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Das 3.000 Jahre alte Steinwerkzeug vom Oelsaer Acker

Kinderreporter Eddie entdeckt ein von Menschen geschaffenes Relikt aus der Bronzezeit. Im Landesamt für Archäologie in Dresden erfährt er, was es ist.

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Kinderreporter Eddie mit seinem bronzezeitlichen Steinfund vor dem 			Landesamt für Archäologie in Dresden-Klotzsche.
Kinderreporter Eddie mit seinem bronzezeitlichen Steinfund vor dem Landesamt für Archäologie in Dresden-Klotzsche. © Matthias Schildbach

Von Matthias Schildbach

"Schau mal, hab ich gefunden!" So fing es an, als Eddies Papa einen aufgesammelten Stein von unterwegs auf den Tisch legt. Eddie ist leidenschaftlicher Steinsammler. Was Eddies Papa da beiläufig an einem Feldrand zwischen Oelsa und Seifersdorf aufgelesen hat, wird in Eddies Fantasie zu einer Pfeilspitze aus Feuerstein der Urmenschen. Der flache, etwa fünf Zentimeter lange Feuerstein sieht aus, als wäre er von Menschenhand erst in diese Form gebracht worden. Aber vielleicht ist das gar nicht so weit hergeholt?

Frag doch mal den Archäologen

Eddies Spekulationen über den Stein erscheinen selbst den Erwachsenen plausibel. Der Stein wird fotografiert und mit einer Beschreibung, wie und wo er gefunden wurde, per E-Mail ans Landesamt für Archäologie in Dresden geschickt. Die Antwort kommt prompt: Der Stein weist eindeutig Spuren menschlicher Bearbeitung auf. Und diese sind deutlich älter als eintausend Jahre. Eddie ist platt und will mehr wissen.

Zwei Wochen Später steht er vorm Landesamt für Archäologie, das sich im ehemaligen Kasernenkomplex in Dresden-Klotzsche befindet. Ingo Kraft, Referatsleiter für Ostsachsen in der archäologischen Denkmalpflege, wird wissen, ob der Feuerstein ein Geheimnis birgt oder nicht. Er nimmt sich Zeit für Eddie und seine Fragen, die der Kinderreporter am Vorabend in sein Notizbuch geschrieben hat.

Frage-technisch vom Kinderreporter in die Mangel genommen: Ingo Kraft, Referatsleiter für Ostsachsen in der archäologischen Denkmalpflege.
Frage-technisch vom Kinderreporter in die Mangel genommen: Ingo Kraft, Referatsleiter für Ostsachsen in der archäologischen Denkmalpflege. © Matthias Schildbach

Am Computer erklärt der Archäologe Eddie, wie man in der Steinzeit Werkzeuge herstellte. Von einem gekappten "Kernstein" schlug man von oben nach unten Bahnen ab. Die klingenartigen Bruchstücke waren gut zu gebrauchen und wurden umgeändert zu einer Vielzahl von Werkzeugen. Bei denen wiederum erkennt man eine Bearbeitung an einer bestimmten Seite, zum Beispiel eine geschärfte Klinge, Sägezähne oder eine Spitze. Das waren dann Schaber, Kratzer oder Bohrer. Übrig blieb oft ein abgebauter "Kernstein", der dann wertlos war, oder abgeschlagene Bruchstücke, die für wertlos befunden wurden. Eddies Stein ist eines dieser abgeschlagenen Werkabfälle.

Oelsaer Fund: Ein Relikt aus der Eiszeit?

Für Eddie ist der gefundene Stein nah dran an den Ice-Age-Filmen, die er so mag. Stammt der Stein aus der Eiszeit?, fragt er. Ganz leugnen kann es Kraft nicht. Die Eiszeit ist ein Zeitalter, in dem beide Polkappen mit Eis versehen sind. Wir leben tatsächlich gerade in einer Eiszeit, in einer wärmeren Kurzphase. In der letzten großen Eiszeit, der Weichsel-Eiszeit, blieben die Gletscher zwischen Ostsee und Berlin stecken. Sie endete erst vor etwa 11.500 Jahren. Aber in der Elster-Eiszeit vor über 350.000 Jahren kamen die Gletscher bis hierher. Aus beiden Eiszeiten stammt der von Menschenhand bearbeitete Stein höchstwahrscheinlich nicht.

Seine nächste Frage, ob ein Neandertaler mit der Klinge mal Mammutfleisch geschnitten hat, lässt Kraft lachen. Von der linkselbischen Seite existieren tatsächlich etliche Mammutfunde aus den Lehmgruben, beispielsweise in Dresden-Nickern und Prohlis. Nur haben die Neandertaler diese Klingentechnik selten bis gar nicht benutzt.

Das hat der Homo sapiens, also unser Vorfahr, getan. Er ist mit den letzten Mammuts in Kontakt gekommen, am Rande des Elbtals und sicher auch am Rande des Osterzgebirges. Aber Eddies Steinwerkzeug wurde wohl eher am Ende der Bronzezeit bearbeitet. Es tauchen auf bronzezeitlichen Ausgrabungsstellen immer wieder solche steinernen Feuersteinabschläge auf. Metall konnte man zwar schon herstellen, aber es war selten und kostbar, man nutzte immer wieder die überall verfügbaren Ressourcen Holz und Steine. Etwa 3.000 Jahre alt ist also Eddies "Werkzeugherstellungsabfall".

Nun möchte Eddie noch wissen, ob da, wo der Stein gefunden wurde, eine große Werkstatt zur Herstellung von Steinwerkzeugen war? Nein, das ganz gewiss nicht, sagt Kraft. Solche Werkzeuge wurden beiläufig hergestellt, man setzte sich einfach hin und machte das, alltäglich, überall. Ob die Herstellung genau am Fundort erfolgte, weiß heute niemand mehr zu sagen. Kraft formuliert es vorsichtiger: Wahrscheinlich in der näheren Umgebung, denn während drei Jahrtausenden gab es unendlich viel Veränderungen, wie Bodenerosion und Bewegungen im Erdreich an diesem Ort.

Die Bronzezeit prägte die Region

Dass die Bronze- und die folgende Eisenzeit in unserer Region noch ganz andere Hinterlassenschaften preisgegeben haben, sieht man am Schmuckfund von Pratzschwitz. Pratzschwitz kennt Eddie, das ist bei Pirna, da war er schon mal baden im Kiessee. Ja, sagt Kraft, und nah an der Elbe fand man bei den Baggerarbeiten für eine neue Kiesgrube vor sechs Jahren einen in Sachsen bislang einzigartigen Fund.

Da liegt er, ein echter Faustkeil, tausende Jahre alt. Wahrscheinlich entstand Eddies Steinfragment bei der Herstellung eines solchen Steinwerkzeuges.
Da liegt er, ein echter Faustkeil, tausende Jahre alt. Wahrscheinlich entstand Eddies Steinfragment bei der Herstellung eines solchen Steinwerkzeuges. © Matthias Schildbach

Einen Prunkschmuck aus der sogenannten frühen Laténezeit, etwa 450 v. Chr. La Téne, ist ein Fundort in der Schweiz, nachdem die Archäologen einen ganzen Zeitabschnitt benannten. Solch einen Prunkschmuck hat man in derartiger Zusammenstellung und Qualität in Sachsen noch nie gesehen. Zum Fund gehörten drei aufwändig verzierte Fibeln, das waren eine Art Sicherheitsnadeln zum Verschließen von Gewändern, einem ehemals goldglänzenden bronzenen Kettencollier und fast 500 Bernstein- und Glasperlen. Der Schmuck gehörte sicherlich einem hohen Würdenträger. Einem Häuptling, fragte Eddie? Wahrscheinlich eher einer hoch angesehenen Frau – wegen der vielen Perlen, sagt Kraft. Jedenfalls jemandem mit großem Einfluss. Daran erkennt man, dass die bronze- und eisenzeitlichen Menschen schon lange nicht mehr wie in der älteren Steinzeit lebten.

Archäologen sind auf Hinweise angewiesen

Archäologen können nicht immer alles selbst entdecken. Dafür gibt es zu wenige in Sachsen. Deshalb sind sie auf Hinweise angewiesen. Wie auf Eddies Stein. Wenn wir etwas finden, ist es nicht falsch, sich Gedanken zu machen, was das ist. "Wenn Du meinst, das wären menschliche Zeugnisse der Vergangenheit, meldest Du Dich bei mir", sagt Kraft. "Findest Du einen Dinosaurierknochen, bin ich nicht zuständig, das wären die Paläontologen. Aber sind Muster in die Knochen eingeritzt, wäre ich wieder der Ansprechpartner. Die Archäologen antworten Dir und schätzen den Fund ein. Besser ist, nicht jede einzelne Scherbe zu melden, sondern dann, wenn man schon ein paar Stücke zusammen hat."

Am Ende darf Kinderreporter Eddie noch einen exklusiven Blick ins Depot des Landesamtes für Archäologie werfen. Hier sind weit über 20 Millionen Artefakte und Fundobjekte verwahrt. Seinen bronzezeitlichen "Werkzeugherstellungsabfall"-Stein darf Eddie wieder mitnehmen. Er will ihn aber nicht ewig behalten, denn eigentlich gehört er in ein Museum.