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Im Pillnitzer Schloss: Kunstwerke zum Küssen

Mit einer konzentrierten Rauminstallation im Gelben Teezimmer des Wasserpalais stellt das Kunstgewerbemuseum in Pillnitz erstmals das Werk der Keramikerin Barbara Kahlen vor.

Von Birgit Grimm
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Hier rückt der Direktor noch selbst: Die Installation „108 Teeschalen“ im Gelben Teezimmer wird von Thomas A. Geisler jeden Tag verändert.
Hier rückt der Direktor noch selbst: Die Installation „108 Teeschalen“ im Gelben Teezimmer wird von Thomas A. Geisler jeden Tag verändert. © kairospress

Auf so eine Idee kann nur ein Konzeptkünstler kommen: Wolf Kahlen hat im Gelben Teezimmer von Schloss Pillnitz die Rauminstallation „108 Teeschalen“ eingerichtet. Zu sehen sind aber nur drei Gefäße auf unterschiedlich hohen Podesten. Dazu kostbar wirkende, gepolsterte Schachteln, aus denen an jedem der 108 Tage, die die Ausstellung dauert, eine Teeschale aufs Podest geholt wird: Zwei rücken weiter, und eine wird wieder eingepackt. Sodass, wer täglich ins Wasserpalais käme, am letzten Tag der Schau alle 108 Teeschalen bestaunt haben könnte und dabei jeden Tag eine andere Ansicht geboten bekommen hätte. Was natürlich auch der eifrigsten Museumsbesucherin und dem größten Fan von japanischen Teeschalen nicht gelingen wird, denn das Kunstgewerbemuseum hat montags geschlossen.

Blick in die Schau.
Blick in die Schau. © kairospress

Sei’s drum. Mit der Radikalität dieser Präsentation und der Zahl 108 hat es natürlich eine Bewandtnis, sonst wäre es ja keine Konzeptkunst. Die Zahl 108 steht im buddhistischen Kulturkreis für Vollendung: Die Eins ist das Zeichen dafür, dass alles eins ist. Die Null bedeutet, dass alles Sein formlos ist, und die Acht Unendlichkeit. Teeschalen haben in der japanischen Keramikkultur einen hohen Stellenwert, und so werden sie im Alltag auch behandelt. Man stellt sie nicht einfach auf den Tisch, sondern platziert sie auf einem kleinen Tuch, das man vorher ausbreitet.

„Gemachte“ und „gewordene“ Teeschalen

Die in Pillnitz gezeigten Teeschalen hat die Keramikerin Barbara Kahlen geformt und glasiert. Die Künstlerin, die 1942 in Zwickau geboren wurde, ist schwer erkrankt und kann ihr Bett in einem Berliner Pflegeheim nicht mehr verlassen. Nun hat ihr Ehemann Wolf diese Ausstellung eingerichtet, von der man hoffen darf, dass Barbara Kahlen das wirklich so will. Es ist die erste Retrospektive in ihrem über 60-jährigen Schaffen. Wolf Kahlen sagt: „Barbara war nicht daran interessiert, für jemanden zu arbeiten oder Dinge herzustellen für die Repräsentation. Angeberei ist ihr fremd.“ Sie unterscheidet zwischen „gemachten“ und „gewordenen“ Teeschalen. An für den Egotrip eines Künstlers oder einer Sammlerin gemachten Schalen hatte sie kein Interesse. „Mein Ego hängt wie ein Mantel im Vorraum meiner Werkstatt“, habe sie gesagt, erzählt ihr Mann.

Konzeptkünstler Wolf Kahlen mit einer Teeschale seiner Frau, der Keramikerin Barbara Kahlen.
Konzeptkünstler Wolf Kahlen mit einer Teeschale seiner Frau, der Keramikerin Barbara Kahlen. © kairospress

Barbara Kahlen hat in New York bei der Dornburger Bauhausschülerin Rose Krebs studiert und auf Reisen durch Südamerika und Ostasien Eindrücke und Erfahrungen gesammelt. Besonders hat sie sich für ostasiatische Keramik interessiert: „Diese Freude am Material, am Nichtvollendeten, Nichtpräzisen, Grundsätzlichen und Zeitlosen, das nicht ins Aktuelle oder Individuelle ausweicht.“ Für Barbara Kahlen sind Teeschalen anspruchsvolle Kunstwerke und der Höhepunkt der Töpferkunst. Jahrelang hat sie mit den Glasuren experimentiert, und das Ergebnis soll selbst japanische Meister beeindrucken. Ihre Experimente dokumentierte sie als Brandprotokolle in kleinen Notizbüchern.

Das Wandern der Teeschalen im Gelben Teezimmer

Die Ausstellung bietet im Raum neben dem Teezimmer die 15 vom Kunstgewerbemuseum angekauften Schalen und einen kleinen Einblick in die Notizen der großen Keramikerin, die in einem Video über ihre Arbeit spricht. Kenner bescheinigen ihr ein tiefes Verständnis von Glasur, Form, Lippe und Fuß der Gefäße. „Eine Teeschale ist das einzige Kunstwerk, das du küsst, wenn du deine Lippen an ihre legst“, hat sie gesagt. Und wenn ein Gast in ihrem Haus die Ringe ablegte, bevor er eine Teeschale in die Hand nahm, dann soll sie anerkennend gemeint haben: „Sieh mal an, ein richtiger Mensch!“

Ihre Teeschalen stehen im Haus der Familie in Berlin-Dahlem, nur einige wenige Sammler besitzen ausgewählte Stücke, erzählt Thomas A. Geisler am Rande der Vernissage am Freitagabend. Der Direktor des Kunstgewerbemuseums der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden übernimmt auch persönlich das Wandern der Teeschalen von Podest zu Podest und beschreibt die Installation im Gelben Teezimmer als „eine Befreiung“ desselben.

  • Die Ausstellung im Wasserpalais von Schloss Pillnitz ist täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr geöffnet.
  • In der Edition Ruine der Künste Berlin ist das Buch „108 Teeschalen“ von Wolf Kahlen erschienen (80 Euro).