Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
SZ + Dresden

Sozialticket in Dresden gekündigt: Stadtrat pfeift Verwaltung zurück

Die Sozialausgaben in Dresden explodieren. Weil es eine freiwillige Leistung ist, hat die Stadt das Sozialticket für Bedürftige bei den DVB gekündigt. Doch nun haben Politiker interveniert.

Von Andreas Weller
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Das Sozialticket für rund 20..000 arme Dresdner sollte eingestampft werden.
Das Sozialticket für rund 20..000 arme Dresdner sollte eingestampft werden. © Symbolfoto: Marion Doering

Dresden. Rund 32.000 Dresdnerinnen und Dresdner haben den Dresden-Pass. Weil ihr Einkommen sehr gering ist, erhalten sie Rabatte und Zusatzleistungen. Viele davon nutzen auch das vergünstigte Ticket für Busse und Bahnen der Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB).

Doch das hat die Stadt aus Geldmangel zum Jahresende gekündigt, wie jetzt bekannt wurde. Auf Antrag von SPD und der Fraktion aus Piraten, Volt und Die Partei (PVP) hat der Stadtrat nun aber beschlossen, dass die Stadt diese Kündigung zurückziehen muss. Wie es dazu kam und weshalb die Sozialkosten so stark steigen.

Wie kommt es zu den hohen Sozialausgaben?

Insgesamt geht es um 82,3 Millionen Euro Mehrkosten. "Das ist der Ausdruck der aktuellen Herausforderungen, vor der die Stadt Dresden und andere Kommunen stehen", sagt Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann (Linke). "Als wir den Haushalt aufgestellt haben, waren die Auswirkungen des Krieges gegen die Ukraine und die Preissteigerungen noch kein Thema."

Nun ist aber klar, dass die geplanten Mittel für den Sozialbereich noch im September komplett ausgegeben sind. "Dann wären wir nicht mehr zahlungsfähig." Kaufmann spricht von einem "Mehrbedarf in sehr hoher Millionenhöhe. "Geld, das wir aufbringen müssen, bis auf eine Ausnahme."

Der größte Batzen bestehe aus sogenannten Pflichtleistungen, Dresden ist also gesetzlich verpflichtet, diese Kosten für Bedürftige zu übernehmen. Kaufmann nennt Beispiele wie die Eingliederungshilfe – "Maßnahmen, die Kindern mit Behinderungen zustehen, damit sie mit Assistenz einer erwachsenen Person in den Schulen und Kitas teilnehmen können". Das Geld wird auch benötigt, um Pflegefamilien für Kinder mit Behinderungen zu unterstützen.

Zudem geht es darum, die Grundsicherung und Kosten der Unterkunft für arme Menschen aus der Ukraine, die vor dem Krieg nach Dresden geflüchtet sind, zu zahlen. "Wir haben überall steigende Fallzahlen, Mieten und Nebenkosten", so Kaufmann.

Betroffen sind auch die Hilfen zur Gesundheit - also für Menschen, die keine gesetzliche Krankenversicherung haben. Für diese zahlt Stadt zu 100 Prozent die medizinische Versorgung. Ebenso Hilfe zur Pflege, also die Unterstützung von armen Menschen, die Pflege benötigen. Auch die Hilfe zum Lebensunterhalt gehört dazu – für ältere Menschen, deren Rente nicht ausreicht. "Wir bekommen Pflichtleistungen nicht mehr ausreichend ausfinanziert durch das Land, obwohl wir die Aufgaben übertragen bekommen", so Kaufmann.

Was hat das mit dem Sozialticket zu tun?

Der Stadtrat hat jetzt über rund 57,3 Millionen Euro entschieden, damit diese Pflichtleistungen weiterhin bezahlt werden können. Kaufmann kündigte an, dass demnächst über weitere rund 25 Millionen Euro entschieden werden müsse.

Fast alles Pflichtaufgaben, die gezahlt werden müssen. "Die einzige freiwillige Leistung ist im Rahmen des Dresden-Passes die Mobilitätshilfe, also das Sozialticket", so Kaufmann. Dieses wurde 2023 um das Deutschlandticket erweitert. Davor haben es rund 14.000 Menschen in Dresden genutzt, jetzt sind es mehr als 19.500.

Die Kosten für die Stadt sind von geplanten knapp 2,5 Millionen Euro auf gut 6,1 Millionen Euro in diesem Jahr gestiegen, also fehlten vor dem Beschluss gut 3,6 Millionen Euro.

Warum gibt es Zoff um das Sozialticket?

Bedürftige erhalten die Tickets der DVB zum halben Preis. Der Stadtrat hat es 2015 eingeführt. Anfangs haben sich DVB und Stadt die andere Hälfte der Kosten geteilt. "Dies hat sich aber auf Basis eines Stadtratsbeschlusses geändert, die zahlt nun die 50 Prozent komplett", so die Sozialbürgermeisterin. "Mobilität ist eine Grundvoraussetzung für soziale Teilhabe."

Auf Nachfrage aus dem Rat räumte Kaufmann ein. "Ja, der Vertrag musste gekündigt werden. Weil die Finanzierung für die 50 Prozent nicht vorhanden ist und Pflichtaufgaben nicht finanziert sind, hat die Stadt entschieden, diese freiwillige Leistung zu kündigen."

Dieser Schritt hat Piraten-Stadtrat Martin Schulte-Wissermann alarmiert. "Die DVB werden an rund 20.000 Menschen in Dresden sehr bald Briefe schicken müssen, dass sie doppelt so viel für ihr Ticket zahlen müssen. Das wird ein Schock für die Betroffenen."

Hat der Stadtrat die Entscheidung rückgängig gemacht?

PVB und SPD hatten beantragt, die Kündigung zurückzuziehen und mit der Diskussion um den Haushalt für 2025/2026 zu schauen, ob die Finanzierung durch die Stadt nicht doch weiter möglich ist. Dieser soll voraussichtlich im Frühjahr 2025 beschlossen werden. "Wer der Verlängerung nicht zustimmt, der sagt, mir sind Menschen, die wenig Geld haben, egal", so Schulte-Wissermann.

Am Ende stimmte eine Mehrheit für die Rücknahme der Kündigung des Sozialtickets und auch eine Ergänzung der CDU wurde beschlossen - den Bund aufzufordern, sich an der Finanzierung der Pflichtleistungen der Kommunen stärker zu beteiligen.