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Leben und Stil

Darf sich die Familie in die Erziehung einmischen?

Das Kind nascht zu viel, schaut zu lange aufs Tablet, fällt Erwachsenen ins Wort? Was Sie als Familienmitglied dann tun können, sagt Erziehungsberater Ulric Ritzer-Sachs.

Von Susanne Plecher
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Hm, lecker so ein Schokoriegel. Aber muss das denn in dem Alter wirklich schon sein?
Hm, lecker so ein Schokoriegel. Aber muss das denn in dem Alter wirklich schon sein? © 123rf

Victoria Neumann* juckt es unter den Nägeln. Die Pirnaerin macht sich Sorgen um ihre Nichte. Viereinhalb ist Mia, aufgeweckt und fröhlich. Aber das, was mal niedlicher Babyspeck war, bekommt sie nicht los, im Gegenteil. „Sobald sie etwas Süßes haben möchte, gibt es auch etwas. Eis, Schokoriegel, Bonbons. Das ist eindeutig zu viel Zucker“, sagt die Tante.

Sie befürchtet, dass das Kind dauerhaft übergewichtig werden und deshalb in Kita oder Schule gehänselt werden könnte. Doch, kann sie Schwester und Schwager darauf ansprechen, ohne ihnen zu nahe zu treten und das gute Verhältnis zu belasten? Ulric Ritzer-Sachs ist Sozialpädagoge bei der Onlineberatung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke). Er kennt das Dilemma.

Herr Ritzer-Sachs, dürfen sich Großeltern, Tanten oder Onkel in die Erziehung einmischen?

Das Thema ist hochemotional behaftet. Meine Meinung ist: Eher raushalten. Es kommt aber darauf an. Wenn Großeltern oder Tanten, selbst Tageseltern – also alle, die mit den Kindern zu tun haben, Erziehungsaufgaben haben, müssen sie sich einbringen. Das geht nicht anders.

Was definieren Sie als Erziehungsaufgabe?

Angenommen, ein Kind wird mehrfach pro Woche von den Großeltern betreut, müssen sich die Eltern und Großeltern absprechen. Dann ist es wichtig, dass grundlegende erzieherische Haltungen ähnlich sind. Wenn das nicht gegeben ist, müssen die Unterschiede gegenseitig akzeptiert sein. Es ist wahrscheinlich nicht ganz so schlimm, ob das Kind um 18 oder 19 Uhr ins Bett geht. Absprachen braucht es aber, wenn die Unterschiede sehr groß sind.

Woran denken Sie da?

Zum Beispiel, ob Schweinefleisch wegen der Religionsausübung erlaubt ist oder nicht. Oder welcher Umgang mit Bildschirmmedien angemessen ist, oder ob ein Klaps auf den Po erlaubt ist oder nicht – meiner Meinung nach ist der nie gut – , oder ob 13-Jährige vielleicht schon ein Glas Wein trinken dürfen.

Verwandte und Freunde ohne Erziehungsaufgaben sollten sich demnach per se auf die Zunge beißen?

Sie sollten nur dann eingreifen, wenn sie Sorgen haben, dass etwas richtig schief gehen und das Kind einen Schaden nehmen würde. Dann ist es gut, der Tochter oder dem Sohn zu sagen: „Du, mir ist da was aufgefallen.“ Aber bitte ohne Vorwürfe.

Wo wäre das Ihrer Meinung nach denn angemessen?

Wenn das Kind anfängt, sichtbar übergewichtig zu sein, ist es ein gesundheitliches Risiko. Das ist ein schweres Thema, vor allem, wenn ein Elternteil oder vielleicht beide übergewichtig sind. Aber das heißt ja nicht, dass man es nicht ansprechen sollte. Man kann dann sagen: „Ich fände es gut, wenn ihr da was macht, ich mache mir Sorgen um mein Enkel.“ Gut wäre: „Kann ich euch helfen?“, das ist wirkungsvoller als „Ich weiß es besser.“

Weil das Ablehnung erzeugt?

Richtig. Wenn das nur gespürt wird, dass jemand meint, es besser zu wissen, weil er viel älter ist, dann gibt es Ärger. Es hängt viel davon ab, wie ich es vorbringe.

Ulric Ritzer-Sachs, 57, ist Sozialpädagoge. Seit über 20 Jahren arbeitet er in der Erziehungsberatung, seit 15 Jahren in der bke.
Ulric Ritzer-Sachs, 57, ist Sozialpädagoge. Seit über 20 Jahren arbeitet er in der Erziehungsberatung, seit 15 Jahren in der bke. © bke

An welchen Punkten würden Sie raten, gelassen zu bleiben?

Das ist der normale Zoff, den Eltern mit ihren Kindern haben. Sich da einzumischen, kann schnell heikel werden. Ein Beispiel wäre, wenn die Mutter den Nachtisch verbietet, weil das Kind nicht aufgegessen hat. Das ist vielleicht eine wenig hilfreiche Haltung, aber das Kind würde daran nicht zugrunde gehen. Großeltern oder Familienmitglieder, die das beobachten, könnten dann sagen: „Sag mal, hast du heute einen miesen Tag? Ich sehe, du bist angespannt. Soll ich mit der Kleinen mal auf den Spielplatz gehen und du legst dich auf die Couch?“ Das hilft viel mehr.

Was raten Sie, wenn man trotz einer solch freundlichen Ansage abgebügelt wird, man solle sich nicht einmischen?

Wenn akzeptieren geht, dann akzeptieren. Geht es aber um Kindeswohlgefährdung, würde ich mir bei Profis Rat holen. Man kann sowohl in die Onlineberatung kommen oder in die Beratungsstellen vor Ort. Dort kann man sich erst einmal ein Feedback holen. Wenn es ganz krasse Dinge sind, und die Kinder oft blaue Flecke haben, braucht es kein Beratungsgespräch, dann muss man zum Jugendamt gehen.

Bleiben wir beim Beispiel Ernährung. Lohnt es sich, penetrant nachzuhaken?

Das ist schwer pauschal zu sagen. Ich finde es gut, dran zu bleiben, wenn das Kind deutlich übergewichtig ist. Man kann sagen: „Wir haben vor vier Wochen schon mal geredet. Habt ihr schon mal überlegt, etwas zu machen?“ Wenn die Großeltern oder andere Leute denken, dass das Kind zu viel Süßigkeiten bekommt, aber fit ist, herumrennt, auf Bäume klettert, in den Sportverein geht, dann finde ich das nicht dramatisch. Natürlich ist es trotzdem ungesund, zu viele Süßigkeiten zu essen. Dann kann ich sagen, dass es mir aufgefallen ist. Dann sollte man akzeptieren, wenn die Eltern antworten, dass sie es im Griff haben.

Wie können sich die Eltern wohlgemeinte Ratschläge effektiv, aber freundlich vom Hals halten?

Da gibt es verschiedene Möglichkeiten: „Du hast schon recht, das zweite Eis hätte es nicht gebraucht.“ Oder: „Danke für deinen Ratschlag, wir machen es aber trotzdem anders.“

Das ist dann deutlich. Manchen Großeltern fällt es schwer, zu akzeptieren, dass die Kinder ihre eigenen Kinder ganz anders erziehen. Was hilft?

Als ich Kind war, war es üblich, das Kind stundenlang schreien zu lassen. Heute geht man davon aus, dass das falsch war. Manchmal ist es gut, eigene Positionen zu überdenken. Großeltern können aber immer auch gute Dinge beitragen und haben gute Ideen. Auch ihre Haltung kann sich im Lauf der Jahre geändert haben. Vielleicht wollen sie nicht, dass die Kinder die eigenen Fehler wiederholen. Da kann ich dann vielleicht wirklich mal sagen: „Hey, was du gerade machst, habe ich mit dir auch gemacht. Ich glaube, das hat dich damals ziemlich genervt. Heute weiß ich, dass es falsch war.“ Das wäre mal ein Eingeständnis.