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Getrennt und heillos zerstritten: Was tun, damit Kinder weniger leiden?

Hassen sich die Eltern, geraten Kinder in Loyalitätskonflikte. Diplompädagogin Garnet Helm aus Dresden berät in solchen Fällen und zeigt Lösungen und Grenzen.

Von Susanne Plecher
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Trennen sich die Eltern, muss sich die ganze Familie neu aufstellen. Die Leidtragenden sind meist die Kinder.
Trennen sich die Eltern, muss sich die ganze Familie neu aufstellen. Die Leidtragenden sind meist die Kinder. © Foto: SZ/Veit Hengst

Die Beziehung ist gescheitert, die Expartner sind so wütend aufeinander oder enttäuscht voneinander, dass sie am liebsten nie wieder ein Wort miteinander wechseln würden. Da sie aber gemeinsame Kinder haben, müssen sie – und geraten jedes Mal in Rage, wenn Alltagsdinge abzustimmen sind. Es ist ihnen nicht möglich, im Sinne des Kindes eine Lösung zu finden. Hochstrittig heißt der Zustand im Vokabular der Paartherapeuten und Sozialpädagogen. Was das bedeutet, erklärt Garnet Helm vom Malwina e.V. in Dresden.

Frau Helm, wie viele getrennte Elternpaare suchen bei Ihnen Rat?

Der Anteil der Beratung von Paaren, die sich in Trennung befinden und weiterhin Eltern sein wollen, liegt bei circa 40 bis 50 Prozent. Sie kommen zu uns, weil sie Themen miteinander klären müssen, die sie allein nicht hinbekommen. Sehr häufig sind das Fragen wie: Wer hat wie viel Umgang? Aber auch Alltagsprobleme, die durch die Umgänge erzeugt werden: Wer hat welche Verantwortung für Arztbesuche/Schule/Hausaufgaben? Wer schafft was an? Wer bezahlt was? Alles, was im Alltag eine Rolle spielt und oft schon bei Eltern, die zusammen sind, strittig ist, versuchen wir, hier zu klären. Etwa bei der Hälfte ist es aus fachlicher Sicht zwingend erforderlich, mit zwei Beratern zu arbeiten.

Warum?

Um die Neutralität zu wahren und das Vier-Augen- und Vier-Ohren-Prinzip zu haben. Im Nachgespräch können wir Kollegen untereinander besser nachvollzeihen, wer was wie gesagt hat. Das hilft uns bei den kommenden Terminen. Und es eröffnet uns mehr Möglichkeiten. Wir können dann hochstrittige Paare während der Beratung trennen und wieder zusammenführen. Manche können nicht miteinander in einem Raum sitzen. Wir sprechen mit den Eltern einzeln, um herauszufinden, was dahinter steht, wie sie sich gegenseitig triggern und wie man ein bisschen Entspannung reinbringen kann.

Was ist das Ziel der Beratungen?

Unser Fokus liegt bei den Kindern, auch wenn wir sie meist gar nicht zu Gesicht bekommen. Das Ziel ist, dass wir die Eltern wieder dazu befähigen, in ihre Elternschaft und Elternverantwortung zu kommen. Gerade im hochstrittigen Bereich gerät das Kind mindestens aus dem Blick, wenn es nicht sogar benutzt wird. Wir können nur so mit den Eltern arbeiten, dass wir herausfinden, welche Sorgen und Ängste es gibt. Wir stellen immer wieder das Kinderwohl in den Vordergrund und wollen sie dazu befähigen, wieder für die Kinder zu denken.

Kommen die Eltern von selbst hierher, um sich Hilfe zu suchen?

Zum Teil. Es gibt aber auch Eltern, die Auflagen nach einem Umgangs- oder Sorgerechtsverfahren dazu verpflichten.

Garnet Helm aus Dresden ist Diplompädagogin, Supervisorin (DGSv), Eltern-Säuglings-Kleinkindberaterin Kinderschutzfachkraft und bildet sich derzeit noch zur systemischen Kinder- und Jugendlichen Psychotherapeutin fort.
Garnet Helm aus Dresden ist Diplompädagogin, Supervisorin (DGSv), Eltern-Säuglings-Kleinkindberaterin Kinderschutzfachkraft und bildet sich derzeit noch zur systemischen Kinder- und Jugendlichen Psychotherapeutin fort. © Foto: SZ/Veit Hengst

Wie viele Beratungen sind nötig?

Das ist sehr offen. Manche Elternpaare kommen einmal im Jahr zu uns und klären für das Jahr den Umgang. Es gibt Paare, die am Anfang einer hochstrittigen und eskalativen Trennung aller drei oder vier Wochen kommen – und dann schleicht sich das aus. Für die Trennungsberatung versuchen wir, auf Grundlage der Forschung der letzten Jahre zu den Hochstrittigen, eine Ergebniskontrolle aus Sicht des Kindes zu machen. Das sind meist fünf Beratungen im Abstand von vier bis sechs Wochen. Dann schauen wir, ob sich für die Kinder in diesem halben Jahr etwas verbessert hat. Wenn nicht, melden wir das den Eltern zurück, sagen, dass wir uns Sorgen machen und dass sie einen anderen Weg gehen müssen. Der wäre dann zum Jugendamt oder vor Gericht.

Wie erheben Sie, ob sich etwas für das Kind verbessert hat?

Es gibt messbare Punkte. Zum Beispiel, wenn sich beide Seiten vorher nicht einigen konnten, wann das Kind wo ist – und dann gibt es eine Regelung. Oder die Eltern wissen jetzt, wie die Wechsel oder die Übergaben stattfinden. Oder wenn das Kind viel offener ist. Zum Teil melden sie sich an, weil das Kind vermeintliche Probleme ausagiert, wie „Ich will nicht mehr zum Papa/zur Mama.“ Dann steht der Verdacht im Raum, der andere Elternteil hätte es beeinflusst. Reduziert sich das, ist es ein Zeichen dafür, dass es dem Kind bessergeht. Es hat es dann nicht mehr nötig, in diesem Loyalitätskonflikt zu agieren.

Wo hat die Beratung Grenzen?

Wir sind nicht die letzte Instanz. Bewegen sich die Eltern nicht aufeinander zu oder wird von uns – unausgesprochen– erwartet, dass wir den anderen überzeugen sollen, sind wir raus. Dann ist Beratung nicht das richtige Mittel, denn sie geht nur, wenn beide prinzipiell bereit sind, am Zustand etwas zu ändern. Unser Job ist, Eltern darin zu begleiten, eine Lösung zu finden.

In wie vielen Prozent der Fälle kommen Sie nicht mehr weiter?

Die offiziellen Statistiken sagen, dass es unter den Hochstrittigen 40 Prozent sind. Das spiegelt auch unsere Erfahrungen wider.

Warum kriegen sie das nicht hin? Es geht doch um das Wohl ihrer Kinder.

Häufig stehen bei den Eltern Persönlichkeitsakzentuierungen hinter diesen Problematiken, also Auffälligkeiten, Verletzungen, alte Muster, die sie dazu gebracht haben, so zu reagieren. Wenn sie sich begegnen, rasten sie ein und machen Dinge, die automatisch passieren. Sie kommen immer wieder in diese Schleife und streiten sich ohne Lösung. Darin liegt auch der Dauerstress der Kinder: Wenn das eine Elternteil den anderen vor dem Kind abwertet oder wenn es sogar Gewalt zwischen den Eltern gibt. Diese Themen sind für das Kind entwicklungsgefährdend.

Familien in Sachsen

  • 527.000 Familien mit Kindern unter 18 Jahren leben in Sachsen. Das ergeben Daten des Mikrozensus von 2022.
  • Die meisten Paare (etwa 221.000) sind verheiratet, rund 96.000 leben ohne Trauschein zusammen.
  • 96.000 Eltern sind alleinerziehend.
  • In den Familien leben 667.000 Minderjährige. 4.812 von ihnen wurden2022 zu Scheidungskindern. (Quelle: Statistisches Landesamt Kamenz)
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Wie ist die Nachfrage nach Terminen?

Hoch. Sie steigt monatlich. Wir haben einen Vorlauf von sechs Wochen. Bei den Hochstrittigen dauert es noch länger.

Wie erklären Sie sich das?

Die Trennungen steigen, und die Vielfalt der Familienkonstellationen ist im Vergleich zu vor zehn Jahren größer. Wir haben hier Familien, die in mehrfacher Patchwork-Konstellation ihren Alltag managen – mit Expartnern und Kindern, die in unterschiedlichen Wechseln sind. Es ist klar, dass es mehr Konflikte gibt. Die strittigen Fälle sind nicht unbedingt mehr geworden, aber sie sind komplexer und komplizierter.

Die Beratung ist ein kostenloses Angebot, das von den Kommunen finanziert wird. Hier finden Sie Beratungsstellen in Sachsen.

Hilfe gibt es hier auch online.