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War Temperatursturz Auslöser für Einbruch der Carolabrücke in Dresden?

Eine Woche nach dem Teileinsturz der Elbbrücke in Dresden gibt es weitere Erkenntnisse zur Ursache, den wahrscheinlichen Auslöser und zu Plänen gegen das Verkehrschaos.

Von Andreas Weller & Dirk Hein
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Die Ursachen zum Einsturz der Carolabrücke werden erforscht, jetzt gibt es einen ersten Zwischenstand.
Die Ursachen zum Einsturz der Carolabrücke werden erforscht, jetzt gibt es einen ersten Zwischenstand. © Sven Ellger

Dresden. Der zum Teil eingestürzte und danach abgerissene Bereich der Carolabrücke mit den Bahngleisen wird von Wissenschaftlern der Technischen Universität Dresden untersucht. Unter Leitung von Professor Steffen Marx sollen Ursache und Auslöser für das Versagen der Brücke ermittelt werden.

Die Wissenschaftler um Marx haben etliches an Brückenmaterial gesichert und untersuchen dieses. Unter anderen sollen laut Marx Fragen geklärt werden wie: Was war die Ursache? Wo genau ist die Brücke gebrochen? Warum mitten in der Nacht und nicht unter Volllast, also mit Autos und Straßenbahn darauf? Hätte man das vorher sehen müssen? Können die Brückenteile, über die die Autos vorher gefahren sind, wieder in Betrieb genommen werden? "Die Untersuchungen dauern an, aber wir haben erste Zwischenstände", so Marx.

Verrostete Spannglieder als Ursache des Teileinsturzes?

Bisher war die Vermutung, dass die Spannbetonbrücke zum Teil eingestürzt ist, weil mehrere der Spannglieder korrodiert sind und nicht mehr gehalten haben. "Die Konstruktionsart wurde bis 1993 angewendet", erläutert Marx. "Sie hat sehr gute Festigkeitseigenschaften, aber zulasten der Robustheit, was erst später erkannt wurde."

Dazu wurden Brücken diese Art früher nicht abgedichtet. "Weil man dachte, die bleiben frei von Rissen", so der Experte. Deshalb könne kein Wasser eindringen. "Das war ein Trugschluss. Eine spätere Abdichtung schützt vor weiterer Feuchtigkeit." Die Glieder können aber bereits geschädigt sein.

Ja, auch das Team von Marx gehe davon aus, dass die verrosteten Glieder Ursache für den Einsturz waren, zumal durch Tausalz auch Chloride eingesickert sein können, die den Beton und die Glieder angreifen.

Zudem könnte auch sogenannter Streustrom aus den Oberleitungen der Straßenbahnen Korrosion auslösen, aber auch Betonversagen werde als Ursache geprüft, ebenso ob Fugen der Gelenkträger undicht waren. "Wir haben Verbundstörungen festgestellt", so Marx. "Dazu sind die Schienen direkt mit dem Beton verbunden, sodass dieser starken Erschütterungen ausgesetzt war."

Vor allem habe das Team aber die Spannglieder als Ursache im Blick. "Unser erstes Ergebnis lautet: Von 156 Spanngliedern sind mindestens 40 vorgeschädigt, also mehr als 25 Prozent", erläutert der Professor. "Es ist sehr wahrscheinlich, dass das die Ursache ist, es können aber auch mehrere Faktoren sein."

Weshalb ist die Brücke nachts eingestürzt?

Um den Auslöser für das Versagen der zu definieren, werten die Experten auch das Videomaterial aus. "Es kann sein, dass ein sehr schweres Fahrzeug den Bruch der vorgeschädigten Brücke ausgelöst hat, etwa ein Schwerlasttransport", so Marx, der betont, dass es aktuell zwei Hypothesen dazu gibt.

"Die Brücke ist ein sehr schweres Bauwerk, dass mehr mit seinem eigenen Gewicht kämpft als mit dem Verkehr." Damit meint Marx die Last von Fahrzeugen und Bahnen im Normalbetrieb. "Die Temperatur könnte auch der Auslöser sein. Die Tage davor war es sehr warm, der Überbau der Brücke hat sich dabei stark aufgeheizt. Dann ist es in dieser Nacht stark abgekühlt, da kann es zu einer Überbeanspruchung gekommen sein."

Hat die Stadt die Brücke ausreichend kontrolliert?

An ähnlichen Brücken wie der über die Bahngleise am Industriegelände an der Königsbrücker Straße wird ein Monitoring, also eine permanente Überwachung durchgeführt, damit diese nicht plötzlich einstürzt. Warum wurde das nicht an der Carolabrücke gemacht?

"Es gibt für diese Art Brücken, in denen dieser spezielle Stahl verbaut ist, ein Prüfverfahren", erläutert Marx. "Dabei werden Proben entnommen und geprüft, ab der Stahl gefährdet ist. Das ist bei der Carolabrücke durchgeführt worden und das Ergebnis war positiv." Es bestand also laut den vorgeschriebenen Prüfmethoden keine Gefahr. Andere Methoden seien, Risse zu beobachten, da sie ab einer gewissen Breite auf eine Einsturzgefahr deuten und auch eine sichtbare Verformung deute darauf hin, aber das habe es bei der Carolabrücke nicht gegeben.

"Das hat gezeigt, dass das die Verfahren nicht ausreichen", so Marx. "Wir glaubten uns sicher mit dieser Methodik. Das hat Auswirkungen für ganz Deutschland, weil sehr viele Brücken so gebaut worden sind."

Eine andere Methode, die bisher nicht vorgeschrieben ist, ist die Schallemissionsmessung. Dabei werden kleine Mikrofone installiert, die sozusagen in die Brücke hören. "Wenn etwas im Inneren reißt, löst das Schallwellen aus", erklärt Marx. Das müsse nun an den beiden noch stehenden Zügen der Carolabrücke durchgeführt werden. "Nur wenn der Zustand deutlich besser ist als bei dem eingestürzten Zug, kann über eine Wiederinbetriebnahme diskutiert werden, ansonsten bleibt nur der Abriss", so Marx.

Wie geht es mit dem Verkehr weiter?

Die eingerichtete Task-Force dazu hat mittlerweile getagt, sagt Verkehrsbürgermeister Stephan Kühn (Grüne). Es werde weiterhin geprüft, ob die Augustusbrücke für den Autoverkehr freigegeben werden kann. "Sie wird allerdings jetzt für vier statt zwei Straßenbahnlinien benötigt." Zudem nutzen viele Radfahrer und Fußgänger die Brücke und eine Freigabe bedürfe Umstellungen für den Autoverkehr - dazu müsse auf der Altstädter Seite das Terrassenufer gesperrt bleiben, bis die Brückenteile aus der Elbe geborgen sind. "Wir prüfen und diskutieren weiter. Es wird bald eine Entscheidung dazu geben", so Kühn.

Zudem werde es in den nächsten Tagen Anpassungen der Ampelschaltungen am Rathenau- und Carolaplatz geben, um den Verkehr besser zu steuern. "Wir prüfen zudem, ob geplante Baumaßnahmen vorgezogen werden können", sagt Kühn. So könnte die Güntzstraße früher für breite Straßenbahnen ausgebaut werden und einiges mehr. Ergebnisse werde es bald dazu geben.

Wie geht die Stadt mit Details zum Einsturz um?

Am Mittwochnachmittag tagte der Bauausschuss der Landeshauptstadt. Die Verwaltung wollte dort in nichtöffentlicher Sitzung neue Details rund um den Teileinsturz der Carolabrücke bekanntgeben. Vertreter nahezu aller Fraktionen kritisierten das scharf.

Stefan Engel (SPD): "Nichtöffentlich zu informieren wäre für die Bevölkerung ein schwieriges Signal." Deutlicher wurde der Fraktionsvorsitzende der Linke, André Schollbach: "Das ist grotesk, die Stadt stellt sich den Rätinnen und Räten nur nicht öffentlich. Das weckt meinen Argwohn, dass sie unseren Fragen nicht standhalten wird." Er befürchtet, dass "brisante Informationen in nichtöffentlicher Sitzung versteckt werden! sollen.

Dem widersprach Baubürgermeister Stephan Kühn (Grüne). Da der Tagesordnungspunkt zur Carolabrücke nichtöffentlich geladen war, dürfe nur so berichtet werden. "Zur nächsten Sitzung kann gerne öffentlich beraten werden, auch in Sondersitzungen." Exakt das beantragte Schollbach, der Rat stimmte zu. "Unverzüglich", wahrscheinlich schon nächste Woche Donnerstag, wird es daher zum Thema Carolabrücke eine Sondersitzung geben.

Was Kühn im öffentlichen Teil dennoch andeutete: Sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebne laufen weiter Gespräche, wie Dresden beim möglichen Neubau einer Brücke unterstützt werden kann. "Wir reden über mehr als 100 Millionen Euro, das ist eine Größenordnung, die wir nicht allein stemmen können", sagt Kühn. In Berlin versuche Kühn durch Gespräche mit Fachpolitikern, die sich gerade in den Haushaltsberatungen befinden, Gelder für Dresden zu sichern.