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Er rettete Gerda

Wochenlang narrt ein verrücktes Autobahnhuhn die Dresdner Polizei. Doch dann kommt Marco Müller und wagt den Zugriff.

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© Tobias Wolf

Von Tobias Wolf

Er konnte sie nicht sitzen lassen: Marco Müller hat Autobahnhuhn Gerda gerettet. Einfach so ist dem 31-jährigen Mitarbeiter einer Baumaschinen-vermietung gelungen, was Polizisten wochenlang nicht mit Futter oder Schnelligkeit schafften. „Ich hätte nicht schlafen können, wenn ich es nicht versucht hätte“, sagt Müller. Gerdas Kamikaze-Läufe quer über sechs Fahrstreifen der A 4 am Brabschützer Berg waren Dauerthema im Verkehrsfunk und lieferten bundesweit Schlagzeilen. Ein verrücktes Huhn eben.

Es ist Dienstagabend kurz nach acht, als Marco Müller mit seiner Freundin heimfährt. Gerda hockt derweil an der Leitplanke und lässt den Verkehr vorbeirauschen, als wäre der Mittelstreifen eine Ruheoase. Immerhin ist es die am dichtesten befahrene Autobahn Sachsens – mit Hühneraugen betrachtet eine gigantische Rennstrecke. Gerda ahnt nicht, dass es ihr letzter Asphalt-Moment wird. Sie hat Gefallen am neuen Lebensmittelpunkt gefunden. Müller steuert den Seat der Freundin in Hellerau auf die A 4. Es ist der schnellste Weg ins heimische Rippien, einem kleinen Ort nahe Bannewitz. Der Wagen passiert die Abfahrten Neustadt und Altstadt. Noch 600 Meter sind es bis zur A 17 nach Prag. Von zu Hause trennen sie 15 Minuten, als Müllers Freundin plötzlich aufschreckt: „Da sitzt ein Huhn.“ Dass Gerda seit gut vier Wochen die Autobahn rockt, weiß der junge Mann nicht. Der Katzenbesitzer will einfach, dass dem Tier nichts passiert.

Statt auf die A 17 abzubiegen, wendet er in Wilsdruff, fährt zurück und ist Minuten nach dem ersten Sichtkontakt wieder bei Gerda. Mit Warnblinker auf dem Standstreifen ruft Müller die 110 und sagt: „Hier sitzt ein Huhn auf dem Mittelstreifen.“ Nach Müllers Erinnerung habe der Polizist leicht genervt reagiert. Es sei schon alles versucht worden, und nein, es werde niemand kommen. Polizisten hatten dem Federvieh bei ihrer glücklosen Jagd den Namen Gerda gegeben. Müller muss selbst ran, baut das Warndreieck auf und zieht eine gelbe Weste an. So ein Hühner-Hilfseinsatz will abgesichert sein. „Ich hab die erste Verkehrslücke genutzt und bin rüber zu ihr auf den Mittelstreifen“, sagt Müller. Blöd nur, Gerda will nicht und rennt weg. Zurück am Auto, wartet Müller auf eine Gelegenheit. „Die nächste Lücke hat dann Gerda genutzt und rannte zu einem Busch drei Meter vor meinem Auto.“ Ein dichtes Gesträuch, Gerda, die pfeilschnelle Flitzerin, schafft es nicht, drin zu verschwinden. Das ist der Moment für den Zugriff. Behutsam trägt Müller die gefiederte Gerda ins Auto, legt eine Decke über sie.

Die Gerda von der A4

Wochenlang sorgte Gerda für Meldungen im Verkehrsfunk.
Wochenlang sorgte Gerda für Meldungen im Verkehrsfunk.
Auf der Suche nach Futter ließ sich das Tier auch von vorbeifahrenden Autos und Lkw nicht beirren.
Auf der Suche nach Futter ließ sich das Tier auch von vorbeifahrenden Autos und Lkw nicht beirren.
Am Dienstagabend gelang es jedoch diesem Mann, Gerda zu fangen.
Am Dienstagabend gelang es jedoch diesem Mann, Gerda zu fangen.
Er sah das Federvieh zwischen den Anschlussstellen Neustadt und Altstadt auf dem Mittelstreifen, fuhr eine Extraschleife und parkte dann auf dem Seitenstreifen.
Er sah das Federvieh zwischen den Anschlussstellen Neustadt und Altstadt auf dem Mittelstreifen, fuhr eine Extraschleife und parkte dann auf dem Seitenstreifen.
Von dort aus lockt er Gerda zu sich.
Von dort aus lockt er Gerda zu sich.
Das Huhn rannte ein letztes Mal über die A4 und wurde schließlich eingefangen.
Das Huhn rannte ein letztes Mal über die A4 und wurde schließlich eingefangen.
Eine Nacht schlief das Huhn bei Yvonne Heine (rechts) im Notquartier. Jetzt kümmert sich Romy Morsch (l) um das Huhn.
Eine Nacht schlief das Huhn bei Yvonne Heine (rechts) im Notquartier. Jetzt kümmert sich Romy Morsch (l) um das Huhn.
Gerda beäugt ihre neue WG.
Gerda beäugt ihre neue WG.
Die Polizei, die Gerda so intensiv beschäftigt hat, „wünscht Huhn Gerda einen friedvollen und vor allem gefahrlosen Lebensabend“.
Die Polizei, die Gerda so intensiv beschäftigt hat, „wünscht Huhn Gerda einen friedvollen und vor allem gefahrlosen Lebensabend“.

„Tiere vom Licht abzuschotten, macht sie ruhiger“, sagt er. Die Freundin, hochschwanger und den Geburtstermin vor Augen, redet auf Gerda ein. Die fühlt sich offenbar wohl. Wieder wählt Müller den Notruf, erreicht den genervten Polizisten. „Er hat mir erst nicht geglaubt, dass ich Gerda gefangen habe, dann aber einen Wagen geschickt.“ Die Streife bringt das Huhn ins Revier der Autobahnpolizei.

Kurz darauf klingelt das Telefon von Yvonne Heine. Die 37-Jährige ist beim Tierschutzverein Anima und als Notfallkontakt bekannt. Ihre erste Nacht weg von der Autobahn sitzt Gerda abgeschirmt von Heines Katzen im Badezimmer, verschlingt Weizenkörner und Mehlwürmer. Endlich wieder richtiges Gourmetessen und nicht dieser rußbedeckte Fraß von der Autobahn. Gerda sei sehr ruhig und handzahm, ihr Ex-Herrchen muss eine Art Beziehung zu seinen Hühnern gehabt haben, schätzt Heine. „Als Gerda fertig gefressen hatte, habe ich sie am Kinn gekrault und sie ist sofort eingeschlafen.“ Es sind Momente wie dieser, die der Mitarbeiterin eines Tierheims Kraft geben, weil sie oft Elend sieht.

Gerda hat sich am Mittwoch schnell im Notquartier eingelebt, reckt neugierig den Hals, als Heine vor den Spiegel tritt. „Sie guckt mir zu und sitzt einfach in der Wanne und chillt.“ Heines Partner guckt tagsüber nach der Henne. Sie soll sich wohlfühlen. Am Abend zieht Gerda um, in ihr endgültiges Quartier zu Pflegemutter Romy Mosch. Die Polizei, die Gerda so intensiv beschäftigt hat, „wünscht Huhn Gerda einen friedvollen und vor allem gefahrlosen Lebensabend“, sagt Sprecher Marko Laske.