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Leben und Stil

„Blöde Mama!“ - Was tun, wenn das Kind Schimpfwörter nutzt?

Kinder provozieren oft und benutzen Schimpfwörter. Darauf lässt sich besser reagieren als mit Sanktionen, sagt Erziehungsberater Ritzer-Sachs.

Von Susanne Plecher
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Bätsch, ich mache, was ich will!
Bätsch, ich mache, was ich will! © 123rf

Selbst der Dalai Lama und der Papst nutzen manchmal hässliche Worte. Davon ist Ulric Ritzer-Sachs überzeugt. Der Sozialpädagoge arbeitet bei der Onlineberatung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke), und hat oft mit Eltern zu tun, die ganz unglücklich über manches Schimpfwort aus dem Mund ihres Kindes sind. Er weiß Abhilfe.

Herr Ritzer-Sachs, schimpfen und fluchen Kinder aus den gleichen Gründen wie wir Erwachsene?

Prinzipiell ja. Wenn etwas schiefgelaufen ist – mir fällt ein Teller runter und ich schreie laut ein blödes Schimpfwort –, dann möchte ich niemanden beleidigen. Ich ärgere mich und es tut einfach gut, sich das von der Seele zu schreien. Dabei kann ich meinen Ärger oder meinen Schreck loslassen. Es tut auch gut, Türen zu knallen. Aber das ist nicht empfehlenswert.

Was ist mit der bewussten Provokation? Nutze ich ein fieses Wort, ziehe ich ja Aufmerksamkeit auf mich.

Ja, es ist ein Unterschied, ob ich ein Schimpfwort schreie, weil ich mich ärgere oder ob ich jemanden beleidige. Wenn der Teller runterfällt und ich rufe laut „Scheiße“, will ich niemanden beleidigen. Wenn ich aber zu Mama sage: „Du bist Scheiße“, dann geht das nicht. Das ist ein großer Unterschied. Aber kleine Kinder wollen nicht beleidigen, sondern sich ausprobieren.

Ulric Ritzer-Sachs, 57, ist Sozialpädagoge. Seit über 20 Jahren arbeitet er in der Erziehungsberatung, seit 15 Jahren in der bke.
Ulric Ritzer-Sachs, 57, ist Sozialpädagoge. Seit über 20 Jahren arbeitet er in der Erziehungsberatung, seit 15 Jahren in der bke. © bke

Gibt es ein Alter, ab dem Kinder bewusst beleidigen?

Das lässt sich eher an der Reife als am Alter festmachen. Aber es lohnt sich, nachzufragen. Und man kann sagen: „Ich will nicht, dass Du das zu mir sagst, damit geht es mir schlecht.“ Denn das Schimpfwort kann eine Botschaft beinhalten, die das Kind noch gar nicht kennt. Bei einem jungen Kind ist es auch gar keine gute Idee, das Wort persönlich zu nehmen.

Wenn das Kind ruft: „Blöde Mama“, dann fühlt es das in dem Moment auch so, vielleicht, weil es keine Schokolade mehr bekommt. Aber es fühlt genauso, dass es die liebste Mama der Welt ist – und das ist viel stärker. Dann brauche ich das Kind nicht zu bestrafen. Wenn es das aber immer wiederholt: „Blöde Mama, blöde Mama, blöde Mama“ – dann muss ich es rausholen aus der Situation.

Haben Sie einen Trick dafür?

Wenn ein Kind so provoziert, kann ich nicht mehr erziehen. Dann muss ich weggehen oder die Situation verändern: „Oh, da klingelt gerade das Telefon, die Weltraumschimpfpolizei ist dran und will dich sprechen.“ Dann lacht das Kind – und ich habe es rausgeholt. Später, wenn ich es wieder erreichen kann, kann ich das Gespräch dann noch einmal auf die Situation lenken und fragen, was los war.

Sollte man nachfragen, wo das Kind ein böses Wort aufgeschnappt hat?

Das hat kaum einen Sinn. Das Kind weiß das meist gar nicht. Vielleicht hat es das auf der Straße aufgeschnappt, oder vielleicht hat es der Papa beim Autofahren gerufen.

Richtig, oft stammen die ärgsten Schimpfwörter von den Eltern selbst ...

Ja, die Eltern machen das und die Kinder nehmen es in ihren Sprachgebrauch auf. Ärgern sich Eltern über Schimpfwörter ihres Kindes, sollten sie sich deshalb erst einmal austauschen, welche Schimpfwörter sie bei welchen Gelegenheiten tatsächlich selbst benutzen. Das bringt viel Erkenntnis.

Wenn mir einer die Vorfahrt nimmt und ich beleidige ihn, dann rutscht mir das wahrscheinlich raus, weil ich erschrocken bin. Würde die Person vor mir stehen, dann würde ich das böse Wort nicht sagen. Denn dann ist der direkte Kontakt da. Aber Kinder schnappen das auch von großen Geschwistern oder im Kindergarten auf. Wenn das Kind dann ein besonders krasses Schimpfwort sagt, kommt sofort eine Reaktion.

Wenn ein Vierjähriger – ich bin jetzt mal etwas hart – „du Arschwichser“ sagt, dann sind alle erst mal still. Denn so ein Wort kommt ja nicht bewusst aus dem Mund eines Vierjährigen. Es hat keinen Wert, Kinder dafür zu bestrafen.

Welche Reaktion wäre angemessen?

Ich könnte ganz nüchtern erklären, was ein Hurensohn ist: „Weißt, du, was das Wort bedeutet? Ich erkläre es dir. Und jetzt kannst du dir überlegen, ob das ein Wort ist, das du gern benutzen möchtest, vor allem, wenn du es zu deinem Bruder sagst. Denn das verletzt mich.“ Das kann man nicht mit einem Dreijährigen, aber mit einem Sechs- oder Siebenjährigen schon. Das Schwere dabei ist, nicht genervt zu sein, nicht zu schimpfen, nicht zu sehr zu moralisieren, sondern nüchtern und sachlich darüber zu sprechen.

Warum sollte man das tun?

Um den Kindern nicht die Bühne zu geben, dass ich nach einem solchen Wort ausraste. Denn dann kann sie ausgenutzt werden.

Was halten Sie davon, durchzuatmen und zu ignorieren, was das Kind sagt?

Wenn Eltern das aushalten, können sie das gelegentlich machen, ja.