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Ein „Schlechtes Vorbild“ für 5.000 Leute: So war das Sido-Konzert in Dresden

Der Berliner Gangster-Rapper Sido lässt es in Dresden gut gelaunt und relativ brav krachen. Auch Dank eines Joints aus dem Publikum.

Von Tom Vörös
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Der Rapper Sido hat in der Jungen Garde in Dresden ein Konzert vor rund 5.000 Zuschauern gegeben.
Der Rapper Sido hat in der Jungen Garde in Dresden ein Konzert vor rund 5.000 Zuschauern gegeben. © SZ/Veit Hengst

Ich wurde bei dem Song „Ficken“ gezeugt – ein Pappschild spiegelt das zwanglose, oft unüberlegte Leben, das Rapper Sido so gerne verkörpert. Dazwischen sieht man weite Hosen, Goldketten und gepflegte Rauschebärte.

Ein Mann sieht am Donnerstagabend in der Jungen Garde Dresden sogar wirklich so aus wie der Berliner Wortakrobat, nur in jünger. Denn Sidos Bart ist noch länger und angegraut.

Und man fragt sich vor dem ersten Ton: Wie wird der 43-Jährige diesmal drauf sein – nach seiner Scheidung, nach seiner Therapie und dem daraus entstandenen Album „Paul“?

Verhandlungssache zwischen Sido und Paul

Helle Kleidung, Sonnenbrille und eine ansteckend gute Laune – Sido gibt kurz nach 20 Uhr prompt die Antwort. Bei „Bilder im Kopf“ und „Löwenzahn“ singt und schwingt die ausverkaufte Freilichtbühne lässig mit. Zur Belohnung regnet es eine Ladung gezinkter Geldscheine auf die wogende 5.000-Seelengemeinde.

Klar wird aber auch: Sido ist kein übertrieben aggressiver Bösewicht in Golferkleidung, sondern wirkt in Dresden beinahe mit sich im Reinen. Der Drogen-Entzug und die Therapie scheinen Wunder gewirkt zu haben. Später singt er: „Die Suiten und die Miezen und die Liebe macht mich gar nicht mal so glücklich wie du glaubst.“ Und auch bei Liedern wie „Herz“ und „Mein Testament“ blitzt ein warmherzig-ehrlicher Typ Gangster auf.

Sido auf der Freilichtbühne "Junge Garde" im Großen Garten in Dresden.
Sido auf der Freilichtbühne "Junge Garde" im Großen Garten in Dresden. © SZ/Veit Hengst

Unterstützt wird der sich gerne in Rauschschwaden hüllende Mann an der Bühnenkante vom mitsingenden DJ Desue, zuweilen auch von zwei Vokalisten im Hintergrund. Zuweilen ertappt man sich als musikalischer Fremdkörper dabei, in der zwielichtig abfeiernden Meute mitzuwippen und zu staunen – über die punktgenaue Wortgewalt, die so gar nicht gefährlich wirkt. Eher bringt man fast Verständnis dafür auf, dass sich hier ein offenbar geprügeltes Wesen freisingt und -rappt.

Selbsttherapie ist das Wort, dass Sido gerne ausspricht, wenn es um sein Schaffen geht. Auf seinem aktuellen Nummer-Eins-Album „Paul“ handelt der Künstler Sido mit seinem bürgerlichen Ego einen Deal aus. Kein Einzelfall, denn viele Künstler bekommen irgendwann Probleme mit ihrer selbst erschaffenen Künstlerfigur, die irgendwann zu viel Raum einnimmt.

Erst ein Joint, dann Intimitäten

Aber auch seine Süchte versucht dieser Sido-Paul verbal in den Griff zu bekommen. „Das bringt mich um“, rappt er im Lied „Medizin“. Und weiter: „Ich hab' so vieles schon probiert / Übertrieben konsumiert / Ich hab' das niemals kontrolliert / Nur die Gefühle konserviert“. Beim Techno-lastigen Lied verschwindet der Mann im Nebel, die Menge tanzt in der dunkel funkelnden Freiluft-Disko. Und gemeinsam wird man danach zum offenbar allseits bekannten „Pyrotechnik-Chor“, nur ohne Pyrotechnik.

Irgendwann kommt Sido zum Kern seiner erfolgreichen Rampenlicht-Existenz. „Ich bin kein Gangster, kein Killer, ich bin kein Dieb. Ich bin nur ein Junge von der Straße“. Der Mann spielt die durchaus glaubwürdige Opferrolle mit Bravour. „Manchmal gehen die Pferde mit mir durch bis nach Japan“, sagt er und man kann das tatsächlich nachvollziehen, wenn man Sidos Körpersprache liest.

Seine Fans feiern Sido beim Konzert in Dresden.
Seine Fans feiern Sido beim Konzert in Dresden. © Foto: SZ/Veit Hengst

Mit „Mein Block“ und später „Schlechtes Vorbild“ wird dann noch ausgiebig gefeiert und womöglich die Text-Schablone an das eigene Leben angelegt. Bei ersterem Alt-Hit wird Sido noch zum gefeierten Hotelanlagen-Animateur und spielt das Publikum gegeneinander aus. Auch neue Lieder wie „Mit Dir“ leiden bereits unter Textfestigkeit im Publikum, während auf der Bühne unendliche Hochhaus-Fassaden mögliche Lebenserfahrungen spiegeln.

Sido ist jetzt voll in Fahrt, will zu seinem Publikum, klatscht mit einigen ab, wird aber von der Sicherheit lieber wieder auf die Bühne gezogen. Seine Feierlaune lässt er sich nicht nehmen. „Ich habe gehofft, dass mir hier einer einen Joint gibt“, sagt er. „Aber ihr lasst mich richtig hängen, Dresden.“ Dann kommt sie aber doch noch, die Live-Cannabis-Lieferung, ein Ordner reicht den Joint hilfsbereit zu Sido durch.

Nach dem dann merklich schwebenden Song „Wie ein Astronaut“ prangt ein Peace-Friedenszeichen im Hintergrund. Alles scheint gesagt. Doch Sido wäre kein imaginärer Goldketten-Händler, würde er nicht im Finale erneut zum Lieblings-Lebensstil der Rapper-Gilde animieren.

Mit „Carmen“ fährt das Publikum über sommerliche-sonnige Palmenstraßen. Und am Ende kommt er, der unvermeidliche „Arschficksong“, ja, so heißt er. „Es fing an mit 13 …“, fängt Sido an zu rappen. Dann gehen die Lichter aus und man ist spätestens hier ganz froh, nicht jedes einzelne Wort verstanden zu haben.