Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
SZ + Dresden

Pflexit: Dresdner Influencerin "Ossilinchen" verlässt die Pflege

Sarah Küttner aus Dresden teilte auf Instagram als "Ossilinchen" Erlebnisse aus dem Pflege-Alltag. Nun hat sie sich einen neuen Job gesucht. Warum?

Von Theresa Hellwig
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Sarah Küttner aus Dresden teilte auf Instagram als "Ossilinchen" Erlebnisse aus dem Pflege-Alltag. Nun hat sie den "Pflexit" vollzogen.
Sarah Küttner aus Dresden teilte auf Instagram als "Ossilinchen" Erlebnisse aus dem Pflege-Alltag. Nun hat sie den "Pflexit" vollzogen. © Sven Ellger

Dresden. Auf dem Foto sind Nudeln zu sehen, Spinat, Tomaten, Kürbiskerne. Essen auf Instagram - das ist nicht untypisch. Auf dem Account von Sarah Küttner, besser bekannt als "Ossilinchen", allerdings schon. "Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was es für ein Lebensgefühl ist, nach der Arbeit noch Lust und Kraft zu haben, zu kochen", schreibt die 32-Jährige darunter. Und weiter: "Ich vermisse nichts aus meinem alten Leben als #Krankenschwester."

Denn das ist es, wofür Sarah Küttner eigentlich bekannt ist: Die Dresdnerin nahm ihre mittlerweile mehr als 10.000 Followerinnen und Follower jahrelang mit durch ihren Alltag in der Pflege. Zunächst im Krankenhaus, dann in einer Anästhesie-Praxis. Damit ist jetzt Schluss: Sarah Küttner hat gekündigt. Oder auch: Sie hat den "Pflexit" vollzogen.

16 Jahre lang arbeitete Sarah Küttner in der Pflege

Pflexit - der Begriff hat sich mittlerweile eingebürgert. Er ist die Verschmelzung aus den Worten "Pflege" und "Exit", angelehnt an den "Brexit". Gemeint ist, wenn Pflegekräfte kündigen, weil sie die Belastung nicht mehr ertragen. Auch Sarah Küttner verwendete den Begriff in ihren Postings. Und zwar nicht erst jetzt. Schon 2021, nach der ersten Corona-Welle, ging sie einen ersten Schritt in die Richtung.

Seit 2008 arbeitete sie in der Pflege, begann damals ihre Ausbildung zur staatlich examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin. Danach, 2011, wurde sie von einem großen Dresdner Krankenhaus übernommen. "Ich wollte unbedingt zu einem Maximalversorger", erklärt sie. "Ich war 19 Jahre alt, frisch ausgelernt und wollte noch ganz viel sehen und lernen." Etwa fünf Jahre blieb sie in der Onkologie und kümmerte sich vor allem um Menschen mit Blutkrebs, Hodgkin-Lymphom oder Leukämie. Dann wollte sie etwas Neues lernen - und wechselte erst in die Notaufnahme und später dann in die Intensivpflege.

Sarah Küttner brannte für den Job, das ist ihr anzuhören. "Dinge, die ich niemals sagen werde", schreibt sie eines Tages auf Instagram, "Ich hasse meinen Job." Sie wollte sich weiterentwickeln, lernen, war ehrgeizig.

"Ich wurde frustriert und griesgrämig"

Und dennoch war eines Tages die Luft raus. "Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich frustriert und griesgrämig wurde", schildert sie. Woher der Frust kam? Sarah Küttner fallen da mehrere Punkte ein.

In der Notaufnahme, zum Beispiel, seien immer wieder Menschen gekommen, die eigentlich in eine Hausarztpraxis gehört hatten. "Es kamen Menschen, die hatten seit fünf Wochen Husten. Sie kamen in die Notaufnahme, um schnell an einen Termin zu kommen, weil sie gerade am Wochenende Zeit hatten", sagt sie. "Nebenan haben wir gerade reanimiert und echte Notfälle betreut, aber die Wartenden waren oft ungeduldig und unfreundlich." Szenen, wie diese - das mache etwas mit dem Team, sagt sie.

Aber nicht nur in der Notaufnahme sei es schwierig gewesen. "Wegen des Personalmangels, musste ich ständig einspringen oder Überstunden machen", erinnert sie sich. Eine Szene sei ihr besonders in Erinnerung geblieben. Da habe sie auf der Intensivstation gearbeitet. Als sie am Morgen ankam, sei sie direkt in ein Vierer-Zimmer geschickt worden. "Dort lagen drei Beatmete und ein frisch Extubierter", schildert sie. "Letzterer brauchte eigentlich eine 1:1-Betreuung." Der Mann habe noch unter Medikamenten gestanden und sei immer wieder aus dem Bett geklettert. "Ich hatte da Arbeit, die man sonst eigentlich zu zweit oder sogar zu dritt machen müsste", erinnert sich Sarah Küttner. "Ich habe in der Schicht nicht gegessen, nicht getrunken und war höchstens einmal auf Klo."

Anfang März 2021, in der Pandemie, zog sie die Reißleine. Sie sagte der Pflege allerdings noch nicht ganz ade - und wechselte in eine ambulante Anästhesie-Praxis in Dresden. "Wir sind zu verschiedenen Chirurgen in die Praxis gefahren; zum Beispiel zu Augenärzten, Kinderzahnärzten oder Schönheitschirurgen." Und dann: "Ich habe das wirklich gerne gemacht."

Sarah Küttner arbeitet jetzt im Marketing

Vieles sei auch schon deutlich einfacher gewesen. Dennoch begann der Arbeitstag früh - und in den einzelnen Praxen bekam sie den Pflege-Frust eben dennoch mit. Es betraf sie zwar nicht mehr persönlich, aber "da herrschte viel Unzufriedenheit", sagt sie. Oftmals habe eine bissige Stimmung geherrscht. Als die Praxis, in der sie arbeitete, wuchs und dadurch die familiäre Atmosphäre mit ihren Vorteilen verlor, sei sie eines Morgens erschrocken aufgewacht. "Ich habe mich gefragt: Willst du das so jetzt wirklich bis zur Rente machen?"

Nun also ist sie noch einen Schritt weiter gegangen - und vollzieht den Pflexit ganz. "Seit 10 Jahren bin ich im Netz das Ossilinchen. Social Media, Marketing: Dafür schlägt mein Herz", sagt sie. Und genau das macht sie jetzt auch. Als Marketingmanagerin arbeitet sie bei "Dresden for friends", einem Unternehmen, das Zwei-zu-eins-Rabattkarten für Erlebnisse in der Region anbietet. In ihren Arbeitsalltag gehört jetzt zum Beispiel das Drehen von lustigen Werbevideos, die Sarah Küttner ebenfalls auf Instagram teilt. Statt mit OP-Maske, sieht man sie online nun immer häufiger im Büro - oder mit Laptop auf dem Schoß im Bett.

Zwei Tage die Woche Homeoffice, Gleitzeit - gerade genießt sie das, was in der Pflege nicht möglich war, offensichtlich sehr. Und dennoch war da ja mal was, das sie in den Pflegeberuf trieb. Vermisst sie das gar nicht? Gibt es einen Weg zurück?

"Nein und nein", antwortet Sarah Küttner bestimmt. Diejenige, die früher stets eine starke Meinung zur Pflege, ihren Problemen und möglichen Lösungen hatte, sieht gerade keine Lösung mehr und will sich, wie sie sagt, aktuell auch nicht mehr damit befassen. Aber sie bekomme immer mehr Anfragen über die sozialen Netzwerke von anderen Pflegekräften, die ebenfalls mit den Arbeitsbedingungen hadern. "Ich hoffe für alle, dass es bald eine Besserung gibt."