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Wie lebt man weiter, wenn das Haus abbrennt?

Veronika und Ulrich Meißner aus Altbernsdorf haben vor einem Jahr alles verloren. Jetzt berichten sie über Trauer, Dankbarkeit und Perspektiven.

Von Anja Beutler
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Ein Stück Hoffnung: Veronika Meißner zeigt, wie das neue Haus für sie und ihren Mann Ulrich in Altbernsdorf aussehen soll.
Ein Stück Hoffnung: Veronika Meißner zeigt, wie das neue Haus für sie und ihren Mann Ulrich in Altbernsdorf aussehen soll. © Matthias Weber/photoweber.de

Das jüngste Weihnachtsfest haben Veronika und Ulrich Meißner in Altbernsdorf fast schmucklos begangen. Lediglich drei Räuchermännchen stehen auf dem Fensterbrett, ein kleiner Schwibbogen, ein Engel und eine einzige Stumpenkerze, die in einem hohen Windlicht "eingesperrt" ist. Vor allem aber fehlte eines: der Weihnachtsbaum. "Nein, das konnten wir nicht. Keine Kerzen. Kein Weihnachtsbaum", sagt Veronika Meißner. Denn ein Weihnachtsbaum war es, mit dem die größte Tragödie in ihrem Leben begonnen hat.

Vor genau einem Jahr - am 10. Januar, einem Montag - haben Meißners gemütlich in der guten Stube beim Mittagessen gesessen. Dort stand der Weihnachtsbaum, den sie an diesem Tage noch abschmücken wollten. Er war traditionell mit echten Kerzen bestückt. "Da die Kerzen nur einmal kurz Heiligabend gebrannt hatten und noch sehr groß waren, haben wir beschlossen, sie zum Mittagessen noch einmal anzuzünden", erinnert sich Veronika Meißner. Eine der Kerzen war allerdings locker und kippte um. "Und dann stand ganz schnell der Baum in Flammen", erinnert sich die 81-Jährige.

Beide verließen rasch den Raum. Der Versuch von Ulrich Meißner, dem Feuer doch noch Einhalt zu gebieten, war gefährlich und vergeblich: Zu schnell fraßen sich die Flammen in das alte Fachwerkhaus aus der Zeit um 1860, das innen vom Hausherrn in liebevoller Handarbeit mit viel Holz ausgebaut und verkleidet worden war. Die Flammen fanden in den 3.000 bis 4.000 Büchern Nahrung, die seine Frau, eine leidenschaftliche Leserin, über Jahrzehnte gesammelt hatte. "Man steht sofort mitten im Feuer. Gase, Rauch und Ruß verhindern, dass man da noch etwas machen kann", schildert der 78-jährige Altbernsdorfer.

Mit dem nackten Leben davongekommen

An die Ankunft der Feuerwehren und den Transport ins Krankenhaus können sich die beiden noch erinnern: Verdacht auf Rauchgasvergiftung bestand, zudem waren Ulrich Meißners Haare und Kopfhaut leicht angesengt. Die Löscharbeiten haben sie nicht mehr gesehen. Nur daran, dass die Fensterscheiben wegen der Hitze barsten, kann sich Ulrich Meißner noch erinnern. Die beiden waren buchstäblich mit dem "nackten Leben" davongekommen. Als sie noch am selben Abend aus dem Krankenhaus in Zittau entlassen und zu ihrer Tochter nach Kemnitz gebracht wurden, kamen sie ohne Jacke und in Hausschuhen an. Weder Ausweispapiere, noch Hygieneartikel oder Wechselsachen besaßen die beiden noch.

Das abgebrannte Wohnhaus der Meißners in Altbernsdorf kurz nach dem Unglück.
Das abgebrannte Wohnhaus der Meißners in Altbernsdorf kurz nach dem Unglück. © Anja Beutler

In den Flammen untergegangen waren auch die Medikamente. Ein Problem, denn Ulrich Meißner ist Diabetiker und auf seine Insulinspritzen angewiesen. "Zum Glück hat sich Dr. Müller sofort um alles gekümmert", erzählt Veronika Meißner. Wolfgang Müller, Chef der Notfallaufnahme am Krankenhaus Zittau und vor wenigen Wochen in den Ruhestand gegangen, kontaktierte die Hausärztin und leitete alles in die Wege. "Wir sind ihm und allen anderen, die uns geholfen haben, so dankbar", wird Veronika Meißner nicht müde zu betonen. Im Grund habe das ganze Dorf geholfen.

In der Tat war die Hilfsbereitschaft riesig: Die Kameraden der Altbernsdorfer Feuerwehr sind sofort nach dem Unglück mit der Sammelbüchse losgegangen. Die Stadtverwaltung hat bei der Suche nach einer neuen Unterkunft geholfen. Bekannte und Verwandte boten Kleidung und später auch Möbel für die neue Erstausstattung an oder schickten den beiden Geld für die nötigsten Neuanschaffungen. "Sehr dankbar sind wir meiner Schwester, dem Schwager, unserer Tochter und dem Schwiegersohn für die Hilfe bei allem, was es dann zu erledigen gab", hebt Veronika Meißner hervor. Bei der Tochter wohnten sie auch rund zwei Wochen, zogen dann in eine Ferienwohnung in Altbernsdorf und im April in eine Wohnung in der Sonnensiedlung um.

Auch wenn Meißners äußerlich gefasst und ruhig wirken - tiefe Narben sind geblieben: "Zum Haus konnten wir nicht gleich gehen", sagen beide und schütteln den Kopf. Die Ruine ihres einst so gemütlichen Zuhauses, das sie 1966 gekauft hatten, haben sie erst rund zwei Wochen nach dem Brand gesehen. "Ich war mit dem Schwager dort", sagt Veronika Meißner. Sie schaute in ihrem Büro im hinteren Teil des Hauses nach wichtigen Unterlagen. Denn dort hatte das Feuer nicht so gewütet: "Ich habe in einem Schrank meine Tasche samt Portemonnaie und Ausweisen gefunden", erinnert sie sich. Auch die Geldbörse ihres Mannes, die er immer in einen kleinen Schrank im Flur deponiert hatte, kam ebenfalls unversehrt zum Vorschein. Schmunzeln müssen Meißners, wenn sie daran denken, dass sie aus der Waschmaschine noch Bekleidung retten konnten - wenn auch ungewaschen, weil sie an jenem Unglückstag noch nicht eingeschaltet worden war.

Modelleisenbahn, Fotoausrüstung, Bücher - alles weg

Viele andere Dinge aber, die so selbstverständlich zum Leben gehört haben, sind verloren. Veronika Meißner vermisst ihre Katze - und ihre Bücher. Der traurige Blick auf die Schrankwand mit einem Dutzend Exemplaren spricht Bände. Verloren ist auch die große Modellbahnanlage von Ulrich Meißner auf dem Dachboden. "Da bin ich oft mal eine halbe Stunde hochgegangen", sagt er resigniert. Auch seine Foto- und Diasammlung existiert nicht mehr, selbst über eine Kamera verfügt der Hobbyfotograf seit dem Brand nicht mehr. Ein herber Schlag war auch, dass Diebe kurz nach dem Feuer aus dem unversehrten Werkstattschuppen neben dem Haus teure Werkzeuge stahlen. Die brauchte Ulrich Meißner zum Basteln und Drechseln.

Vieles hat er selbst gemacht - auch die drei Räuchermännchen, die jetzt auf dem Fensterbrett stehen. "Die gehören unserer Tochter, aber sie hat sie uns gebracht, weil unsere alle verbrannt sind", erklärt er. Vielleicht stehen die drei zum nächsten Weihnachtsfest im neuen Haus an der alten Adresse der Meißners. Im Dezember kam nach langem Kampf die Zusage der Versicherung zum Neubau. Der Entwurf des nun flachen, neuen Hauses ist schon da, erste Materialien beschafft und die Baugenehmigung beantragt. "Mein Wunsch war immer, dort wieder ein Haus aufzubauen", sagt Veronika Meißner. Der Gedanke daran lässt ihre Augen strahlen.