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Ein Gruselbuch zur Unzeit

In normalen Zeiten findet Mario Sempf mit seinen düsteren Anekdoten aus der Dresdner Geschichte viele Fans. Nun erschien sein neuster Band fast unbemerkt.

Von Henry Berndt
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Am meisten gruselt sich Autor und Stadtführer Mario Sempf derzeit vor seinen eigenen beruflichen Perspektiven.
Am meisten gruselt sich Autor und Stadtführer Mario Sempf derzeit vor seinen eigenen beruflichen Perspektiven. © Jürgen Lösel

Dresden. Wer sich in diesen Tagen gruseln möchte, der braucht nur in die Nachrichten oder auf die Seite des Robert-Koch-Instituts zu schauen. Schon seit Monaten schreibt das Leben in der Corona-Krise ganz eigene Gruselgeschichten von Krankheit und Tod.

Für Anekdoten über die düstersten Kapitel der Dresdner Stadtgeschichte, über Friedhöfe und Foltermethoden scheint das eine schwierige Zeit zu sein. "Als ich begonnen habe, mich mit diesen Themen zu befassen, habe ich natürlich nicht daran gedacht, dass der Tod vor der Haustür mal so allgegenwärtig sein würde", sagt Mario Sempf, Dresdner Autor und experimenteller Archäologe mit einer besonderen Vorliebe für Schauergeschichten.

Eigentlich sollte der vierte Band seiner Reihe "Dresden zum Gruseln" schon zur Leipziger Buchmesse im vergangenen Frühjahr öffentlichkeitswirksam vorgestellt werden. Nach deren Absage wartete der Verlag noch bis zum Herbst, bis er das Werk mit dem Untertitel "Das Schmatzen der Toten" herausbrachte.

"Das Buch ist dann weitgehend unbemerkt erschienen", sagt Mario Sempf. "Wir konnten ja auch keine richtige Werbung machen." Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Seit November fielen für Mario Sempf alle Veranstaltungen aus. Besserung ist noch nicht in Sicht.
Seit November fielen für Mario Sempf alle Veranstaltungen aus. Besserung ist noch nicht in Sicht. © Jürgen Lösel

In dem Band beschäftigt sich Sempf mit den weniger glänzenden Seiten des Barocks. "Der Tod hatte viele Gesichter: Er stank bestialisch, hatte nichts Elegantes, war schnörkellos und brutal. Er packte sprichwörtlich jeden, frisch aus der Wiege oder direkt vom Marktplatz weg. Er war erbarmungslos und ungerecht und hinterließ Tränen und Geschrei und unheimlich viel Aberglauben."

Sempf berichtet über verbotene anatomische Friedhöfe, heimlich verscharrte Leichen, die von Tieren gefressen wurden, den Dresdner Totentanz, aber auch über Ratten, Leichenwärter, verseuchtes Grundwasser und die Stadtreinigung, die mit der von heute kaum vergleichbar ist.

"Klar kann ich mir vorstellen, dass die Leute momentan kaum noch mehr vom Thema Tod hören wollen, aber genau genommen geht es bei mir gar nicht so sehr um den Tod, sondern mehr um Vergänglichkeit." Er wolle skurrile Geschichte erzählen, die noch nicht erzählt worden sind.

"Dieser Zustand ist wirklich nicht auszuhalten"

Vergänglich sind derweil auch seine Rücklagen als freischaffender Künstler. Seine Standbeine als Stadtführer und Organisator für Schulprojekte sind spätestens im November komplett weggebrochen. "Seitdem habe ich keinen Euro mehr verdient. Dabei hatte ich über den Jahreswechsel viele Termine in Bibliotheken und Schulen. Das kommt alles nicht wieder. Das ist alles futsch."

Vor allem ärgere ihn, dass ihn von den versprochenen November- und Dezemberhilfen noch kein Euro erreicht habe. Um seine Familie mit zwei Kindern zu ernähren, sei er inzwischen tief im Dispo gelandet.

"Dieser Zustand ist wirklich nicht auszuhalten momentan", und damit spreche er für unzählige Kollegen, die in einer ähnliche Lage seien.

Wie es weitergehen soll? Mario Sempf will sich und seinen Themen treu bleiben und hofft darauf, dass seine Fans schon bald wieder Gefallen an seinen gruseligen Berichten finden werden. "Vor allem wünsche ich mir eine Perspektive. Das wäre schon viel wert."

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