakultäten der Technischen Hochschule Dresden wieder aufgenommen, darunter an der Fakultät für Forstwirtschaft – nach anderthalb Jahren Pause. Am 20. April 1945 war die gesamte Technische Hochschule „wegen Feindannäherung“ geschlossen worden. Bei den schweren Bombenangriffen auf Dresden im Februar und April waren etwa 85 Prozent der Lehrgebäude und Anlagen zerstört worden.

Wilhelm Knabe 1950 als frischgebackener Diplom-Forstwirt auf dem Dach des Altbaus.
Wilhelm Knabe 1950 als frischgebackener Diplom-Forstwirt auf dem Dach des Altbaus. © Verlag Krosse

Einige ausgebombte Hochschulangehörige fanden im Cotta-Bau in Tharandt eine zeitweilige Bleibe, der Altbau diente zudem als Lazarett. „Unser Glück war, dass hier keine Lehrgebäude zerstört waren und dass es keine Plünderungen gab“, sagt Otto Wienhaus. Der 83-jährige Tharandter ist der Sohn von Heinrich Wienhaus, einem von nur drei Professoren, mit denen die akademische Forstausbildung im Herbstsemester vor 75 Jahren begann. „Es durften nur die bleiben, die nicht in der NSDAP waren“, sagt Wienhaus. Außer seinem Vater, der das Institut für Pflanzenchemie und Holzforschung leitete, waren das der Zoologe Heinrich Prell und der Bodenkundler Hans Sachsse, der als Dekan maßgeblich die Schließung durch die sowjetische Besatzungsmacht verhinderte.

„Die Verhandlungen mit der Militäradministration fanden unter unserer Eibe im Garten statt“, sagt Otto Wienhaus, der sich daran erinnert, dass die Familie zu jener Zeit in ihrem Wohnhaus 36 Ausgebombte aus Dresden und Berlin beherbergte. Wienhaus, der am letzten Tag der DDR, also am 2. Oktober 1990, zum Professor berufen wurde und das Institut übernahm, das sein Vater bis 1954 leitete, hat sich eingehend mit der Geschichte des Neubeginns befasst. Der war alles andere als einfach, wie er aus Aufzeichnungen seines Vaters und durch Gespräche mit Zeitzeugen weiß.

Professor Heinrich Wienhaus (Mitte) mit Mitarbeitern seines Instituts vor dem Stöckhardt-Bau in Tharandt, um 1946.
Professor Heinrich Wienhaus (Mitte) mit Mitarbeitern seines Instituts vor dem Stöckhardt-Bau in Tharandt, um 1946. © Sammlung Otto Wienhaus

Diese Berichte sollten Teil des Buches „Der Zweite Weltkrieg und seine Auswirkungen auf den Neubeginn der forstlichen Ausbildung in Tharandt“ werden. Das aber erschien 2008 als Dokumentation von Erhard Schuster und Harald Thomasius ohne das Kapitel mit Auszügen aus Lebensberichten ehemaliger Forststudenten des ersten Nachkriegsjahrganges. Dabei hätten diese persönlichen Erinnerungen den nüchternen Fakten die besondere Würze gegeben.

Herbert Schmidt zum Beispiel, der nach mehr als vier Jahren Kriegsdienst in der Marine, Gefangenschaft und Verlust der schlesischen Heimat mit zwanzig jungen Männern und einer Frau sein Studium begann, erinnert sich an die Verpflegung. „Es gab Lebensmittelkarten, wir als Studenten bekamen die Schwerarbeiterkarte, während die nichtarbeitenden Bürger und Rentner nur die Normalkarte, als ‚Friedhofskarte‘ bezeichnet, bekamen.“ Herbert Schmidt, der im Badetal bei der Frau Voigtländer, der Witwe des Forstgartenoberinspektors, wohnte, bekam dort panierte Kürbisscheiben als Kotelett vorgesetzt oder geröstete Brotscheiben als „Stalintorte“.

„Es herrschte an allem Mangel“, sagt Otto Wienhaus, der 1956 sein Studium begann und noch bei seinem Vater im Stöckhardt-Bau Vorlesungen hatte. Geheizt wurde mit Kohle, Brennmaterial indes war rar. Im „Notwinter 1946“, schreibt Wilhelm Knabe in seinen Erinnerungen „Ein deutsch-deutsches Leben“, „saßen wir mehrere Tage frierend mit Mantel im ungeheizten Hörsaal. bis die Hochschulleitung die Studenten nach Hause schickte und für mehrere Wochen ‚Kohleferien‘ ausrief.“

Knabe, der seine Diplomarbeit über die Lärche schrieb, in der evangelischen Studentengemeinde aktiv war und schon damals auf die ernste Lage der Wälder hinwies, hat Zeit seines Lebens den Kontakt nach Tharandt gehalten. Als nach der Wende Umweltthemen eine zunehmende Rolle spielten, hielt er Vorlesungen im Rahmen des Studiums generale. Seiner vehementen Fürsprache ist es zudem zu verdanken, dass das Grundstück Johannishöhe, auf dem sich das Umweltbildungshaus befindet, von der Treuhand an die Grüne Liga übereignet wurde. Immer wieder ist er in Tharandt gewesen, auf dem Dach des Altbaus indes hat Wilhelm Knabe nie wieder gestanden.