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Kinderärztin aus Dresden in Sierra Leone: "Jeder Tag war eine Improvisation"

Sierra Leone gehört zu den Ländern mit der höchsten Kindersterblichkeit der Welt. Eine Kinderärztin aus Dresden war für sechs Wochen dort, um zu helfen - und wurde zuvor auch auf Entführungen vorbereitet.

Von Fionn Klose
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Kinderärztin Angelina Beer war vom 18. März bis 23. April in Sierra Leone. Dort arbeitete sie ehrenamtlich in einer Klinik.
Kinderärztin Angelina Beer war vom 18. März bis 23. April in Sierra Leone. Dort arbeitete sie ehrenamtlich in einer Klinik. © Sven Ellger

Dresden. Die größte Herausforderung ist die Hitze. Zur Trockenzeit in Sierra Leone ist jeder Tag extrem warm. Es regnet fast nie, selbst der Schatten spendet keine Abkühlung. "Man kann sich an die Hitze schon ein Stück weit gewöhnen", sagt Angelina Beer trotzdem.

Eigentlich ist die 32-jährige Kinderärztin an der Uniklinik in Dresden, arbeitet da auf der Kinderintensivstation. Warum sie Medizinerin werden wollte? "Das hat mich fasziniert, ich glaube, ich habe auch ein bisschen ein Helfersyndrom." Ihre eigene Kinderärztin, damals in Chemnitz, beeindruckte und inspirierte sie. Vielleicht auch deshalb die Entscheidung, später in Berlin Humanmedizin zu studieren.

Ärztin aus Dresden wollte auch im Ausland Kindern helfen

Ihre Leidenschaft, Kindern zu helfen gesund zu werden, weckte in ihr das Interesse, ins Ausland zu gehen. Sie stieß auf die Organisation "German Doctors", die überall auf der Welt aktiv ist. Die dort ehrenamtlich arbeitenden Ärzte helfen in Entwicklungsländern. Sie kommen nach Sierra Leone, Kenia, Bangladesch oder die Philippinen. In den Slums von Millionenstädten oder Armutsregionen versorgen sie die Menschen mit dem Nötigsten. Und: Sie bilden lokale Gesundheitskräfte aus, um die medizinische Versorgung nachhaltig zu entwickeln.

Das war auch die Aufgabe von Angelina Beer in Sierra Leone. Sie nahm Sonderurlaub in Dresden, nahm am Wochenende an Vorbereitungskursen teil. Sie lernte, wie sie sich bei Naturkatastrophen oder Überschwemmungen verhält. Oder bei Entführungen. "Das ist bei den German Doctors noch nie vorgekommen, man wird aber trotzdem darauf vorbereitet."

Angelina Beer besorgte sich Flugtickets für 900 Euro. Dann ging es los. Fast 24 Stunden reiste sie über Berlin und Brüssel nach Freetown, der Hauptstadt des westafrikanischen Landes. Von dort aus noch vier Stunden Autofahrt in den Ort Yele.

Kinder sterben an Malaria oder Mangelernährung

Beer arbeitet dort für sechs Wochen in der Klinik, die von einer niederländischen Organisation gegründet wurde. An ihrem ersten Tag lernt sie ihre beiden Studenten Ibrahim und Peter kennen. Die beiden sind im vierten Ausbildungsjahr. Sie wollen einmal selbst als Ärzte arbeiten, übernehmen in der Klinik die Grundversorgung. Beer ist Ansprechpartnerin, unterstützt sie mit ihrem Wissen, beantwortet Fragen. "Ich hab auch kleine Fortbildungen für das gesamte Team vor Ort gemacht", sagt Beer.

Sie selbst lernt auf ihrer Reise aber auch viel. Denn sie muss mit Situationen umgehen, die sie so aus der Uniklinik nicht kennt. Zum Beispiel die hohe Kindersterblichkeit. "Ich habe in den ersten vier Wochen mehr Kinder sterben sehen, als in einem Jahr auf der Kinderintensivstation hier in Deutschland."

Das Pädiatrieteam in Sierra Leone (v. l.):  Peter, Angelina Beer und Ibrahim.
Das Pädiatrieteam in Sierra Leone (v. l.): Peter, Angelina Beer und Ibrahim. © privat
Betten auf der Kinderstation in Sierra Leone.
Betten auf der Kinderstation in Sierra Leone. © privat
Ein sogenanntes "Morning Teaching" zu typischen Atemgeräuschen bei Kindern.
Ein sogenanntes "Morning Teaching" zu typischen Atemgeräuschen bei Kindern. © privat
Ein Aufklärungsposter, das Aberglauben zu diversen Krankheiten reduzieren soll. Traditionelle Heiler, Kräutermedizin und der Glaube an Schwarze Magie tragen zu fehlender oder falscher Behandlung bei.
Ein Aufklärungsposter, das Aberglauben zu diversen Krankheiten reduzieren soll. Traditionelle Heiler, Kräutermedizin und der Glaube an Schwarze Magie tragen zu fehlender oder falscher Behandlung bei. © privat

Laut Unicef gehört Sierra Leona zu den Ländern mit der höchsten Kindersterblichkeit der Welt. Die häufigsten Gründe sind unter anderem Malaria und Mangelernährung. "Man hat sehr schnell gemerkt, dass über 90 Prozent der Fälle Malaria sind", sagt Angelina Beer. In Deutschland hat sie nie mit der Krankheit zu tun. "Es ist wirklich was anderes, wenn man dann seine erste Malaria vor sich hat." Gerade Kinder unter fünf Jahren könne es schwer treffen. Und das auf unterschiedliche Arten. "Es kann von Magen-Darm-Infekten bis zu schweren Hirnhautentzündungen, Krampfanfällen und Unterzuckerung führen", sagt Beer.

"Das bleibt in Erinnerung, keine Frage"

Ein weiterer Grund für die hohe Kindersterblichkeit ist, dass es auch an Medikamenten und Untersuchungsgeräten fehlt. "Malaria kann auch zu schwerer Blutarmut führen", sagt Beer. Doch Blutkonserven sind Mangelware, es gibt kein Blutdepot. Auch Unterzuckerung durch Mangelernährung sei bei Kindern ein extremes Problem. "Es gab ein Blutzuckermessgerät, aber zwischendurch waren die Teststreifen alle." Die habe es nur gegeben, wenn jemand aus den Niederlanden welche im Gepäck dabei hatte. "Zum Schluss haben wir allen eine Zuckerlösung gegeben, manchmal auch auf gut Glück", sagt sie. "Es war eigentlich jeder Tag eine Improvisation."

Angelina Beer bekommt das Ausmaß der hohen Kindersterblichkeit direkt zu spüren. Schon an ihrem zweiten Tag muss ein Kind mit schwerer Malaria und zusätzlichem Atemwegsinfekt reanimiert werden. "Das bringt in der Regel aber nichts", sagt Beer. "Die Möglichkeiten, die man bräuchte, um das Kind wirklich zu retten, hat man nicht." Fast keine Reanimation dort sei erfolgreich. Man reanimiere nur noch, um den Angehörigen zu zeigen, dass man alles tue, was man kann.

Oftmals muss der Tod des Kindes nicht mehr kommuniziert werden. "Das Krasse ist wirklich, dass das Kind unter den dort typischen Klagelauten in ein buntes Tuch gewickelt, in die Arme genommen und rausgetragen wurde", sagt Beer. "Und dann war die Familie weg und das Bett leer. Das bleibt in Erinnerung, keine Frage."