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Eklat in Pirna: Landratsamt baut Ausstellung über Geflüchtete wieder ab

Wegen „Beschwerden“ verschwindet eine Ausstellung aus dem Landratsamt Pirna, ehe sie zu sehen ist. Die Initiatoren sind schockiert, andere sprechen von einem „fatalen Signal“.

Von Thomas Möckel
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Aufbau der Ausstellung im Landratsamt Pirna: Die Bilder hingen nur wenige Stunden, schon am Tag darauf waren sie wieder verschwunden.
Aufbau der Ausstellung im Landratsamt Pirna: Die Bilder hingen nur wenige Stunden, schon am Tag darauf waren sie wieder verschwunden. © privat

Lenore und Werner Lobeck engagieren sich seit Jahren ehrenamtlich in der Arbeit mit Geflüchteten, 2015 initiierten sie in ihrer Heimatgemeinde, dem erzgebirgischen Schwarzenberg, einen Flüchtlingsunterstützerkreis. Seither haben sie viel mit den Zugewanderten zu tun. Sie kennen, so erzählt Lenore Lobeck, die Geschichten vieler Menschen, was sie auf der Flucht durchgemacht haben, ihre Sorgen, ihre Ängste.

Aus den vielen internen Gesprächen heraus entstand die Idee: Das müsste alles mal in die Öffentlichkeit, um über die Gedanken und Nöte dieser Menschen zu informieren, und auch, um Vorurteile gegenüber Geflüchteten abzubauen. Lobecks konzipierten die Ausstellung mit dem Titel „Es ist nicht leise in meinem Kopf“, dazu erschien auch ein gleichnamiges Buch. Auf den Ausstellungstafeln ist immer links ein Protagonist im Bild zu sehen, rechts daneben steht ein Text. Darin schildern 35 Geflüchtete, unter anderem aus Syrien, Afghanistan und aus afrikanischen Ländern, ihr Leben, ihre Erfahrungen, ihre Flucht und die Fluchtursachen.

2023 war die Ausstellung fertig, erstmals zu sehen in einem Bürgerzentrum Aue, danach wurde sie von vielen Orten angefragt, ausgestellt war sie unter anderem in den Kirchen Halberstadt und Schwarzenberg, im Franziskaneum Meißen, im Sächsischen Landtag, in der Arbeitsagentur Chemnitz. Ende des Jahres macht sie Station in der Geschäftsstelle des Sächsischen Ausländerbeauftragten Geert Mackenroth in Dresden. Zwischendurch, während der Interkulturellen Wochen in Pirna, sollte sie im Landratsamt Pirna im Foyer von Schloss Sonnenstein gezeigt werden. Die Vernissage war für den 25. September geplant, die Einladungen sind verschickt. Doch so, wie es momentan aussieht, wird wohl die Schau dort keiner zu Gesicht bekommen. Die Angelegenheit mündet schon im Vorfeld in einem Eklat – noch bevor die Ausstellung zu sehen war.

"Vorurteile werden nicht abgebaut, sondern verstärkt"

Lobecks hatten die Ausstellung am 11. September im Eingangsbereich des Landratsamtes aufgebaut, Publikumsverkehr gab es an jenem Mittwoch nicht. Die Exponate hingen allerdings nur wenige Stunden. Am 12. September wurden die Initiatoren von der Landkreisbehörde kurz darüber informiert, dass die Bilder wieder abgehängt wurden, angeblich habe es Beschwerden gegeben. Zu diesem Zeitpunkt, sagt Lenore Lobeck, hätten sie und ihr Mann weder gewusst, um welche Beschwerden es ging, noch von wem sie kamen, noch auf wessen Geheiß die Bilder wieder verschwanden und wo sie nun lagerten.

Am 13. September bekamen die Initiatoren dann ein Schreiben des Landratsamtes, versandt im Auftrag von Landrat Michael Geisler (CDU). Darin heißt es, dass die Beauftragte des Landkreises Sächsische Schweiz-Osterzgebirge für Integration und Migration sich im Vorfeld offensichtlich nicht ausreichend mit den Inhalten der Texte und der Fotos auseinandergesetzt habe, um mögliche Auswirkungen ausreichend bewerten zu können. Dann wäre bereits, bevor die Ausstellung der Öffentlichkeit zugänglich war, die Brisanz der dort kommunizierten Äußerungen aufgefallen.

Als Beispiel führt die Behörde Sätze von Geflüchteten auf, die auf den Tafeln zu lesen sind. Aussagen wie „Wir sind eingesperrt wie hinter einer Mauer“, oder in Bezug auf die Polizei „… nur kontrolliert wirst, weil du schwarz bist …“ oder „Ich habe kein Leben in Deutschland … Ich weiß nicht, ob ich hierbleiben will …“ hätten verständlicherweise den Unmut und das Unverständnis von Bürgern und von Mitarbeitern des Landratsamtes hervorgerufen. So habe die Ausstellung schon in den ersten Stunden nach dem Aufhängen polarisiert und für eine aufgeheizte Stimmung gesorgt.

Zu keiner Zeit habe das Landratsamt ein positives Feedback zu den zahlreichen negativen Äußerungen der in unserem Land Schutzsuchenden erhalten, heißt es weiter. Insofern sei die Ausstellung aus Sicht der Behörde nicht dazu geeignet, Vorurteile abzubauen, wie im Vorfeld kommuniziert, sondern würde vielmehr diese noch verstärken. Das Amt verfügte einen sofortigen Abbau.

Die Ausstellung, wie sie in Pirna zu sehen gewesen wäre: Geflüchtete berichten über ihre Flucht, ihr Leben, ihre Sorgen, ihre Ängste.
Die Ausstellung, wie sie in Pirna zu sehen gewesen wäre: Geflüchtete berichten über ihre Flucht, ihr Leben, ihre Sorgen, ihre Ängste. © privat

Ausstellungsmacher: "Ein ungeheuerlicher Vorfall"

Lenore und Werner Lobeck sind schockiert über das Vorgehen des Landratsamtes, der Vorfall sei aus ihrer Sicht ungeheuerlich. „Überall, wo die Ausstellung bislang zu sehen war, ist ihr Kern erkannt und sie so gelesen worden, wie sie gemeint ist“, sagt Lenore Lobeck. Nur in Pirna sei das plötzlich ganz anders. Davor, dass Bilder oder die Ausstellung von Rassisten oder Rechten beschädigt oder attackiert werde, sei man nicht sicher. Bislang sei immer alles gut gegangen. Außer selten verbal geäußertem Missfallen sei bisher zum Glück alles unversehrt geblieben.

Aber dass ein Amt eines demokratischen Staates Bilder einer Ausstellung, die um Verständnis für Geflüchtete wirbt und gegen Vorurteile spricht, aufgrund von „Beschwerden“ wieder abnimmt, habe eine völlig andere und neue Dimension. Es mache deutlich, sagt Lenore Lobeck, wie stark Rechte und Migrationskritiker bereits das Meinungsbild beherrschten. „Wenn das Landratsamt diesem Druck nachgibt“, sagt sie, „macht mir das große Angst.“ Verärgert sind Lobecks zudem darüber, dass das Landratsamt Passagen von Geflüchteten in den Ausstellungstexten, in denen zu lesen ist, dass sie dankbar sind, in Deutschland zu leben und etwas zurückgeben, nicht erwähnt habe.

Ökumene-Vertreterin: "Ein fatales Signal in die Gesellschaft"

Ähnlich entrüstet zeigen sich auch andere. „Die Absage der Ausstellung ist für mich nicht nachvollziehbar. Vor allem vor dem Hintergrund, dass sie bereits sachsenweit erfolgreich gezeigt wurde“, sagt Matthias Gottschalk, Sprecher des Kreisverbandes Sächsische Schweiz-Osterzgebirge von „Bündnis 90/Die Grünen“. Die Absage bedeute, den notwendigen Diskurs über Fluchtursachen und das Leben von Migranten in Deutschland abzuwürgen. Besser wäre es gewesen, die Beschwerden aufzunehmen und darüber zu diskutieren.

Nach Aussage von Lisa Thea Steiner, Kreisvorsitzende der Partei „Die Linke“ zeichneten die jüngsten Entwicklungen in Pirna und Sachsen ein erschreckendes Bild der gesellschaftlichen Spaltung. Angriffe auf Geflüchtete nähmen zu, parallel dazu werde eine wichtige Ausstellung zu diesem Thema abgebaut. Diese Vorgänge zeigten nicht nur die Eskalation rassistischer Gewalt, sondern auch den Versuch, einen kritischen Diskurs zum Thema Flucht zu unterbinden. Der Rückbau der Ausstellung sei ein fatales Signal. „Eine Gesellschaft, die die Stimmen ihrer Schwächsten zum Schweigen bringt, verliert ihre Menschlichkeit“, sagt Steiner.

Auch Beate Sträter, Vorsitzende des Ökumenischen Vorbereitungsausschusses zur Interkulturellen Woche mit Sitz in Frankfurt/Main, zeigt sich angesichts der Vorgänge schockiert. „Dass eine Ausstellung, die über die Lebenssituation von Geflüchteten informiert, wieder entfernt wird, sendet ein fatales Signal in die Gesellschaft – nämlich, dass man Sorgen und Nöte der Geflüchteten nicht sehen möchte. Stattdessen haben sie dankbar und ansonsten still zu sein“, sagt sie. Ziel der Interkulturellen Woche sei es, Räume zur Verfügung zu stellen, in denen Menschen sich kennenlernen und austauschen können. Solch ein Raum wäre die Vernissage zu der Ausstellung gewesen. Sträter fordert das Landratsamt auf, die Ausstellung wieder aufzubauen, um dann über kritische Stimmen in einen Diskurs zu gehen.

Ein Pirnaer Verein sucht derzeit nach einem Ausweichquartier, um die Ausstellung doch noch zeigen zu können. Ob das gelingt, ist allerdings noch unklar.