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Diese Lehrerin prägte drei Generationen in Freital

Mit liebevoller Strenge begleitete die Freitalerin Ingeborg Ahlswede Hunderte Kinder durch ihre Schulzeit. Warum jetzt eine Art Goldene Hochzeit gefeiert wurde.

Von Simon Lehnerer
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Ingeborg Ahlswede mit ihren Schülern Thomas Kraft (Mi.) und Veronika Marschall (re.) beim Klassentreffen in Freital.
Ingeborg Ahlswede mit ihren Schülern Thomas Kraft (Mi.) und Veronika Marschall (re.) beim Klassentreffen in Freital. © Egbert Kamprath

Großvater, Vater und Sohn. Drei Generationen, die auf dieselbe Schule gegangen sind, klingt erstmal nicht ungewöhnlich. Dass alle drei von einer Lehrerin unterrichtet wurden, wiederum schon. Ingeborg Ahlswede, geboren 1930, übernahm mit gerade einmal 19 Jahren kurz nach dem Krieg ihre erste Klasse an der Schillerschule in Freital. Ohne Studium wurde sie direkt nach ihrem Schulabschluss als Lehrerin eingestellt. Heute sitzt die 94-Jährige beim Klassentreffen zwischen vielen Menschen bei Kaffee und Kuchen zusammen und ist der Star des Abends.

"Ich bin 67 Jahre alt, mein Vater Siegfried ist 85 und mein Sohn Stefan 44. Wir alle hatten Frau Ahlswede in der Schule als Lehrerin", erzählt der Freitaler Thomas Kraft. Streng soll sie gewesen sein, aber auch fair. "Sie hat sich sehr gekümmert und hatte einiges auf dem Kasten. Sie wusste über jeden Schüler immer Bescheid", sagt Kraft. Heute findet hier in der Kegelgaststätte "Alle Neune" das Klassentreffen seines Abschlussjahrgangs 1974 statt. 50 Jahre raus aus der Schule - die goldene Hochzeit der Klassentreffen.

Als Frau Ahlswede um die Ecke kommt, eine kleine Frau mit weißen Haaren, schmaler goldener Kette und einem dezent gemusterten, weißen Strickoberteil, ist die Freude in den Gesichtern den Anwesenden deutlich sichtbar. Sofort wird die 94-Jährige in Empfang genommen und in die Wirtschaft geleitet. Nach zahlreichen Begrüßungen werden mitgebrachte Fotos von früher verteilt und ausgelassen über alte Zeiten gesprochen. Wie war das denn damals?

Die 50er-Jahre, "eine harte, schwierige Zeit"

"Eine harte, schwierige Zeit", betont die ehemalige Lehrerin der Schillerschule im Gespräch mehrfach. Weil alle Lehrer, die zu den Nationalsozialisten gehörten, also fast alle, nach Kriegsende entlassen wurden, herrschte extremer Lehrermangel. Ahlswede stammt aus einer Lehrerfamilie und wollte ebenfalls den Beruf ergreifen.

Doch sie durfte erstmal nicht studieren, sondern musste wegen des Mangels mit 19 Jahren direkt eine Klasse übernehmen. "Ich arbeitete in Vollzeit und musste das Studium der Mathematik noch nebenbei machen", so die Freitalerin. Große Verantwortung für eine fast noch Jugendliche.

Um sich in diesem Alter Respekt bei den Schülerinnen und Schülern zu verschaffen, war die junge Lehrerin von Anfang an bewusst streng. Das sagt sie auch selbst über sich. "Wenn Frau Ahlswede oben im Klassenzimmer laut wurde, haben wir sogar unten auf dem Pausenhof gezuckt", berichtet Kraft schmunzelnd. Aber sie galt auch als besonders engagiert. Ob bei der Organisation von Klassenfahrten und Ausflügen oder bei Aktionen, wie der Altstoffsammlung, um Spenden für Vietnam zu sammeln, als Krieg im sozialistischen Bruderland herrschte.

"Ich habe ihr viel zu verdanken. So eine tolle Lehrerin hatte ich danach nie wieder", sagt Veronika Marschall, während die 94-Jährige und sie durch die Fotos stöbern. "Ich erinnere mich noch gut, dass Frau Ahlswede mir damals manchmal ein kleines Weingummi auf den Platz gelegt hatte, als ich von der Pause zurückkam", so Marschall. "Was, ich? Nein, da müssen Sie mich verwechseln", antwortet die ehemalige Lehrerin. "Doch, doch das waren Sie!", sagt Erstere. "Na gut, wenn Sie meinen", sagt Ingeborg Ahlswede und lächelt amüsiert.