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Darum war's ein schwerer Tag für Pendler

Gleich zwei Züge fuhren in umgekippte Bäume. Das hatte Folgen für viele Bahnreisende zwischen Görlitz und Dresden.

Von Theresa Hellwig & Franziska Klemenz & Ingolf Reinsch & Markus van Appeldorn
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Um fünf Uhr fuhr am Donnerstag ein aus Görlitz fahrender Zug der Odeg zwischen Bautzen und Bischofswerda in einen umgestürzten Baum.
Um fünf Uhr fuhr am Donnerstag ein aus Görlitz fahrender Zug der Odeg zwischen Bautzen und Bischofswerda in einen umgestürzten Baum. © Rocci Klein

Schnell hat sich eine Gruppe von etwa sechs Menschen zusammengetan. Sie stehen auf dem Bahnsteig im Bahnhof Dresden-Neustadt, die Stimmen klingen aufgebracht. Niemand kennt den anderen, aber alle reden vertraut miteinander: Das gemeinsame Problem verbindet. Die meisten stehen schon seit kurz nach acht in der Frühe hier, wollen nach Radeberg, Bautzen oder Görlitz fahren. Erst hieß es, der Zug komme mit mehr als einer Dreiviertelstunde Verspätung, dann scheinbar gar nicht – und dann fehlte auch zum nachfolgenden Zug jegliche Information. Den Bahnsteig zu verlassen, traut sich auch nach einer dreiviertel Stunde in der Kälte niemand so recht: Was, wenn der Zug doch kommt?.

So tief schien der Schnee, der am Mittwoch und Donnerstag den Boden bedeckte, die Bäume überzog und die Felder in ein monotones Weiß tauchte, gar nicht zu sein. Er blieb trotzdem nicht folgenlos für mehrere Hundert Bahnreisende von Dresden nach Bautzen, Görlitz und Zittau. Gegen fünf Uhr am Morgen war der erste an diesem Donnerstag aus Görlitz fahrende Zug der Odeg auf der Bahnstrecke Bischofswerda – Bautzen in der Nähe von Medewitz in einen umgestürzten Baum gefahren. „Der nasse Schnee drückt auf die Bäume, die dann umfallen“, erklärte Dietmute Graf, Marketingleiterin der Odeg, auf SZ-Anfrage. „Der Zug ist stark beschädigt und kann nun nicht mehr fahren.“ Verletzt wurde bei dem Unfall niemand. Die Feuerwehr rückte an, um den Baum zu beseitigen. Der Zug musste zurück nach Bischofswerda fahren.

Kurz vor neun Uhr, immer noch am Bahnhof in Dresden: Drei junge Frauen stehen in der Warteschlange im warmen Bahn-Informationsraum. Sie lachen und scherzen: Für sie bedeutet der Zugausfall einen freien Tag. Sie haben auch schon eine kleine Reise hinter sich: Bereits um kurz nach sechs in der Frühe saßen die Lehrerinnen im Zug in Richtung Görlitz – nur, um dann aus Bischofswerda zurück nach Dresden zu fahren. „Die Französisch-Klausur wird dann wohl verschoben“, erklärt eine der dreien, und zuckt mit den Schultern. „So habe ich das in den vier Jahren, in denen ich täglich von Dresden nach Görlitz pendele, noch nicht erlebt“, sagt eine andere.

Schon am späten Mittwochnachmittag war laut Länderbahn-Pressesprecher Jörg Puchmüller ein Baum auf das Gleis gekippt, die Räumungsarbeiten dauerten nicht lange. Ab 23.10 Uhr ging dann gar nichts mehr: Zwischen Löbau und Reichenbach kippte ein weiterer Baum auf die Gleise, ab dann blieb die Strecke gesperrt. Verspätungen, Zugausfälle, Informationschaos – das erlebten einige Spätreisende am Freitagabend und am Donnerstagvormittag dann viele Berufspendler.

Kurz nach neun, am Bahnhof in Bischofswerda: Auf dem Bahnsteig stehen Dutzende Reisende und warten auf den nächsten Zug nach Dresden. Drei Gymnasiastinnen aus Bautzen stehen dort seit etwa einer Vierteilstunde. „Wir wollen zum Hochschultag“, sagt Natalie Schneider. Als sie auf dem Bautzener Bahnhof erfahren hatte, dass zwischen Görlitz und Bischofswerda kein Zug fährt, rief sie ihren Bruder an. Der brachte sie und ihre beiden Freundinnen mit dem Auto nach Bischofswerda zum Bahnhof. Gegen 9.40 Uhr dann die Erlösung: Es kommt ein Zug aus Dresden.

„Es fährt spartanischer Schienenersatzverkehr“, verkündet ein sichtlich gut gelaunter Lokführer in einem Zug, der mit etwa einer Stunde Verspätung aus Dresden nach Bischofswerda fährt. Dort ist für den Lokführer erst einmal Schluss; es geht zurück nach Dresden. Tatsächlich fahren ab kurz vor zehn erste Schienenersatzbusse ab Bischofswerda und bringen die Reisenden durch die Schneelandschaft an ihr Ziel nach Bautzen, Löbau oder Görlitz. Es ist nun Alfons Dienel, Chef der Kraftverkehrsgesellschaft Dreiländereck mbH (KVG), der mit den Folgen der Bahnstreckensperrung zwischen Zittau und Bischofswerda sowie Görlitz und Bischofswerda zu kämpfen hat: Sein Unternehmen stellt den Schienenersatzverkehr für die Länderbahn. Doch wirklich viel geht da nicht. „Zur Stunde habe ich einen Bus zwischen Zittau und Bischofswerda im Einsatz und zwei zwischen Görlitz und Bischofswerda“, sagte er gegen 14 Uhr. Allerdings müsse er schon bald den Zittauer Bus sowie einen der beiden Görlitzer aus dem Verkehr nehmen, weil die Fahrer nicht länger fahren dürfen. Ersatzfahrer standen ihm zu dem Zeitpunkt noch nicht zur Verfügung.

Hinter Bischofswerda, in einem der Ersatzbusse: Auch ein älterer Mann, der seit dem Vorabend unterwegs ist, befindet sich im ersten Ersatzbus am Donnerstagmorgen. „Davon lasse ich mir nicht die Stimmung verderben“, sagt er. Gerade hat er im Urlaub seine Mutter im Schwarzwald besucht, die Strecke fuhr er zum Großteil mit dem Nachtbus. Die Wartezeit während der Busfahrt vertreibt er sich durch Gedanken an früher. Er erzählt Geschichten aus seinem Leben: Damals, als er für Erich Honecker kochte, und das Restaurant drei Wochen zuvor geschlossen und renoviert werden musste – daran erinnert er sich auf der Fahrt.

Hoffnung gab es kurze Zeit für die Nutzer der Strecke Zittau - Bischofswerda: Wie das Bahnunternehmen Trilex kurz nach 12 Uhr auf seiner Facebook-Seite informierte, könne der Zugverkehr hier wieder aufgenommen werden. Um 13 Uhr hieß es dann: Kommando zurück. Bereits am Morgen hieß es, die Sperrung solle wegen der Sicherheitsbedenken voraussichtlich den ganzen Tag über andauern. Und tatsächlich: Zu früh hatte die Bahn offensichtlich gegen Donnerstagmittag die Strecke zwischen Bischofswerda und Zittau wieder freigegeben. „Der Zug ist um 12.30 in Zittau losgefahren und bei Neukirch mit dem Baum kollidiert“, sagte Pressesprecher Puchmüller.

Gegen 14 Uhr auf dem Görlitzer Bahnhof. Wer über den Bahnsteig schreitet, hört seine Schritte von den Decken hallen. „Zug fällt aus“, steht auf einer Leuchttafel oberhalb von Gleis neun. Das Winterwetter hat den Bahnhof Görlitz größtenteils lahmgelegt. Für die Mitarbeiterinnen des Bahnhofs ist die stressigste Phase nach dem Mittag vorüber. Die Menschen haben inzwischen mitbekommen, dass die meisten Züge nicht fahren. Wer jetzt noch an den Schalter tritt, will plaudern. Oder sich über Verbindungen in Zukunft informieren. Schon einmal für den Urlaub im Juli nachfragen, wie es am billigsten zum Flughafen geht. An Sommermonate zu denken, fällt den Mitarbeiterinnen angesichts aktueller Wetterbedingungen schwer. „Wäre der Schnee nur trocken“, sagt eine von ihnen zu der anderen. Nicht die Kälte ist das Problem, das den Verkehr zum Erliegen bringt. „Durch die Nässe ist der Schnee tonnenschwer“, sagt Erika Poschke-Frost, eine der Bahn-Sprecherinnen, die für Ostdeutschland zuständig sind. „Da können die Bäume noch so schwer sein, die brechen ab und fallen um.“ Von dem Warteraum, den Trilex im Görlitzer Bahnhof eingerichtet hat, wissen die Mitarbeiterinnen nichts. Sie verweisen auf die ehemaligen Kioske, die auf den Görlitzer Bahnsteigen stehen. Glaskästen mit Sitzbänken. Sie sind leer. Warum auch warten, wenn der Zug heute vielleicht überhaupt nicht mehr fährt?

Gegen 16 Uhr ist es dann soweit: Der Zugverkehr von Görlitz und Zittau in Richtung Dresden läuft langsam wieder an.