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Neues Angebot am Dresdner Klinikum: Hier bekommen Kinder schnell psychologische Hilfe

Bisher mussten Kinder und Jugendliche lange auf einen Therapieplatz warten, nun soll die neue Kindertraumaambulanz am Städtischen Klinikum in Dresden schnelle Hilfe ermöglichen. Das Angebot gibt es nur zweimal in Sachsen.

Von Theresa Hellwig
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Psychologin Jadwiga Tost hilft Kindern und Jugendlichen, die traumatische Erlebnisse hatten, diese zu verarbeiten. Oberarzt Andreas Lachnit leitet die neue Kindertraumaambulanz am Städtischen Klinikum in Dresden.
Psychologin Jadwiga Tost hilft Kindern und Jugendlichen, die traumatische Erlebnisse hatten, diese zu verarbeiten. Oberarzt Andreas Lachnit leitet die neue Kindertraumaambulanz am Städtischen Klinikum in Dresden. © René Meinig

Dresden. Nachdem der sechs Jahre alte Mio am Wochenende bei seinem Patenonkel zu Besuch war, bemerkten seine Eltern die Veränderung. Das Kind zog sich immer mehr zurück, er schlief plötzlich schlecht und wurde schnell aggressiv. Im Unterricht wirkte er manchmal wie abwesend. Dann öffnet sich das Kind gegenüber seinen Eltern: Beim Besuch des Patenonkels gab es einen sexuellen Übergriff.

Der Fall ist fiktiv - aber nicht unrealistisch, schildert Jadwiga Tost. Sie ist Psychologin und angehende Kinder- und Jugend-Psychotherapeutin. Und seit Beginn des Monats arbeitet sie in der neuen Kindertraumaambulanz am Städtischen Klinikum Dresden-Neustadt. "Wir hatten schockierende Fälle, wo das Kind jedes Wochenende beim Nachbarn war - und man sich fragt, wieso das niemand hinterfragt hat, warum ein alleinstehender Mann jedes Wochenende das Nachbarkind zu sich holt", sagt die 38-Jährige.

Neu in Dresden: präventive Hilfe für Kinder mit psychischen Problemen

Sexueller Missbrauch, häusliche Gewalt, ein Überfall oder auch Taten wie der Anschlag in Solingen: Viele Erlebnisse können ein Trauma hervorrufen. Arbeiten die Betroffenen die Erlebnisse nicht auf, kann sich daraus eine chronische psychische Erkrankung entwickeln. Sie können eine posttraumatische Belastungsstörungsstörung entwickeln, Depressionen oder eine Angst-, Zwangs- oder Essstörung.

"Unser Ziel ist es, präventiv zu arbeiten", erklärt Andreas Lachnit, Leiter der psychologischen Kindertraumaambulanz. "Uns geht es darum, dass es gar nicht erst zur posttraumatischen Belastungsstörung kommt."

In Dresden gibt es mit der Ambulanz, die am 1. August eröffnet hat, zum ersten Mal ein solches Angebot für Kinder. In ganz Sachsen ist es damit das zweite. Für Erwachsene gibt es Traumaambulanzen bereits seit mehreren Jahren.

Bisher monatelanges Warten auf einen Therapieplatz

"Um Komplikationen wie langfristige Erkrankungen zu vermeiden, ist es wichtig, dass Opfer schnellstmöglich Hilfe bekommen", erklärt Jadwiga Tost. Waren Kinder bisher auf der Suche nach einem Therapieplatz, mussten sie oft monatelang warten, schildern Jadwiga Tost und Andreas Lachnit. "Genau das führt aber zur Chronifizierung", sagt der Oberarzt.

Eine Gesetzesänderung macht das schnelle Hilfsangebot jetzt möglich. So haben Opfer von physischer und auch psychischer Gewalt nun ein Anrecht auf Unterstützung.

Eine Voraussetzung, um über die Ambulanz Hilfe zu bekommen, ist deshalb, dass eine solche Gewalttat in den vergangenen zwölf Monaten stattgefunden hat. Das Erleben einer Naturkatastrophe, beispielsweise, zählt demnach nicht dazu. "Als sexueller Missbrauch zählt nicht nur Geschlechtsverkehr", ordnet Jadwiga Tost ein. "Auch das gemeinsame Baden oder Waschen gegen den Willen des Kindes genügt." Auch psychische Gewalt oder körperliche Strafen in der Erziehung rechtfertigen den Zugang zu dem Hilfsangebot. Die Betroffenen müssen deutsche Staatsbürger sein oder aber die Tat muss auf deutschem Boden stattgefunden haben.

Bis zu 18 Sitzungen sind möglich

Neu an dem Angebot ist zudem der präventive Ansatz. Denn bisher mussten Therapeuten zunächst eine Diagnose erstellen; das Leiden der Kinder oder Jugendlichen musste also quasi bereits chronisch sein. "Jetzt können wir direkt nach dem Erlebnis reagieren", sagt Andreas Lachnit.

Das ist nicht nur wichtig, um dem Kind schneller und besser helfen zu können, sondern bedeutet auch, dass die Betroffenen im Zweifel ohne Diagnose auf dem Papier aus der Behandlung gehen. Das kann später beispielsweise beim Abschließen einer Berufsunfähigkeitsversicherung eine Rolle spielen.

Bis zu 18 Sitzungen können Betroffene über die Ambulanz nun wahrnehmen. In Gesprächen können die Kinder dann von ihren Erlebnissen und Ängsten erzählen. "Bei der Tat erleben die Kinder oft einen massiven Kontrollverlust. Deshalb ist es wichtig, dass sie im Gespräch selber entscheiden können, was sie erzählen wollen und was nicht", sagt Jadwiga Tost.

Wichtig sei für die Betroffen, zu wissen, dass sie sich der Psychologin anvertrauen können. Denn schaffen es die Kinder, sich ihren Eltern zu öffnen, reagieren diese oft emotional. "Mir dürfen die Kinder von ihrer Not erzählen, ich halte das aus", erklärt die Psychologin.

Und obwohl der Therapieraum noch nicht vollends eingerichtet ist, das Angebot erst ein paar Tage besteht, verzeichnet das Team schon erste Patientinnen und Patienten. Daran, dass das Angebot angenommen werden wird, hat Andreas Lachnit keinen Zweifel. Rund 20.000 Kinder wurden laut dem BKA 2023 Opfer von sexualisierter Gewalt - die Dunkelziffer ist groß. Grob jeder zweite Mensch erlebe im Schnitt einmal im Leben ein traumatisches Ereignis.

"Wir werden mit hoher Wahrscheinlichkeit erleben, dass unsere Kapazitäten nicht ausreichen", sagt er. Von anderen solcher Ambulanzen wisse er von langen Wartelisten. "Es wird eine Herausforderung, den Bedarf abzudecken", sagt er. "Wir brauchen mehr solcher Ambulanzen", sagt er.