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Trans Frau aus Dresden: "Für mich war jeder Tag ein Kampf"

Jean Herzog lebt in Dresden. Ihr bei der Geburt zugeordnetes Geschlecht ist männlich. Sie identifiziert sich aber als Frau - und musste deswegen viel einstecken. In ihrer Heimatkleinstadt verging kein Tag ohne Konfrontationen. Wie lässt man das hinter sich?

Von Fionn Klose
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Jean Herzog musste wegen ihrer Geschlechtsidentität in ihrer Heimatstadt Löbau viel einstecken. In Dresden fasste sie neuen Mut. Und fühlt sich mittlerweile wohl.
Jean Herzog musste wegen ihrer Geschlechtsidentität in ihrer Heimatstadt Löbau viel einstecken. In Dresden fasste sie neuen Mut. Und fühlt sich mittlerweile wohl. © René Meinig

Dresden. Jean Herzog steht unter dem weißen Pavillon am Elbufer. Sie ist ganz in Schwarz gekleidet, ihre hohen Plateauschuhe sind mit silbernen Kappen und Ketten versehen, in denen sich die Säulen des Pavillons spiegeln.

Die 27-Jährige kommt aus Löbau. "Das ist eine totale Kleinstadt, dort war jeder Tag ein Kampf für mich", sagt sie, während sie sich mit ihren von schwarzen Handschuhen umschlossenen Händen durch die Haare fährt. "Ich war ja immer schon anders, immer schon ich. Und das hat da nicht so gut funktioniert." Jean ist immer angeeckt. Das bei ihrer Geburt zugeordnete männliche Geschlecht stimmt nicht mit ihrer Geschlechtsidentität überein.

"Ich bin trans, habe da aber noch nicht so gelebt wie jetzt, weil ich noch in meiner Findungsphase war." Sie hat sich immer schon weiblich gefühlt. Aber da war diese Unsicherheit: Bin ich ein Mann? Bin ich eine Frau? Egal ob sie geschminkt oder ungeschminkt war, sie wurde immer abgewertet. "Und das ist wirklich bis zu gewalttätigen Übergriffen gegangen", sagt Jean heute. "Ich habe das einfach nicht mehr ausgehalten, auch psychisch."

Sein, was man sein will

Ankerpunkte in ihrem Leben sind ihre Mutter und ihr Bruder. "Meine Mutter hat mich immer unterstützt. Ich konnte immer ich selbst sein." Jean durfte als Kind mit Barbies spielen, sich die Haare lang wachsen lassen. Ihrer Mutter war bei ihr. Ihr Kind sollte sein, was es sein wollte. Eine Erzieherin habe Jeans Mutter damals gesagt, dass sie sie nicht so rumlaufen lassen soll: "Die ganze Welt lacht ihr Kind aus." Da war Jean drei Jahre alt.

Mit Anfang 20 geht sie aus Löbau weg nach Dresden. Ein Versuch auszubrechen, aus all dem, was sie dort erleben musste. Aber sie kann die schlechten Erlebnisse nicht hinter sich lassen: Die Unsicherheit, die Trauer, die Wut. Innerhalb von zwei Jahren ist sie dreimal jeweils für mehrere Monate in stationärer Behandlung in der Klinik am Weißen Hirsch. Die Diagnosen: Depressionen und eine posttraumatische Belastungsstörung. Auch wegen der Erfahrungen, die sie am Anfang in Dresden machen musste. "Es ist zwar eine Großstadt, aber so tolerant ist sie dann auch nicht", sagt Jean. "Hier sind auch nicht so schöne Dinge passiert."

Engagement durch Aufklärung

Mit queeren Partys, neuen Bekanntschaften und Freunden entdeckt sie das Trans-Sein immer mehr. Sie beginnt sich in ihrer weiblichen Identität sicherer zu fühlen. Sie fängt an, Travestie zu machen, wird Drag-Queen. Ein Kanal, um ihre Weiblichkeit leben zu können. Sie fasst neuen Mut, will sich engagieren. Über ihren Therapeuten entsteht die Möglichkeit, Vorträge auf Schulungen und Fortbildungen für Ärzte zu halten. Dort spricht sie über ihre Lebensgeschichte und übers Trans-Sein. "Das ist meine Art von Engagement, indem ich zu jungen Ärzten und Therapeuten gehe und ihnen etwas mit auf den Weg gebe", sagt Jean. "Das ist auch für die einfacher, man lernt das ja alles nur theoretisch, und es ist wichtig auch Berührungspunkte mit einem Menschen wie mir zu haben."

Eines ihrer größten Vorbilder ist Britney Spears. Ihr Aufstieg, ihr Fall, ihr Wiederkommen, dieser Wille, sich zu behaupten und sich zurück ins Leben zu kämpfen. "So selbstbewusste, starke Frauen haben mich mein ganzes Leben lang schon inspiriert ich selbst zu sein und keine Angst zu haben."

An einem Tag läuft Jean durch die Heide. "Und da hatte ich so einen Moment, in dem es Klick gemacht hat." Schluss damit, sie will sich nicht mehr verstecken. Es ist der Anfang vom Ende ihrer Therapie. "Ich war dann ab dem Punkt noch drei oder vier Wochen da, dann bin ich raus." Seit drei Jahren fühlt sich Jean komplett als Frau. Und sie ist glücklich damit.

"Wir dürfen nicht die vergessen, die vor uns da waren"

Auf den am Samstag stattfindenden Christopher Street Day freut sie sich schon. Auf ihrem ersten CSD war sie 2017. "Da bin ich das erste Mal mitgelaufen, das war echt überwältigend. Und da wurde ein Popsong aus den 90ern gespielt, alle Menschen waren glücklich." In dem Moment kamen ihr die Tränen.

Damals sprach sie ein kleines Mädchen an, das mit ihrer Mutter am Straßenrand stand: "Du bist die größte, schönste Prinzessin, die ich je gesehen habe." Dann umarmte sie Jean. "Danach hat sie ganz doll rumgekreischt und ist rumgehüpft", sagt Jean heute und fängt an zu lachen.

Sie würde gerne einmal Redebeiträge auf dem CSD halten. Sie hat viel erlebt und kann viel erzählen. "Ich mache jeden Tag Politik. Wenn man so vor die Tür geht wie ich, macht man Politik. Aber das Problem ist, dass ich nicht viel mit Vereinen aus dem Bereich zusammenarbeite, wie dem CSD Dresden oder dem Gerede e.V." Sie hat noch nicht so viele Berührungspunkte, sagt sie. "Aber vielleicht kommt das ja noch."

Die wichtigste Botschaft, die der CSD aus ihrer Sicht vermitteln sollte? "Das wichtigste ist, dass wir uns erinnern, an den Stonewall-Aufstand 1969 und alle Leute, die damit verbunden sind." Damals wollte die New Yorker Polizei in einer Nacht die Schwulenbar Stonewall Inn räumen. Die Gäste wehrten sich. Es kam zu tagelangen Unruhen. "Wir müssen uns erinnern an das, was früher passiert ist, wo wir herkommen und wie privilegiert und glücklich wir jetzt sein können."

Während sie das sagt, klopft sich Jean mit der geschlossenen Faust auf den Oberschenkel. Dann zündet sie sich eine Zigarette an und läuft dahin, wo sie sich zu Hause fühlt. In Richtung Neustadt.