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Dresdner Katastrophengeschichte: Die Vogelwiese brennt

Die Dresdner Vogelwiese ist eines der ältesten deutschen Volksfeste. Ein großes Feuer verursachte vor 115 Jahren eine Panik und vernichtete viele der Jahrmarktsbuden.

Von Ralf Hübner
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Verwüstungen in der "Budenstadt": 1909 löste offenbar ein Laternenanzünder einen verheerenden Brand auf der Dresdner Vogelwiese aus.
Verwüstungen in der "Budenstadt": 1909 löste offenbar ein Laternenanzünder einen verheerenden Brand auf der Dresdner Vogelwiese aus. © Sammlung H. Naumann

Dresden. Tausende Vergnügungssuchende haben sich auch in diesem Jahr Tausende auf der Vogelwiese vergnügt. Erst in der vergangenen Woche bauten die Schausteller die Budenstadt mit ihren Karussells wieder ab.

Tatsächlich ist die Vogelwiese ist ein Rummel mit Geschichte: Vor dem Zweiten Weltkrieg galt sie gar als eines der größten, bekanntesten und beliebtesten deutschen Volksfeste. Vor 115 Jahren aber vernichtete am 2. August 1909 ein großes Feuer viele der Buden, Karussells, Stände und Wohnwagen. Wie durch ein Wunder kam kein Mensch ums Leben.

"Großfeuer auf der Vogelwiese", titelten die Dresdner Nachrichten einen Tag später. In einem ersten Bericht war von einem Benzinmotor die Rede, der explodiert sein soll. Dann wurde vermutet, ein weggeworfenes Streichholz habe das Unglück ausgelöst. Später stellte sich heraus: Ein Laternenanzünder hatte sich in einer Ecke des Lang’schen Riesenzeltes bemüht, die Notbeleuchtung zu entzünden. An einer der Lampen soll der Docht etwas zu weit herausgedreht worden sein, so dass eine große Flamme aus der Lampe schoss. Girlanden und Gardinen fingen sofort Feuer. Ein Mann versuchte vergeblich, mit der Hand zu löschen. "Es brennt", riefen einige Gäste. Panik brach aus.

Zu jener Zeit hatte die Vogelwiese auf den Johannstädter Elbwiesen ihren Platz. Die Menge schob sich an Ständen mit Pfefferkuchen, Bratwürsten und anderen Leckereien vorbei. Die Leute wollten "Lionel" sehen, den Löwenmenschen, und Karussell fahren.Das Feuer breitete sich indes in Windeseile aus. "Die Fabriken auf der Neustädter Seite geben Notsignale und das Jägerbataillon ist in voller Stärke unter Führung von Hauptleuten und Leutnants nach der Brandstätte ausgerückt", berichteten die Dresdner Nachrichten. Auch ein Regiment Grenadiere rückte an. Die Dampfkessel der Karussells und Kohlensäuretanks der Restaurants detonierten. Ein Löwe sei ausgebrochen, hieß es. In Berichten ist von haushohen Flammen die Rede. Die Feuerwehrleute kämpften sich gegen die flüchtenden Menschen mühsam zum Brand durch. Soldaten rissen Buden nieder und fuhren die Wohnwagen der Schausteller weg. Schauunternehmen wie der "Feenpalast", das "Nürnberger Bratwurstglöckli" und der "Albert-Salon" fackelten ab. Von vielen Karussells und Luftschaukeln blieb so gut wie nichts übrig. 27 große Etablissements, 60 Verkaufsbuden und mehr als 100 Stände fielen den Flammen zum Opfer. Gegen 20 Uhr war der Brand weitgehend gelöscht. Die Vogelwiese ging weiter.

Ihre Ursprünge liegen in der Zeit der Hussitenkriege, als sich die Bürger an der Verteidigung der Stadt beteiligen mussten. Armbrust- und Büchsenschützen waren gefürchtet. Schützengesellschaften genossen hohes Ansehen und wurden vom Landesherrn gefördert. Im Stadtgraben zwischen der jetzigen Schießgasse, Landhausstraße und Ringstraße durften sie üben. Vermutlich war es Kurfürst Friedrich der Sanftmütige, der 1446 die Dresdner Bogenschützengesellschaft privilegierte. Die alljährlichen Pfingstschießen hatten großen Zulauf und galten schließlich als ein geselliger Höhepunkt im städtischen Leben. Vor allem die Landesschießen mit Teilnehmern aus anderen Städten wurden aufwendig inszeniert. Die Schießwettbewerbe wurden von Vergnügungen begleitet wie Kegeln, Würfelspielen, dem Auftritt erzgebirgischer Bergsänger, Wettläufen, Stangenklettern und Schwerttänze sowie Fechtvorführungen.

Freibier für die Schützen

Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurden die Schützenfeste 1660 unter Kurfürst Johann Georg II. wieder aufgenommen. Der Kurfürst spendierte den Schützen Freibier sowie ein Wein- und Wildbretdeputat und stiftete eine neue Kette für den Schützenkönig. Die Alte von 1513 war eingeschmolzen worden. Die jeweiligen Schützenkönige sollten ihr immer einen neuen Anhänger hinzufügen. 1891 wurde die Kette mit 15 Medaillons im Stadtmuseum ausgestellt. Beim spektakulärsten Kunstdiebstahl der DDR wurde sie am 20. September 1977 zusammen mit Teilen des sogenannten Sophienschatzes aus dem Museum gestohlen. Der Diebstahl konnte nie aufgeklärt werden. Von den einst 15 Anhängern sind inzwischen 14 wieder da.

Ein 1699 auf Weisung August des Starken ausgetragenes Schießen übertraf indes alle vorangegangenen Schießfeste. August war von seinem Krönungszug in Polen in die sächsische Residenz zurückgekehrt und hatte polnische Magnaten im Gefolge. Anlässlich des Besuches des Königs und Kronprinzen von Preußen 1728 wurden sogar ein "Nacht-Scheiben-Schießen" veranstaltet. Jeder Treffer löste ein Feuerwerk farbiger Raketen aus.

Die Vogelwiese wurde zum Volksfest. Immer mehr Händler und Veranstalter schlugen ihre Zelte auf und sorgten für volle Kassen. Die Dauer des Vergnügens war nach dem Siebenjährigen Krieg von drei Tagen auf eine Woche verlängert worden. 1873 erwarb die Bogenschützengesellschaft auf den Johannstädter Elbwiesen ein Festgelände. Im "Wegweiser durch Dresden und die Vogelwiese" von 1893 wird dieses als "Jubel- und Trubelfest" bezeichnet. Hunderttausende Besucher sollen zu der "tollen oder liederlichen Woche" gekommen sein, die allgemein mit Böllerschüssen eröffnet wurde.

Die erste Vogelwiese nach dem Ersten Weltkrieg ging 1920 mit 40 Karussells, 100 Schankzelten und 600 verschiedenen Schaustellungen über die Bühne: Berg-, Tal- und Tunnelbahn, Radfahrerkarussell, Freischwinger, Ponyfahrschule, eine "Spiralruschbahn im Hexenkessel", Hugo Haases Achterbahn und Schleifenbahn, Teufelsräder, Luftschaukeln, Hippodrom, Liliputaner-Varieté, Sporttheater mit Ringern, Wahrsager, Lachtempel und Drehorgelmänner.

20 Jahre nach dem großen Feuer von 1909 verwüstete am 4. Juli 1929 schließlich ein Sturm Teile der Budenstadt an der Elbe. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Bogenschützengesellschaft verboten. Auf dem ehemaligen Festgelände wurde nun Trümmerschutt abgeladen.

Zur ersten Vogelwiese nach dem Krieg 1947 kamen immerhin 32 Schausteller aus der Umgebung. 1949 wurde sie zunächst am Zoo und 1953 am jetzigen Straßburger Platz angesiedelt.

Heute läuft die Vogelwiese unter der Regie des Schaustellerverbandes und ist im Gelände an der Marienbrücke im Ostragehege zu Hause.