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Glücklich ohne Rampenlicht: Eine Dresdner Ex-Turnerin und ihr nächster Neuanfang

Marlene Bindig schaffte den Absprung nach der Karriere, arbeitete über drei Jahre für Google. Doch privat erlebte Dresdens einstmals beste Turnerin viel Leid. Jetzt fängt sie neu an - in Monaco.

Von Alexander Hiller
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Arbeitete bei Google, studiert jetzt aber noch mal: die Dresdnerin Marlene Bindig.
Arbeitete bei Google, studiert jetzt aber noch mal: die Dresdnerin Marlene Bindig. © René Meinig

Dresden. Ein bisschen Glamour muss immer noch sein. Früher steckte Marlene Bindig Fleiß, Energie und Kreativität mithilfe ihrer Mutter in elegante Glitzeranzüge für ihre sportliche Leidenschaft: Kunstturnen. Heute trägt die 27-Jährige im Privat- und Berufsleben meist auffällige, nicht ganz kostengünstige Kleidung.

Rampenlicht mochte die Dresdnerin schon immer. Mit dem Turnen hat sie nun schon vor sieben Jahren aufgehört, das Leben nach der sportlichen Karriere aber lebt Bindig nicht weniger auffällig – zumindest hat es äußerlich den Anschein.

Nachdem sie in Bozen ihr Bachelor-Studium für Tourismus-, Sport- und Eventmanagement abgeschlossen hatte, wanderte Bindig zwei Wochen vorm ersten Corona-Lockdown in Deutschland nach Dublin aus. In der irischen Hauptstadt heuerte sie bei Indeed an, einer der weltweit größten virtuellen Jobbörsen, fühlte sich dort aber nicht wohl – und bewarb sich beim Tech-Giganten Google, der seinen europäischen Hauptsitz ebenfalls in Dublin hat.

16 Mal blitzte Bindig ab, stets kam eine automatisierte Absage als Antwortmail. Beharrlichkeit zeichnete sie aber schon im Sport aus.

Erster deutscher Turntitel für DSC seit Wiedervereinigung

Obwohl Bindig im Vergleich zur Konkurrenz nie die größten Schwierigkeiten in ihren Turn-Programmen darbot, holte sie 2015 den deutschen Meistertitel am Boden – für den Dresdner SC der erste seit der Wiedervereinigung. Mit Ausstrahlung, Charme und artistischem Können stach sie ihre Kontrahentinnen aus. Bei Google, wo sie Flexibilität, Kreativität und die finanziellen Möglichkeiten des Konzerns reizten, half schließlich der lange Atem – denn im 17. Anlauf kam die Zusage. „Ich habe meine Bewerbungen an völlig falsche Teams geschickt“, erklärte Bindig. Als sie das erkannt hatte, ging alles ganz schnell.

Zuletzt arbeitete die gebürtige Dresdnerin in einem multinationalen Team als New Business Account Manager. Hinter der Bezeichnung verbirgt sich ein spannendes Jobprofil, meint Bindig. „Ich arbeite mit Unternehmen, die entweder noch nie oder lange nicht mehr mit Google zusammengearbeitet haben. Man ist für das Unternehmen die erste Tür zu Google, dadurch kann man die Zusammenarbeit sehr individuell formen“, sagt sie – und kündigte vor zwei Wochen dennoch. Bindig wagt den Neustart und studiert ab Oktober an der International University of Monaco im Masterstudiengang Business Administration.

Mit ihrem DSC-Team stieg Marlene Bindig in die 1. Turn-Bundesliga auf.
Mit ihrem DSC-Team stieg Marlene Bindig in die 1. Turn-Bundesliga auf. © Agentur

Dieser Schritt hat letztlich auch mit ihrer jüngeren privaten Vergangenheit zu tun, die eine dunkle war. Vor zwei Jahren trennte sie sich von ihrem damaligen Freund, mit dem sie vier Jahre zusammen war. „Mental und physisch war die Zeit sehr einschneidend – und auch ungesund“, sagt Bindig. Beim Studium in Bozen lernte sie ihn kennen – als sie sich verloren vorkam. „Nach dem Sport bin ich zum Studium nach Südtirol gegangen, ohne zu wissen, wer ich bin“, erzählt Bindig.

Sie habe sich als graues Mäuschen gefühlt, keine Aufmerksamkeit, null Rampenlicht. Das knipste erst ihr Ex-Partner wieder an, wie sie verdeutlicht: „Plötzlich kommt jemand, der weiß, welche Knöpfe er drücken muss, der mir wieder das Gefühl gibt, gesehen zu werden.“

Der psychischen Gewalt folgte körperliche

Heute sagt Bindig, dass ihr Ex-Freund sie manipuliert habe. Systematisch habe er es geschafft, dass sie sich von ihrem Freundeskreis lossagt und dann selbst von ihrer Familie. „Er hatte mich so im Griff, dass ich während meiner Studienzeit nicht mehr ausgegangen bin“, sagt Bindig. Er habe sie kontrolliert, gedemütigt, erniedrigt, „hat von meinem Handy aus meine Freunde beleidigt, mehrfach meine Sim-Karten zerschnitten und mich dazu gebracht, alle Social-Media-Accounts zu löschen“. Irgendwann habe sie immer nachgegeben – und auch vergeben. „Ich habe ja geglaubt, dass ich ihn liebe“, so Bindig.

Der psychischen Gewalt folgte körperliche. Bindig berichtet von Schlägen und Tritten. Die Kraft, sich aus dieser Spirale zu befreien, fand sie erst im zigsten Anlauf. „Er schaffte es immer, es so darzustellen, dass ich schuld an der Eskalation war.“ Ihr Job und die Kollegen halfen in dieser Zeit. „Ich war umgeben von mutigen Leuten, die einem helfen und bedingungslos akzeptieren“, sagt Bindig. Die Firma stellte sogar einen Psychologen zur Verfügung.

Marlene Bindig bestach in ihrer Turnkarriere durch Eleganz und Ausstrahlung - vor allem an ihrem Lieblingsgerät, dem Boden.
Marlene Bindig bestach in ihrer Turnkarriere durch Eleganz und Ausstrahlung - vor allem an ihrem Lieblingsgerät, dem Boden. © Agentur

Inzwischen hat sie mit sich ihren Frieden geschlossen. „Es ist wichtig, sich selbst zu vergeben. Ich hatte ja das Gefühl, mich vier Jahre lang selbst verraten zu haben“, sagt die Dresdnerin und meint aufgrund der Selbsterfahrung: „Es kann jedem passieren.“ Noch sucht sie einen Weg, wie sie anderen Betroffenen helfen kann.

Zuvor fiebert sie dem Neustart entgegen. In eine WG-Wohnung in Nizza hat sie sich bereits eingemietet. Der Schritt fühlt sich richtig an. „Die Tech-Industrie ist cool, schnelllebig, aber nicht das, wo mein Herz dahintersteht.“ Vormals gekappte Freundschaften sind längst wieder verknüpft. „Ich habe das Gefühl, dass sich jetzt ein Kreis schließt. Ich konnte alle wieder abholen, sie mit ins nächste Kapitel nehmen.“ Und auch Glamour gibt es in Monaco reichlich.