Man muss sich wundern, dass in Tharandt nicht viel mehr verbeulte Autos und Köpfe zu beklagen sind: Statt geradeaus zu gucken, gucken die Leute nach oben, auf die Bäume. Eigentlich sind Bäume ein vertrauter Anblick in der Forststadt. Diese aber nicht, denn sie können fliegen.
Das fliegende Holz ist seit Mittwochmorgen am Tharandter Himmel unterwegs. Es hängt an Seilen aus Stahl und Kunststoff, die an einem Helikopter vertäut sind. Die Maschine gehört der Schweizer Firma Rotex, spezialisiert auf Lufttransporte in schwierigem Gelände. Ihr Auftrag ist, Problembäume an den Schienen der Deutschen Bahn zu entfernen.
Diese Schienen liegen am Fuß der Weißeritztalhänge. Das steile Terrain war von jeher kaum geeignet für die Forstwirtschaft. Daher gilt der Wald mit seinen Teils über 200-jährigen Buchen als weitgehend naturnah und ist heute ein Naturschutzgebiet. Bei Sachsenforst hat das Gelände den Status "FON". Das heißt: Fläche ohne Nutzung.
Arbeit gibt es trotzdem, sagt Kristin Jäkel vom Forstbezirk Bärenfels. Die studierte Forstwirtin ist maßgeblich an der Koordinierung des Verkehrssicherungsprojekts beteiligt. Zweimal im Jahr müssen die Bäume, die an den Verkehrswegen stehen, auf Schäden kontrolliert werden. Und oft werden die Kontrolleure fündig.
Dass es den Bäumen nicht gut geht, macht die Trockenheit. An den Hängen gibt es besonders wenig Wasser. Speziell die Buchen nehmen das übel. Die Kronen werden Licht, Äste sterben ab. Dann kommen die Pilze. Irgendwann wird der ganze Baum instabil, sagt die Försterin. Man versuche, die Bäume möglichst dort zu belassen, wo sie sind. "Aber das ist nicht immer möglich."
Etwa 2.000 Bäume müssen fallen
Vor allem dann nicht, wenn sie die Bahnanlagen bedrohen, besonders die Oberleitungen, den "heiliger Gral". So kommt es, dass nun etwa 2.000 Bäume zwischen Tharandt und Klingenberg vorsorglich gefällt werden. Der größte Teil wird, um ein Fallen oder Rutschen des Holzes in Richtung der Gleise zu verhindern, gleich nach dem Schnitt ausgeflogen.
Es ist dieser Akt, den die Leute mit ihren Handys festhalten, auch jetzt wieder, während Kristin Jäkel ihren Geländewagen durchs Tharandter Ortszentrum steuert. Nein, von Unfällen infolge des Spektakels hat sie noch nichts gehört. Nur den Kindergartenkindern fiel vor Aufregung der Mittagsschlaf schwer. Ansonsten habe es vor allem begeisterte Rückmeldungen gegeben.
Sachsenforst koordiniert zwar die Aktion. Allerdings gehören nur gut sechzig der problematischen Bäume zum Staatswald. Sie fallen weitgehend unbemerkt, weil sie in der Regel nicht fliegen müssen. Durch eine Röhre unter den Schienen und brusthohe Brennnesseln gelangt man zum Schauplatz, der hinter einem Werkzeugbetrieb liegt.
Hier hat die Grillenburger Firma GKNZ Waldpflege ihren "Moritz" in Aktion. So heißt die kompakte Seilwinde auf Raupenketten, von der eine Trosse in den dichten Wald führt, zu einer Umlenkrolle, und von dort zurück zu einer etwa dreißig Meter hohen Buche, die am Bahndamm steht und fallen soll.
Einsatz für den starken "Moritz"
Kristin Jäkel zeigt auf die Krone des fünfzig, vielleicht auch sechzig Jahre alten Baums. Durch Nachbarn vom Hang her bedrängt, ist sie zum Licht hin gewachsen, hin zu den Schienen. Der Stamm neigt sich bereits den Fahrdrähten zu. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen, sagt die Försterin. "Besser wir fällen ihn, bevor es zu spät ist."
Die Buche soll gegen ihre Neigung fallen. Deshalb haben die Forstwirte sie angeseilt. Noch bevor die Säge anfängt zu kreischen, beginnt "Moritz" zu ziehen. Zwei Meter weit richtet der Baum sich auf. Dann fliegen die Späne und der Riese sinkt in einem Wirbel aus Blättern zwischen die Nachbarstämme nieder.
Da er hier keine Gefahr mehr ist, darf er bleiben und langsam vergehen. Die Forstwirte aber müssen weiter. Klettern, anseilen, fällen - es ist ein Knochenjob. Kein Baum ist wie der andere, sagt Clemens Jäger, der eben die Säge geführt hat. Jeder Baum hat seine eigenen Ansprüche, fordert neues Nachdenken. Ihm ist das recht. "Wenn man dafür brennt, kann man sich nichts Besseres vorstellen."
Ein paar Autominuten und Höhenmeter später, auf einem Acker bei Somsdorf, kommt der Bestimmungsort der fliegenden Bäume in Sicht. Triebwerksgetöse kündigt die nächste Lieferung an. Die Crew, vier Leute und der Platzchef, verbunden via Helmfunk, sind empfangsbereit.
Flugbahn wird zur Sperrzone
Die Maschine schlabbert heran, mit Doppelrotor, der in einem Fünfzehn-Meter-Radius die Luft durchschneidet. Ihre Silhouette ist schmal und spitz, wie die eines Hechtes. Man nennt sie den "K-Max", gebaut in Amerika. Es ist einer der wenigen Hubschrauber, die mehr schleppen können, als sie selbst wiegen, in diesem Fall bis zu 2,6 Tonnen.
Der Heli hat eine Esche im Schlepptau. Er fliegt einen Bogen, senkt die Last zur Erde, löst den Griff der Kralle und lässt den Baum auf den Arbeitsplatz fallen. Und während er abdreht, um Nachschub zu holen, spurtet die Crew los, den Ankömmling wegzuräumen.
Die Aktion läuft wie ein gut geschmiertes Räderwerk: die stählerne Schlaufe lösen und zur Seite schleppen, mit der Kettensäge die Äste kappen, das Holz mundgerecht für die Bagger machen. Die Maschinen greifen nach den Stämmen, zerteilen sie, stapeln sie auf. Das Geäst kommt auf einen zweiten Haufen. Dann zurück zum Ausgangspunkt und auf die nächste Fuhre warten.
Und die kommt bald. Für den Flug zum nächstgelegenen Arbeitsplatz des Bodenpersonals und wieder zurück braucht der Heli 45 Sekunden, für die Tour zum entfernteren eine Minute fünfzehn. Die Korridore, die der Hubschrauber überquert, sind für die Allgemeinheit gesperrt. Der Wind seiner Rotorblätter könnte Äste lösen oder es könnten Teile der fliegenden Bäume abbrechen. "Macht sich nicht gut auf dem Kopf", sagt die Crew.
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Der "K-Max" geht zu Boden. Treibstoff nachfüllen. Das Kerosin fließt aus dem firmeneigenen Tankwagen. Eingefüllt wird nur etwa die Hälfte des Möglichen, damit der Heli umso mehr Holz tragen kann. Dem Piloten und dem Bodenpersonal bleibt eine Zigarettenlänge Zeit. Noch ein Biss in die Stulle, ein Schluck aus der Pulle, dann fliegen die Bäume weiter. Mitte kommender Woche soll der Auftrag erledigt sein.