Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
SZ + Pirna

Ein Eindringling wird aufgegessen

Beißlustige Schwarzmundgrundeln nerven die Angler. Wie schmeckt der Störenfried? Ein Pirnaer Profikoch will's wissen.

Von Jörg Stock
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Nervige Einwanderer auf dem Teller: Marcel Bark vom Pirnaer "Schifftor" hat Schwarzmundgrundeln aus der Elbe als Fingerfood zubereitet.
Nervige Einwanderer auf dem Teller: Marcel Bark vom Pirnaer "Schifftor" hat Schwarzmundgrundeln aus der Elbe als Fingerfood zubereitet. © Karl-Ludwig Oberthür

Der Geist geht um im Fischlokal, natürlich der Fischergeist. Marcel Bark hat ein ordentliches Quantum des hochprozentigen Kräuterlikörs in die Pfanne gegeben. "Achtung, ich zünde!" Ein Feuerball faucht über den Herd, hell knattern die Flammen, Knoblauchduft wallt auf, Öl spritzt. Und schon verfliegt der Spuk wieder. "Essen ist fertig!" Der Koch lacht in die Runde. "Stehen meine Haare noch?"

Marcel Bark, 38, Chef des Pirnaer Schifftor, Restaurant "für Meer und mehr", mag großes Kino in seiner Küche. Jedenfalls wenn es um den Fisch geht. "Wir lieben Fisch!" Er liebt nicht nur die großen, sondern auch die kleinen Fische. Oft schmecken die sogar besser, sagt er, und intensiver, als die Riesenexemplare. Was da in der Pfanne gerade flambiert wurde, ist ein Experiment, nicht größer als ein kleiner Finger: die Schwarzmundgrundel.

Und wieder grüßt die Grundel: Elb-Angler wie Lorenzo Ruffani vom Angelverein Stadt Pirna haben den nervigen Fisch laufend am Haken.
Und wieder grüßt die Grundel: Elb-Angler wie Lorenzo Ruffani vom Angelverein Stadt Pirna haben den nervigen Fisch laufend am Haken. © Marko Förster

Schwarzmundgrundeln gibt es vor Marcel Barks Ladentüre neuerdings in Massen. Seit der barschartige Fisch 2016 bei Schmilka erstmals in der sächsischen Elbe gesichtet wurde, hat er den Strom vollständig besiedelt. Auch in den Unterläufen diverser Nebenflüsse wie Kirnitzsch, Lachsbach, Wesenitz oder Wilde Sau taucht der Einwanderer vermehrt auf.

Entnahmepflicht für gefangene Grundeln

Der Fisch, der aus dem Schwarzmeerraum stammt, gilt als invasiv. Negative Folgen seiner Massenvermehrung für heimische Arten werden zumindest nicht ausgeschlossen. Angler sind genervt, weil die Grundel meist schneller am Haken baumelt, als der erhoffte Speisefisch, etwa die Barbe. Dennoch darf keine Grundel zurück in den Fluss. Für unerwünschte Fische gilt die Entnahmepflicht.

Im Lockdown: Weil sein Restaurant Schifftor coronabedingt zu ist, hat Chef Marcel Bark Zeit für das Grundel-Experimet.
Im Lockdown: Weil sein Restaurant Schifftor coronabedingt zu ist, hat Chef Marcel Bark Zeit für das Grundel-Experimet. © Karl-Ludwig Oberthür

Was also tun? Essen, rät Christian Wolter, Fisch-Ökologe am Berliner Leibnitz-Institut für Binnenfischerei. Als er seine erste Schwarzmundgrundel fing, kam ihm gleich der Gedanke: "Dieser Kumpel sieht ziemlich appetitlich aus." Die Filets ließen sich leicht lösen, seien absolut grätenfrei. Gutes Fleisch, sagt der Fachmann. "Ich weiß gar nicht, wieso sich die Angler so schwer tun."

Zu schade zum Wegschmeißen

Weil die Fische meist so verflixt klein sind. Als Maximalmaß gelten zwar 25 Zentimeter. Viele Exemplare bringen es aber gerade mal auf zehn, wenn überhaupt. Als am 3. Oktober dieses Jahres die Jugendgruppe des Angelvereins Stadt Pirna am Copitzer Elbufer fischte, wurden binnen vier Stunden zwar fast neunzig Grundeln gefangen. Die allermeisten hatten jedoch die Größe einer Ölsardine.

Küchenfertige Schwarzmundgrundeln: Diese Exemplare hat der Koch in einer Marinade aus Sojasoße und Chili eingelegt.
Küchenfertige Schwarzmundgrundeln: Diese Exemplare hat der Koch in einer Marinade aus Sojasoße und Chili eingelegt. © Karl-Ludwig Oberthür

Bei diesen Maßen ist bereits die waidgerechte Schlachtung eine Friemelei, das Ausnehmen erst recht. Die Grundeln werden daher, wenn sie nicht als Köder oder Katzenfutter dienen, meist entsorgt. Viel zu schade zum Wegschmeißen, findet Marcel Bark, auch wenn er Schwarzmundgrundeln noch nie gegessen hat. Meist lohnt es sich, sagt er, auch das, was man nicht kennt, zu probieren.

Der Fischkopftrick hilft beim Ausnehmen

Die Minifische für den Test, gut zwanzig Stück, stammen aus jenem Fischzug der Pirnaer Angeljugend. Der Koch demonstriert, wie man die Innereien schnell entfernt: Hinterm Fischkopf einschneiden, den Kopf nach unten klappen und nach hinten wegziehen. Dann hängen Organe und Darmschlingen gleich mit dran. "Es ist wirklich easy."

Bevor die Fische mit fernöstlichen Panko-Brotbröseln paniert werden, dürfen sie noch einmal schwimmen - in Ei.
Bevor die Fische mit fernöstlichen Panko-Brotbröseln paniert werden, dürfen sie noch einmal schwimmen - in Ei. © Karl-Ludwig Oberthür

Marcel Bark will die Grundeln in Finger Food verwandeln. Kein langes Werkeln am Fischkörper - Schwanzflosse anfassen, Fisch zwischen die Zähne stecken, abziehen, genießen. So der Plan. "Mal sehen, ob das klappt." Barks Tatendrang ist erklärlich. Wie alle Restaurants ruht das Schifftor im Corona-Lockdown. Es ist früher Abend. Jetzt würden hier normalerweise alle schwitzen, würden Pfannen und Töpfe klappern, und draußen, im Gastraum, würden die Bestecke über die Teller quietschen. "Das fehlt einfach."

Der geliebte Crunch-Effekt

Er hat drei Varianten vorbereitet. Variante naturell ist die simpelste: Grundeln gesäuert, gesalzen und gepfeffert in Knoblauchöl gebraten und mit Fischergeistfeuer abgerundet. Für die fernöstliche Version liegt schon eine Reihe Fische in Soja-Chili-Marinade. Die schwenkt Bark nun in einem Häuflein Mehl und dann in gequirltem Ei, bevor die Panade aus Panko, das sind grobe, japanische Brotbrösel, folgt. So kommt der Crunch-Effekt zustande, sagt der Koch, der es am liebste knusprig mag.

Auch im Speckmantel macht die Schwarzmundgrundel eine gute Figur. Gleich wandern diese Exemplare in die Pfanne.
Auch im Speckmantel macht die Schwarzmundgrundel eine gute Figur. Gleich wandern diese Exemplare in die Pfanne. © Karl-Ludwig Oberthür

Nur Augenblicke dauert es, bis sich die Knusperfische im Ölbad goldbraun gefärbt haben. Variante drei: Grundel im Speckmantel. Einen Zweig Rosmarin in den Fischbauch gesteckt - es geht auch Thymian oder, ganz klassisch, Salbei - und den Speck, alternativ Serrano-Schinken, drumherum gewickelt. Kurz ab in die Pfanne, und schon bimmelt der Koch an der kleinen Schiffsglocke neben der Anrichte. Das Zeichen für den Service, das Essen zum Gast zu tragen.

Erinnerung an einen hoffnungsvollen Sommer

Aber es ist kein Gast da. Die Küche vom Schifftor ist nur deshalb warm, weil heute für Abholer gekocht wird. Hin und wieder steht jemand an der Tür, sein bestelltes Essen in Empfang zu nehmen. "Es hält sich sehr in Grenzen", sagt der Chef. Kein Vergleich zum Sommer, als das Geschäft schon wieder lief, besser als in anderen Sommern. "Es waren viel mehr Touristen in der Stadt." Sicher auch eine Folge von Corona. So wie jetzt der neuerliche Lockdown. Er wäre gern Optimist, sagt Marcel Bark, aber er ist auch Realist. Den Rest des Jahres hält er für verloren.

Feuer frei! Mit einem Schuss Fischergeist flambiert Marcel Bark eine Portion Grundeln, Variante naturell, auf dem Herd.
Feuer frei! Mit einem Schuss Fischergeist flambiert Marcel Bark eine Portion Grundeln, Variante naturell, auf dem Herd. © Karl-Ludwig Oberthür

So müssen wir alleine essen. Auch gut. Denn die Fische, in würzige Dips getaucht, sind tatsächlich ein Genussmittel, zumindest für den, der sich von den kleinen Gräten nicht kratzen lässt. Als Favorit kürt der Koch erwartungsgemäß den Knusperfisch. "Da werden die meisten Sinne angesprochen." So ist für Fischfreund Bark die Invasion der Schwarzmundgrundel keine Katastrophe, im Gegenteil: Brächte ihm jemand demnächst mal hundert Stück vorbei, er würde sich freuen.

Mehr Nachrichten aus Pirna lesen Sie hier.

Den täglichen kostenlosen Newsletter können Sie hier bestellen.