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Feuilleton

Dresden im Kino: Die Dirigentin und die Macht

Der mithilfe der Dresdner Philharmonie und teils im Kulturpalast gedrehte Film „Tár“ ist ein fulminantes Werk, das zum wiederholten Ansehen verführt.

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Hollywood im Dresdner Kulturpalast Cate Blanchett als Lydia Tár im Kinofilm „Tár“.
Hollywood im Dresdner Kulturpalast Cate Blanchett als Lydia Tár im Kinofilm „Tár“. © Focus Features

Von Andreas Körner

Die gefühlte Zimmertemperatur sinkt, wenn Lydia Tár den Raum betritt. Wenn ihr Blick frostig, die Gesten unnahbar und ihr Ton ein besonders beißender sind. In anderen Momenten aber wird es höllisch heiß mit Lydia Tár. Dann zückt sie das unsichtbare Florett und schwingt die Waffe viel heftiger noch, als ihr Taktstock es je über sich ergehen lassen musste. Die Dirigentin liebt absolute Kontrolle in allen Lebenslagen. Heikel wird es erst, als sie ihr entgleitet.

Die Abläufe sind ritualisiert, bevor Lydia Tár (Cate Blanchett) aufs Podium geht. Es ist dabei egal, ob sie sich vor dem Orchester positioniert, als Professorin mit so wissbegierigen wie zart aufmüpfigen Schülern agiert oder schlicht in einem Gespräch mit Publikum sitzt. Hände, Arme, ihr Gesicht wirken wie unter Strom gesetzt. Höchste Konzentration und Disziplin gehören zum Alltag der Spätvierzigerin, Selbstbeherrschung rangiert sehr weit vorn. All das, was man gemeinhin mit einer künstlerischen Karriere, soll sie in exponiertem Maße erfolgreich sein, verbindet. Lydia Tár hat von allem ein wenig mehr, spätestens seit jenem Zeitpunkt, da sie zur Chefdirigentin in Berlin berufen wurde. Keine Frau vor ihr war je in einer solchen Führungsposition und es hat etwas mit ihr gemacht. Macht es immer noch.

Cate Blanchett vor einigen Tagen bei der Berlinale.
Cate Blanchett vor einigen Tagen bei der Berlinale. © www.snapshot-photography.de

Herausfordernd geschickt führt US-Regisseur Todd Field seine Protagonistin in diesen Film, den sie zweieinhalb Stunden lang beherrschen wird. Schier nicht enden wollend, benennt Adam Gopnik (als er selbst), die Edelfeder des Magazins The New Yorker, Lydia Társ Bildungs- und Karrierestationen sowie ihre Preise, bevor er sie befragt und sie sich als hochgradig eloquentes, ironisches und souveränes Gegenüber entpuppt. Auch mit Mäzen und Förderer Eliot Kaplan (Mark Strong) rückt sie keinen Zentimeter Lücke freiwillig heraus. Vor einem verbalen Übergriff auf die Mitschülerin ihrer kleinen Adoptivtochter Petra (Mila Bogojevic) scheut sie sich später ebenso wenig wie vor dem straffen Umgang mit Assistentin Francesca Lentini (Noémi Merlant). Die Macht, sie ist mit Lydia Tár.

Es darf verwundern, dass ihre Ehe mit Sharon (Nina Hoss), Geigerin und Konzertmeisterin im Orchester, keineswegs nur behauptete Augenhöhe zulässt. Im heimischen Berliner Sichtbeton einer opulenten Wohnung gibt es allerdings erste Anzeichen einer tiefer liegenden Verstörung: Lydia Tár, die alle Nuancen für die Ohren so sehr braucht, leidet an Geräuschempfindlichkeit. Hier ist es ein nächtliches Metronom, dort ein Klingklang von nebenan, eines Tages im Park sind es Schreie beim Joggen. Doch, ist das alles echt?

Stärken in Andeutungen, im Irritierenden

Todd Field gelingt 16 Jahre nach „Little Children“ ein fulminant komplexes, feinsinniges und -gliedriges, an Fragen, Metaphern und Interpretationsebenen reiches fiktionales und trotzdem in Milieu und Zeitgeist präzises Drama. Kein Kunst- und Künstlerfilm, obwohl er vom Kunstbetrieb erzählt, von Partituren, Proben, Besetzungen und der Chemie eines Klangkörpers, von Gustav Mahlers 5. Sinfonie, die es zu stemmen gilt, den langen Schatten großer Namen.

Kein Beziehungsfilm, obwohl er auf ein Paar in Kleinfamilie und frühere, heutige und kommende Konstellationen unter Menschen schaut. „Tár“ zeigt grandiose Stärken in Andeutungen, im Irritierenden, dann, wenn Figuren entweder überhaupt nicht zu sehen sind oder aus der Handlung fallen, weil Linien sich erst kreuzen, dann verblassen, schließlich verschwinden.

Und, auch das ist ein Kraftpol von „Tár“, er wird eben nicht zu einer Art gegenläufigem „#MeToo“-Werk, obwohl er viele sicher jonglierte und jedem Angriff standhaltende Aspekte in sich trägt. Ja, der Maestro ist hier eine Frau, die voller Kalkül einen Apparat für Abhängigkeiten und Spielchen missbraucht, die im Ungezeigten zu einem tragischen Einschnitt und im Gezeigten zur für Lydia Tár und das Kinopublikum inspirierenden Begegnung mit der jungen Cellistin Olga und deren Darstellerin Sophie Kauer führen.

Das und vieles mehr macht „Tár“ zum herausragenden Ereignis, das zügig zum Wiederholungsbesuch lädt. Um genauer hinzusehen, wie Cate Blanchett ihren akribisch präparierten Charakter packt und bis ins winzigste Detail ausformt. Wie ihr die exklusiven Kostüme von Bina Daigeler dabei helfen. Wie sich der Dresdner Kulturpalast als einer der Drehorte sowie die Dresdner Philharmonie mit Cellistin Dorothea Plans Casal und Klarinettist Fabian Dirr in Sprechrollen wirklich präsentieren. Und letztlich, wie sehr die deutsche Version gegenüber der original-untertitelten verlieren kann, weil Sprache und deren Facetten hier von essenzieller Bedeutung sind. Über die Oscars und wie viele es nach sechs Nominierungen geworden sind, reden wir dann, wenn es so weit ist.

Der Film läuft in Dresden im Programmkino Ost, Rundkino, Thalia (ab 9.3. als untertiteltes Original) und in der Schauburg (am Donnerstag, 18 Uhr, mit Dorothea Plans Casal und Fabian Dirr als Gästen) sowie in Görlitz.