Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
Feuilleton

Familientreffen mit leichtem Sauf- und Raufpotenzial: So war das erste Böhse-Onkelz-Konzert in Dresden

Beim ersten von zwei Dresden-Konzerten der Band Böhse Onkelz wird klar: Die Band und ihre Fans sind zahmer geworden.

Von Tom Vörös
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Am Wochenende spielt die Band Böhse Onkelz zwei Konzerte in Dresden.
Am Wochenende spielt die Band Böhse Onkelz zwei Konzerte in Dresden. © kairospress

Großes Gewaltpotenzial? Von wegen. Zwar steht man inmitten älterer weißer Männer in schwarzen T-Shirts und Aufschriften wie „Gehasst, Verdammt, Vergöttert“. Doch vor der Bühne der Böhsen Onkelz finden sich am Freitagabend auch Opas, Tanten, Enkel und Nichten ein.

Hinzu kommt ein im Vergleich zum AC/DC-Konzert flüsterleiser Bühnensound. Und wenn man so über das Familienfest-Gelände schlendert, kann man fast nicht glauben, dass hier eine Band spielt, die mal mit lauthalsigen und längst abgeschafften Liedern wie „Türken raus“ und „Deutschland den Deutschen“ ein rechtsextremes Image pflegte – aber eigentlich unpolitische Punks sein wollten. Jetzt stehen Kinder mit Kopfhörern in der ersten Reihe und formen die Ohrwurm-Refrains genauer als ihre Eltern, die hier mit rund 70.000 anderen Fans ihre Jugend nachfeiern.

„Hier sind drei Generationen vereint“

Mit „Kuchen und Bier“ und anderen Ohrwürmern feiern die „Onkelz“ ihr 44-jähriges Jubiläum. Die Lieder sind einfach gestrickt, so dass selbst Artfremde schnell zum textfesten Patenonkel werden, mitsingen, sogar mitgrölen und immer noch staunen über die Kinder in der ersten Reihe. „Hier sind drei Generationen vereint“, wird der singende Bassist Stephan Weidner später sagen. Die Freude darüber ist groß.

Und die Dauerwut ist vor allem bei Sänger Kevin Russell zum Dauerröcheln geworden. Anfangs wirkt er wie der nette Onkel im Ohrensessel, später wird die Stimme stärker. Dazu kommt Gitarrist Matthias „Gonzo“ Röhr, der mit Schlapphut daherkommt, so als wäre er gerade aus seinem Landhaus in der Toskana auf die Bühne spaziert. Nicht so Schlagzeuger Peter Schorowsky. Der wirkt mit seinem Basecap und seiner Schlagwucht wie einem schäbigen Punk-Schuppen der 1980er entsprungen.

Musikalisch werden die Onkelz vor allem von Gitarrist „Gonzo“ und seinen unzähligen, teils virtuosen Soli zusammengehalten. Und von eindeutig entwendeten Klangzitaten aus der Musikgeschichte. Da fühlt man sich zuweilen klar an die Rockband Motörhead erinnert, nur mit deutschen Texten. Andere Lieder erinnern stellenweise an Musikgrößen wie Iron Maiden oder Van Halen. Aber was soll’s – im Onkelz-Universum wirkt das alles schlüssig und flüssig. Gonzos Sohn, Vincent Röhr, sorgt punktuell für Onkelz-untypische, aber bereichernde Keyboardklänge.

Wertvolle Tipps vom „Drogen-Onkel“

Klar, es gab es mal eine Zeit, in der die Band sich klar ins rechte Milieu spielte. Doch ähnlich wie bei den Südtiroler Bandkollegen von Frei.Wild lag das auch am gewaltverheißenden Umfeld und den Zusammenstößen zwischen den Jugendkulturen in den Frankfurter Vororten. Auch klar, die Onkelz wollten provozieren, polarisieren und auch mal jemandem die „Fresse polieren." Von all dem sind heute nur noch Stephan Weidners vor Pathos triefenden Ansagen übrig.

Zelebriert werden nicht politische Aussagen, sondern universelle Wahrheiten. Ein plakatives Beispiel: Man sollte sich keine Feindbilder schaffen und den Fehler lieber mal bei sich selbst suchen. Ja, in die Welt der Böhsen Onkelz ist durchaus überschaubar. Aber ebendiese mentale „Hochsicherheitszone“ wird offenbar hoch geschätzt. Und so fühlt man sich auch als Beobachter als Teil einer großen, bierlaunigen Gemeinschaft, die einen zwar nicht auffängt, aber doch auf geordneten Party-Bahnen hält. „Uns gibt es jetzt schon so lange, aber wir wollen immer noch die Welt verändern.“ Oder kürzer: „Wir schreiben Geschichte“. Und später entfernt Weidner jedes noch so kleine Klischee-Staubkörnchen: „Merkt ihr auch, dass Rechts und Links versuchen uns auseinander zu dividieren? Dass wir alle Menschen sind und zusammengehören?“

Eine Band, die viele Tickets verkaufen möchte, tut gut daran, sich nicht klar zu positionieren. Aber vielleicht möchte sie es wirklich nicht. Aus dem Publikum tönt es etwas klarer: „Ost-Ost-Ostdeutschland!“ Man kann sich in Wahlkampfzeiten vage vorstellen, wer was damit meint. Derweil verbleibt die Gesamtstimmung aber weiter so verhalten wie der der Lautstärkepegel. Viele singen euphorisch mit, die großen Chöre fehlen aber. Stattdessen scherzt man locker am Knobibrot-Stand.

Die Böhsen Onkelz spielten am Freitag ihr erstes von zwei Konzerten in der Dresdner Flutrinne.
Die Böhsen Onkelz spielten am Freitag ihr erstes von zwei Konzerten in der Dresdner Flutrinne. © kairospress

Lieder wie „Auf gute Freunde“ sind so treffsicher, dass man glaubt, in einer alternativen Chart-Sommershow zu verweilen. Wäre da nicht die Rabauken-Optik, die mit steigendem Alkoholpegel und untergehender Sonne auch körperlich zu Tage tritt. So mancher torkelt in die Abenddämmerung, wird aber von Hobby-Onkelz-Ordnern freundlich in die richtige Richtung geschubst. Die Böhsen Onkelz sind dann eben doch nicht für alle und jeden gemacht.

Fan starb beim Konzert in Berlin

Eine junge, sichtlich benommene Dame muss irgendwann aus der Menge eskortiert werden. Da ploppt die Schlagzeile innerlich auf: „Am Mittwochabend ist eine 41-jährige Frau bei einem Konzert der Band in Berlin gestorben“. Thematisiert wird das am Freitagabend nicht.

Eher wird die eigene Vergangenheit musikalisch beerdigt: „Seit dem 1. August bin ich 13 Jahre clean“, sagt Sänger Kevin Russell. „Lasst die Finger von Drogen. Ich bin der beste Beweis dafür.“ Mit Liedern wie „Nichts ist für die Ewigkeit“ gibt er noch einmal alles. Und der Sombrero-Hit „Mexico“ macht bierglasklar: Auch Böhse Onkelz wollen vor allem eines: Feiern, feiern, feiern. Ausnahmsweise gut, dass an dieser Stelle 22 Uhr Schluss sein muss.