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DVB reißen Haltestelle vor Seniorenresidenz ab: "Es ist ein Stück Selbstständigkeit, was ich verliere"

Um schneller durch Dresden zu fahren, lassen die DVB drei Haltestellen wegfallen. Eine davon erreichte Pflegeheime, Praxen und Physiotherapien. Jetzt gibt es Protest.

Von Dirk Hein
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Anwohner protestieren gegen das Aus für die Haltestelle "Reitbahnstraße".
Anwohner protestieren gegen das Aus für die Haltestelle "Reitbahnstraße". © René Meinig

Dresden. Um entlang der Linie 62, die von Dölzschen, durch die Innenstadt bis in die Johannstadt führt, den Fahrplan zu "stabilisieren", haben die Dresdner Verkehrsbetriebe mit Beginn des neuen Schuljahres insgesamt drei Haltestellen entfallen lassen. Vor allem um den Haltepunkt "Reitbahnstraße" gibt es jetzt Streit. Was die Betroffenen kritisieren - und wie die DVB reagieren.

Weniger Haltestellen als DVB-Effizienzmaßnahme

Zum ersten Mal fährt der Bus heute durch: Mit Beginn des neuen Schuljahrs kehren die Dresdner Verkehrsbetriebe traditionell zum regulären Fahrplan zurück. Im Regelfall heißt das: Busse und Bahnen fahren wieder deutlich häufiger. Aktuell haben die Verkehrsbetriebe diesen Termin aber auch genutzt, um Sparmaßnahmen durchzusetzen. Gleich drei Haltestellen entlang der Linie 62 sind weggefallen, am problematischsten erscheint das Aus für die "Reitbahnstraße" zwischen den Haltepunkten Prager Straße und Josephinenstraße.

Zu nah seien die Abstände zwischen den drei Haltestellen bisher, zu wenige Menschen würden an der Reitbahnstraße aussteigen, sagen die DVB. Um effizienter zu werden, könne am ehesten auf den Haltepunkt Reitbahnstraße verzichtet werden. Doch die Haltestelle wurde bisher vor allem von Senioren benutzt. Wenige Meter entfernt liegt eine Pflegeresidenz inklusive betreutem Wohnen, Intensiv- und Palliativpflege. Mehrere Ärzte, ein Sanitätshaus und Physiotherapien haben sich angesiedelt.

"Mit Krücken zur nächsten Haltestelle, das geht nicht mehr"

"Ich bin auf den Halt angewiesen, mit meinen Krücken zur nächsten Haltestelle zu laufen, das geht nicht mehr", sagt beispielsweise Roland Israel. Um zu berichten, wie wichtig ihm der Zu- und Ausstieg für die Linie 62 ist, hat sich Israel zusammen mit etwa 15 weiteren Betroffenen an diesem Montagmittag vor Ort zum Gespräch mit Sächsische.de getroffen.

Die Haltestelle wird zu diesem Zeitpunkt erst seit wenigen Stunden nicht mehr angefahren. Die Verantwortlichen haben dennoch schon ganze Arbeit geleistet. Das Hinweisschild samt Fahrplan ist bereits demontiert. Als die Senioren auf den drei noch vorhandenen Plätzen der einstigen Haltestelle zum Gespräch Platz genommen hatten, wartet schon der nächste Arbeiter - eigentlich müsse er jetzt die Bank demontieren. Nach kurzem Zögern zieht sich er sich zurück und wartet ab.

In der Zwischenzeit erzählt Bettina Nake. Die 60-Jährige hat früher bei Karstadt als Verkäuferin gearbeitet, ist momentan wegen mehreren schweren Stürzen aber deutlich eingeschränkt. Frau Nake wohnt an der Budapester Straße, nutzt die Physiotherapie in der Nähe der Reitbahnstraße. Bisher konnte sie direkt vor Ort aussteigen und musste nur wenige Meter gehen. Jetzt soll sie die 200 Meter entfernte Haltestelle Josephinenstraße nutzen. Fünf Minuten Fußweg sind dies im Regelfall, für die 60-Jährige ist es ein fast unüberwindbares Hindernis.

15 Minuten für 200 Meter Weg

"Ich bin die Strecke heute gelaufen und habe 15 Minuten für 200 Meter gebraucht. Der Weg ist total uneben, ich musste nur nach unten schauen. Ich habe Angst, ich falle wieder und breche mir erneut die Hüfte. Es ist ein Stück Selbstständigkeit, was ich verlieren werde."

Vergleichbare Geschichten werden viele mehr erzählt. Ein 90-Jähriger kann nur über die Haltestelle den Weg zum Friedhof auf der Chemnitzer Straße schaffen, so seine verstorbene Frau besuchen. Die 88-jährige Christa Liebisch braucht die Haltestelle um weiterhin selbstständig einkaufen zu fahren.

Sie alle zusammengebracht an diesem Tag hat Monika Schaper. Auch sie ist auf eine Physiotherapie angewiesen und sagt: "Die Vertreter der DVB, die das beschlossen haben, sollen einmal in einen Anzug steigen, der Alter sowie Seh- und Höreinschränkungen simuliert und dann den Weg zur nächsten Haltestelle laufen."

Seit Montag rauscht der Bus der Linie 62 an der einstigen Haltestelle "Reitbahnstraße" vorbei.
Seit Montag rauscht der Bus der Linie 62 an der einstigen Haltestelle "Reitbahnstraße" vorbei. © René Meinig

So begründen die DVB den Verzicht

Die Verkehrsbetriebe wissen um die heikle Lage vor Ort, bleiben aber bei ihrer Entscheidung. "Die Stadt Dresden erwartet von uns einen sinnvollen Einsatz der vorhandenen Ressourcen. Also setzen wir die vorhandenen Fahrer und Wagen so ein, dass eben dieser Effekt erzielt wird", sagt Sprecher Falk Lösch.

Um den Fahrplan der Linie 62 zu stabilisieren und den Einsatz eines zusätzlichen Busses zu verhindern, fiel die Entscheidung gegen insgesamt drei Haltestellen auf der Linie 62, darunter auch die "Reitbahnstraße." Eine weitere entfernte Haltestelle liegt am Rathaus Plauen. Dort wurde bisher kurz hintereinander zweimal gehalten. In der Johannstadt entfallen die "Gutenbergstraße" und "Neubertstraße". Dafür entsteht zwischen diesen beiden Stationen eine neue mit dem Namen "Hertelstraße".

Konkret bezogen auf die Situation an der "Reitbahnstraße" argumentieren die Verkehrsbetriebe, dass an diesem Haltepunkt jeden Tag 15.000 Fahrgäste vorbeifahren, aber nur 234 Menschen ein- und 395 aussteigen würden. An der Prager Straße sind es - schwer zu vergleichende - 12.200 Menschen pro Tag. Laut DVB beträgt der Abstand zwischen den Haltestellen Reitbahnstraße und Josephinenstraße nur rund 200 Meter und auch der Abstand zur Prager Straße sei gering.

Die Reitbahnstraße gilt weiter als erschlossen

Bevor Haltestellen überhaupt entfallen können, prüfen die DVB zudem, ob die Gebiete um den Haltepunkt herum weiterhin als erschlossen gelten können. In der Innenstadt ist das der Fall, wenn im Umkreis von 300 Metern eine Haltestelle vorhanden ist. "Das ist auch nach Aufgabe der Reitbahnstraße der Fall, weil dieses Gebiet durch die Josephinenstraße und die Prager Straße weiterhin erschlossen wird", sagt DVB-Sprecher Lösch. Alle Linien- oder Haltestellenänderungen würden zudem immer mit der Landeshauptstadt abgestimmt, seien also nie ein "Alleingang" der DVB.

In der Abwägung, ob die Haltestelle Josephinenstraße, die etwas höhere Werte hat, oder Reitbahnstraße entfallen soll, fiel die Auswahl zugunsten der Josephinenstraße. "Die Josephinenstraße liegt nicht nur in gleichmäßigerem Abstand zu den nächsten Stationen, sie bindet auch ein Wohngebiet, eine Grundschule, einen Kindergarten an", sagt Lösch, der aber auch betont: "Wir schauen uns fortwährend die Nachfrage auf unseren Linien an."

Zumindest an diesem Montag hat der Protest an der Haltestelle Reitbahnstraße einen kleinen Erfolg: Der freundliche Arbeiter, der die Bank abbauen wollte, schaut wenig später nochmal vorbei. Die Bank an der ehemaligen, übrigens vorbildlich barrierefrei errichten, Haltestelle darf stehen bleiben - vorerst für ein oder zwei Tage. "Und vielleicht haben Sie ja auch Erfolg und die Haltestelle kommt wieder", sagt er und geht.

Transparenzhinweis: In einer ersten Version des Textes stand geschrieben, dass an der Haltestelle "Reitbahnstraße" ein Wartehäuschen aufgebaut war, welches bereits entfernt wurde. Tatsächlich stand vor Ort lediglich ein Haltestelleschild, welches entfernt wurde.