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Rundfunk-Debatte: Erfüllt der MDR seinen Auftrag?

Zwar leistet der MDR viel, qualitativ und quantitativ. Doch auch er hat großen Reformbedarf und spart an manch falscher Stelle. Ein Gastbeitrag.

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Der MDR punktet mit Quotenhits wie "In aller Freundschaft" mit Dr. Kathrin Globisch (Andrea Kathrin Loewig), Dr. Roland Heilmann (Thomas Rühmann) und Dr. Martin Stein (Bernhard Bettermann).
Der MDR punktet mit Quotenhits wie "In aller Freundschaft" mit Dr. Kathrin Globisch (Andrea Kathrin Loewig), Dr. Roland Heilmann (Thomas Rühmann) und Dr. Martin Stein (Bernhard Bettermann). © MDR/HA Kommunikation

Von Heiko Hilker

In der medienpolitischen Debatte geht es um Vieles. Die kleinen Sender wie Saarländischer Rundfunk und Radio Bremen sollten von größeren übernommen werden. Die ARD sollte mehr regional, das ZDF mehr national und international berichten. ZDF und Deutschlandradio könnten fusionieren. Doppelberichterstattung müsse vermieden werden. Die Sender sollten im Internet mehr (oder weniger) machen. Ein Zukunftsrat fordert gar, dass die ARD eine weitere, zwölfte Anstalt als Zentraleinheit haben müsse. Insbesondere über die Höhe des Rundfunkbeitrags wird gestritten.

Über eines aber wird fast nie diskutiert: ob die Sender den Auftrag erfüllen, so wie er ihnen in den Staatsverträgen bzw. Gesetzen vorgegeben ist. Dies gilt übrigens auch für die privaten Sender. Wer nun behauptet, der MDR erfülle seinen Auftrag nicht, sollte auch sagen, was ihm konkret fehlt. Oft wird dann auf die eine oder andere Sendung oder einen einzelnen Bericht verwiesen. Aber der MDR liefert so einiges: zehn Radioprogramme sowie ein eigenes umfangreiches Fernsehprogramm. Er liefert für das Erste und Arte zu und hat über 90 Social-Media-Angebote sowie mehr als 150 Podcasts.

Medienvertrauen hängt von genereller Unzufriedenheit ab

Dieses umfangreiche Sortiment kann von einem Einzelnen kaum in vollem Umfang wahrgenommen, beobachtet und eingeschätzt werden. Deshalb hat der MDR nachzuweisen, dass er seinen Auftrag erfüllt, dass er Vielfalt abbildet, dass er die Qualitätsstandards bei allen Angeboten einhält. Dabei müsste er sich nicht an dem orientieren, was er anbietet, sondern an dem, was er als Auftrag erhalten hat.

Die Antworten auf die Vertrauensfragen sind da stets laut zu hören, aber letztlich irrelevant: Medienforschern ist seit langem klar, dass Medienvertrauen mit der generellen Unzufriedenheit mit dem politischen System und der Wahrnehmung einer geringen politischen Wirksamkeit zusammenhängt. Je stärker also die Zweifel am politischen System und das Gefühl der eigenen Wirkungslosigkeit, desto kritischer wird die Berichterstattung in den klassischen Medien gesehen.

Auftrag: Meinungsbildung und damit Demokratie dienen

Der Rundfunk, die Radio- und Fernsehsender haben in Deutschland, so das Bundesverfassungsgericht, „keine Freiheit an sich“. Sie haben eine „dienende Freiheit“ und sollen unter anderem der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung und damit der Demokratie „dienen“. Das gilt übrigens nicht nur für ARD, ZDF und Deutschlandradio, die aus den Rundfunkbeiträgen finanziert werden. Das gilt auch für die privaten Sender wie RTL, Pro7, Sat.1, Radio PSR und Antenne Sachsen.

Eine Vielzahl an Sendern und Angeboten garantiert allerdings noch keine Vielfalt. Auch erweitert der MDR seine Vielfalt nicht allein dadurch, dass er über 150 Podcasts anbietet. Wenn aber Vielzahl nicht zugleich automatisch zu Vielfalt führt; wie kann sie dann erreicht werden? Wenn es um die politische Berichterstattung geht, muss der MDR alle Themen aufgreifen, die für Menschen relevant sind. Er muss diese journalistisch aufbereiten und unter anderem an die Regierenden herantragen und deren Reaktion entsprechend widerspiegeln.

Es gibt viele Kriege - aber im Fernsehen nur zwei

Der MDR muss die Informationen und Hintergründe zu Meinungsverschiedenheiten in einer Tiefe und Qualität aufarbeiten, die ihrer Komplexität gerecht wird: Je schwieriger und komplexer eine Fragestellung ist, desto notwendiger ist ihre inhaltliche Aufbereitung, und zwar in der Vielfalt der in der Gesellschaft vorhandenen Wertungen, Erfahrungen etc. Man bietet mehr als ein bloßes Abbild, nutzt alle journalistischen Möglichkeiten, also Bericht, Analyse und Kommentar. Nur so wird man dem Vielfaltsauftrag gerecht. Zugegeben, das klingt sehr allgemein.

Konkreter wird es im MDR-Staatsvertrag. Danach soll der MDR „in seinen Angeboten einen objektiven und umfassenden Überblick über das internationale [...] Geschehen“ geben. Derzeit gibt es weltweit über 20 Kriege und kriegerische Konflikte. Der MDR berichtet in angemessenem Umfang – so wie für Tagesschau und Tagesthemen – faktisch nur über zwei. Er vernachlässigt wie auch die Tagesschau den „globalen Süden“. Im 1. Halbjahr 2022 ging es in 41 Prozent der Tagesschau-Berichte um den Krieg in der Ukraine, 11,5 Prozent der Berichte handelten von der Corona-Pandemie, der Sport hatte einen Anteil von 7 Prozent und der weltweite Hunger lag bei 0,5 Prozent.

Mehr Infos über Regierungs- als über Oppositionsparteien

Wissenschaftler der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz haben die Themen-, Akteurs- und Perspektivenvielfalt von neun öffentlich-rechtlichen Medienformaten, darunter MDR aktuell (TV), mit der von 34 privaten Medienformaten verglichen. Sie stellten fest, dass „die Themenvielfalt als auch die Akteursvielfalt in den neun untersuchten öffentlich-rechtlichen Formaten durchweg hoch war. Natürlich wurden einige Themen deutlich häufiger behandelt als andere.

Vor allem den sehr deutlichen Sichtbarkeitsvorsprung der Regierungs- gegenüber den Oppositionsparteien kann man auch kritisch sehen. Die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Formate entsprach in dieser Hinsicht aber nahezu exakt der durchschnittlichen Berichterstattung der 34 Vergleichsmedien.“ Für den MDR wurde zudem eine geringere Vielfalt als für die anderen öffentlich-rechtlichen Sender festgestellt. Doch gelten nicht für die öffentlich-rechtlichen Sender höhere Ansprüche?

Nicht mehr in der Lage, den regionalen Auftrag zu erfüllen

Ein Vorurteil konnten Autoren ausräumen: dass einzelne Parteien bevorzugt werden. Die wertende Darstellung der politischen Akteure fiel unabhängig von der politischen Herkunft bei weitem überwiegend negativ aus. Doch der MDR hat auch einen regionalen Auftrag. Er „soll insbesondere das öffentliche Geschehen, die politischen Ereignisse, die Entwicklung von Klima und Umwelt, das kulturelle Leben sowie die wirtschaftliche Entwicklung in den jeweiligen Ländern und ihren Regionen darstellen und einordnen.“

Wie groß ist eine solche Region? Ist das ein Landkreis? Dann müsste der MDR über alle Entwicklungen in den Landkreisen berichten. Das leistet er nicht. Zudem will er sich an der Zentralisierung der ARD beteiligen. Die ARD will Kompetenzcenter schaffen. Dann ist eine Anstalt zuständig für das Klima, die andere für Gesundheit, eine weitere für Verbraucherthemen. Damit werden regionale Themen und Akteure bedeutend weniger vorkommen. Damit ist der MDR nicht mehr in der Lage, dem regionalen Auftrag gerecht zu werden.

Seit Jahren entwertet der MDR seine Radioprogramme

Mit dem 3. Medienstaatsvertrag wurde vor einem Jahr die Kultur aufgewertet. Doch die Sender haben die Kulturberichterstattung weder im Ersten noch in den eigenen Programmen ausgebaut. In den Radioprogrammen MDR Kultur und MDR Klassik wird sie sogar reduziert, will der MDR doch in Zukunft von 20 bis 6 Uhr, also 40 Prozent des Programms, zumeist von anderen Sendern übernehmen. Damit wird bundesweit Vielfalt abgebaut. Regionale Inhalte werden reduziert, und schon seit Jahren entwertet der MDR seine Radioprogramme, die Zahl der eigenproduzierten Beiträge nimmt ab, die Studiogespräche nehmen zu.

Wer beim MDR nach einer Besprechung relevanter Filme, Theaterinszenierungen, Opernpremieren, Konzerte sowie Bücher oder Musik-Alben aus der Region sucht, kann fündig werden. Allerdings wird die vielfältige Landschaft nicht abgebildet. Mehrere Besprechungen, die sich einem Gegenstand widmen, findet man selten. So wird der Sender dem Kulturauftrag nicht gerecht. Da hilft es auch nicht, den Kulturbegriff etwa um Bodybuilding zu erweitern.

Es gibt vor allem Krimis, Sport und Talkshows

Jeder qualifizierte Radiomacher weiß, dass die Nachrichten auf die jeweiligen Zielgruppen abgestimmt sein müssen. Es wird anders getextet. Man interessiert sich für andere Themen. Es ist kein Skandal, wenn sich Nachrichten substanziell voneinander unterscheiden. Das ist gutes Nachrichtenhandwerk. Beim MDR gilt diese Grundregel nicht mehr. Über 20 Prozent des Etats des MDR fließen in die ARD. Auch die hat einen Auftrag: Die Vielfalt von Kultur, Bildung, Information und Beratung sowie Unterhaltung soll „über alle Tageszeiten hinweg“ im Ersten wahrnehmbar sein.

Doch in der Primetime läuft kein Kulturmagazin. Animationsfilme sind die seltene Ausnahme. Genreübergreifende Angebote findet man nicht. Es gibt vor allem Krimis, Sport (vor allem Fußball bzw. Skisport) und Talkshows. In 2022 kostete der Sport im Ersten über 430 Mio. Euro, die Information lag bei 399 Millionen Euro. Die Sender investieren nur etwa 110 Millionen im Jahr in Angebote für Kinder. Das sind etwas mehr als ein Prozent der Gesamtausgaben. Dabei werden in der Kindheit die Hör- und Sehgewohnheiten sowie die Nutzungsmuster geprägt.

Weniger von ARD übernehmen, mehr selber machen

Die Intendanten wollen, dass die ARD mit Netflix und den anderen Streamern konkurrieren kann. Dementsprechend soll es national und international relevante Hochglanzproduktionen geben. Doch das Alleinstellungsmerkmal der Sender liegt im Regionalen. Da macht ihnen kein Netflix und kein Amazon Konkurrenz. Dort liegt ihr Auftrag. Daraus ergibt sich ihre Beitragsfinanzierung.

Der MDR hat allerdings noch mehr zu leisten. Wenn die „ostdeutschen“ Bundesländer ein eigener Kultur- und Orientierungsraum sind, wenn sie sich auf Dauer von den anderen Bundesländern unterscheiden, dann brauchen diese Länder auch ein eigenes umfangreiches Medienangebot. Der MDR dürfte also nicht mehr von anderen Sendern übernehmen, er muss – möglichst abgestimmt mit rbb und NDR – mehr selber machen und anbieten. Rund um die Uhr.

Unser Gastautor Heiko Hilker ist Medienpolitiker. Er wurde 1966 in Eberswalde geboren. Hilker sitzt als Vertreter des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) Sachsen im MDR-Rundfunkrat und ist Vorsitzender der Linkspartei-Fraktion im Kreistag Döbeln.