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Weltpremiere: Dresdner Musiker lassen sich von Robotern dirigieren

Vor 25 Jahren fingen die Dresdner Sinfoniker an, verrückte Projekte zu realisieren. Jetzt lassen sie sich von Robotern dirigieren und schließen eine Welttournee mit ihnen nicht aus.

Von Andy Dallmann
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Frank H. P. Fitzek, Sprecher des Exzellenzclusters CeTI der Technischen Universität Dresden (l.), und Markus Rindt, Intendant der Dresdner Sinfoniker, bringen jetzt Robotern bei, ein Orchester zu dirigieren.
Frank H. P. Fitzek, Sprecher des Exzellenzclusters CeTI der Technischen Universität Dresden (l.), und Markus Rindt, Intendant der Dresdner Sinfoniker, bringen jetzt Robotern bei, ein Orchester zu dirigieren. © dpa / Robert Michael

Sie haben auf den Hochhausdächern von Prohlis Alphörner erklingen lassen, live auf Schubkähnen und mit aktiver Hilfe der Dresdner Dampferflotte gespielt, sie haben Rammstein-Songs in klassische Musik übersetzt und den Maya-Codex mit einem Kontinente verbindenden Konzert gefeiert. Seit nunmehr 25 Jahren sind die Dresdner Sinfoniker regelmäßig für Überraschungen gut.

Für die beiden anstehenden Jubiläumskonzerte übertreffen sie sich jedoch selbst: Intendant Markus Rindt stellt seinen Musikerinnen und Musikern nicht einfach wie sonst auch einen Dirigenten vor die Nase, er bringt zudem drei Taktstock schwingende Industrieroboter ins Spiel. Quasi drei Arme für ein Hallelujah, also für ein Programm mit dem richtungsweisenden Titel „Robotersinfonie“, das in Teilen kein Mensch dirigieren könnte.

20 Jahre Reifezeit für eine schräge Idee

Doch angesichts der kontroversen Debatten um den KI-Einsatz in der Kunst betont Markus Rindt ausdrücklich: „Es geht uns nicht um KI-Experimente oder gar darum, den Menschen zu ersetzen, sondern darum, dessen Fähigkeiten zu erweitern, Grenzen zu überwinden.“ Ohne menschliche Kreativität wäre nichts von diesem Konzertprogramm möglich. Und Rindt merkt an: „Davon, dass ein Roboter hören und verstehen kann, was die Musiker da machen, sind wir noch Lichtjahre entfernt.“

Für ihn ist dieses futuristisch anmutende Projekt daher eine Art Meilenstein, wie es einst die Einführung der Synthesizer gewesen sei. „Ganz neue Klangfarben, ganz neue Möglichkeiten – mal sehen, was künftig noch alles daraus wird.“

2006 spielten die Pet Shop Boys und die Dresdner Sinfoniker auf der Prager Straße live zum Film "Panzerkreuzer Potemkin".
2006 spielten die Pet Shop Boys und die Dresdner Sinfoniker auf der Prager Straße live zum Film "Panzerkreuzer Potemkin". © SZ

Die Idee, Roboter dirigieren zu lassen, kam Rindt, 1967 in Dresden geboren und an der hiesigen Musikhochschule zum Hornisten ausgebildet, nicht erst jetzt kurz vorm Jubiläum der von ihm mitgegründeten Dresdner Sinfoniker. „Das schwirrt seit 20 Jahren in meinem Kopf rum“, erklärt er. „Der amerikanische Komponist Conlon Nancarrow vwefasste einst hochkomplexe Sachen, die Musiker nur schwer spielen konnten. Das hat ihn so frustriert, dass er ab den späten 40er-Jahren nur noch für Player Piano, also eine Art Automatenklavier komponierte und damit ziemlich bekannt wurde. Und das ist ja auch total schöne Musik.“

Der Schlüsselsatz des Dirigenten

Das Ensemble Modern habe schließlich Stücke von Nancarrow rückorchestriert und gespielt. „Wir wiederum haben diese ,Studies for Player Piano’ 2001 bei den Tagen der zeitgenössischen Musik aufgeführt. Bei der Probe sagte ein Fagottist zu Dirigent Michael Helmrath: ,Ich habe da einen 4/4-Takt, der Klarinettist einen 3/8-Takt. Und Sie dirigieren die ganze Zeit die Klarinette. Nach wem richte ich mich denn?’“ Helmrath hätte geantwortet, dass er nun mal kein Roboter, sondern ein Mensch sei und sich nur auf eine Sache konzentrieren könne. Sein Rat an den Fagottisten: „Da müssen Sie sich halt irgendwie einpassen.“

Für Markus Rindt ein Schlüsselmoment: „Bei mir blieb damals sofort hängen: Wie wäre es denn, wenn man einen Roboterdirigenten hätte, der tatsächlich beiden ihre exakten Einsätze vorgibt? Das wollte ich unbedingt ausprobieren.“

Markus Rindt und Frank Peters (r.) vom Exzellenzclusters CeTI bei der gemeinsamen Arbeit mit dem Dirigierroboter.
Markus Rindt und Frank Peters (r.) vom Exzellenzclusters CeTI bei der gemeinsamen Arbeit mit dem Dirigierroboter. © PR

Nur war das damals technisch überhaupt nicht realisierbar. Doch Rindt blieb dran. 2004 wagte er einen Versuch mit den Chefs der Gläsernern Manufaktur von VW. „Wir waren schon sehr weit, doch die Konzernzentrale in Wolfsburg blies letztlich alles ab.“ Heute wisse er auch, dass mit den damals eingesetzten Industrierobotern seine Vision gar nicht umsetzbar gewesen sei.

Bis 2019 lag das Projekt schließlich auf Eis. Der Zufall und eine Party sorgten dafür, dass alles plötzlich Fahrt aufnahm. Rindt: „Nach einer Preisverleihung im Gewandhaushotel sollten sich Wirtschafts- und Kulturleute mischen. Ich stand also erwartungsfroh an einem Tisch, dann stellte sich der Marketingchef von Infineon dazu. Es folgte ein spannender Austausch und irgendwann kam ich auf das Roboterthema.“ Er erntete nicht wie so oft ein Grinsen, sondern hatte seinen Gesprächspartner sofort am Haken. „Er war von der Idee begeistert und machte mich anschließend mit einigen Leuten bekannt, die aus seiner Sicht helfen könnten.“

Vernetzt mit Wirtschaft und Forschung

Rindt vernetzte sich mit einem Dresdner Start-up-Unternehmen, das sogenannte Wandelbots entwickelt hatte und staunte. „Unglaublich, wozu diese Dinger fähig sind.“ Deren Entwickler sahen ihn jedoch besser bei der Forschung aufgehoben und so landete Rindt bei Frank H. P. Fitzek, Professor für Kommunikationsnetze und Sprecher des Exzellenzclusters CeTI an der TU Dresden, und seinem Team. „Ab diesem Moment wusste ich, dass es wirklich etwas werden könnte“, so Markus Rindt.

Über den Bildschirm läuft die Partitur von Andreas Gundlachs „Semiconductor’s Masterpiece“, während Markus Rindt den Roboter anlernt.
Über den Bildschirm läuft die Partitur von Andreas Gundlachs „Semiconductor’s Masterpiece“, während Markus Rindt den Roboter anlernt. © Andy Dallmann

Doch wie bringt man einem Roboter das Dirigieren bei? Programmieren lässt sich das nicht. Auch die ersten Versuche mit einem Datenhandschuh gingen schief. Rindt: „Das Ergebnis war eher ein sinnloses Rumfuchteln.“ Die rettende Idee: Man betrachte den Roboter als eine Marionette, führe seinen Arm und bringe ihm so die perfekten Bewegungen bei. „Erstaunlicherweise übernimmt die Maschine sogar, was der Mensch an Emotionen hineinlegt.“

Eigens für den Roboter komponiert

Rindt bekam jetzt allerdings einen Zweitjob: Weil er Michael Helmrath, den er für das anstehende Robotersinfonie-Doppelkonzert mit drei Uraufführungen als Hauptdirigenten im Boot hat, nicht zuvor wochenlang zum Trainieren der Roboter einspannen kann, macht er es einfach selbst. Takt für Takt arbeitet er sich seither mit seinen maschinellen Schülern durch die Partitur.

Der Dresdner Komponist Andreas Gundlach lieferte eigens ein für Orchester und drei dirigierende Roboterarme geschriebenes Stück zu. Sein „Semiconductor’s Masterpiece“ lebt davon, dass sich drei Orchestergruppen beim Spielen mal auseinander, mal aufeinander zu bewegen. Markus Rindt: „Das klingt anspruchsvoll, ist es auch, zugleich jedoch klanglich sehr eingängig.“ Wichtig für die Musiker sei: Sie müssen sich zwingen, genau hinzugucken und exakt nach Vorgabe zu spielen. „Die kleinste Ungenauigkeit macht alles kaputt.“

Noch steht er in der Abstellkammer, im Oktober kommt er bei den Konzerten der Dresdner Sinfoniker als Dirigent zum Einsatz: ein Industrieroboter der Firma Neura.
Noch steht er in der Abstellkammer, im Oktober kommt er bei den Konzerten der Dresdner Sinfoniker als Dirigent zum Einsatz: ein Industrieroboter der Firma Neura. © PR

Für die Konzerte der Dresdner Sinfoniker stellt er die Besetzung jedes Mal neu mit freien Musikern aus dem eigenen Personalpool zusammen. Diesmal brauchte er acht Waldhörner, vier Tuben, vier Trompeten sowie vier Schlagzeuger und bekam trotz des sehr anspruchsvollen Vorhabens nicht eine Absage. „Lediglich ein älterer, eigentlich bereits ausgeschiedener Kollege schrieb mir eine fast schon verächtliche Mail. Er hat eben nicht verstanden, worum es geht.“

Rindt hakt das schulterzuckend ab und schwärmt lieber davon, wie die drei Roboterdirigenten durch leuchtende Podeste und verschiedenfarbige Taktstöcke auch optisch wirkungsvoll in Szene gesetzt würden, wie spannend und einzigartig die Musik sei. Das zu 95 Prozent von der Ostdeutschen Sparkassenstiftung finanzierte Projekt wäre allerdings ohne den Einsatz des CeTI-Teams ein Hirngespinst geblieben.

Wiederholung unbedingt erwünscht

Frank Peters, Robotik-Forschungsgruppenleiter, und seine Leute mussten sich erstmals nicht mit Problemen automatisierter Fertigung im Industriekontext, sondern mit Vorgaben durch Töne und Takte beschäftigen. Als sehr hilfreich hätte sich erwiesen, dass er selbst Klavier, einer seiner Mitarbeiter Saxofon spiele. „So wussten wir immerhin grob, worum es geht.“

Peters, ein Spezialist für die Entwicklung von Algorithmen zur Multi-Roboter-Koordination, erklärt: „Durch die Arbeit für die Robotersinfonie wird unsere Technik, unsere eigentliche Forschungsarbeit nicht primär vorangetrieben. Doch es gibt sehr viele nützliche Nebenaspekte.“ Dazu gehöre das Ausloten bislang nicht weiter untersuchter Anwendungen von Industrierobotern, das Testen eher unüblicher Bewegungsabläufe und nicht zuletzt ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit. „Am Ende geht es auch hier um Mensch-Maschine-Interaktion – das ist genau unser Ding.“

Auf die Frage, ob er anfangs Rindt und Co. für verrückt gehalten habe, antwortet Peters mit einem Albert-Einstein-Zitat: „Wenn eine Idee am Anfang nicht absurd klingt, gibt es für sie keine Hoffnung.“ Peters ergänzt: „Diese Freiheit im Kopf muss man sich unbedingt bewahren, wenn man etwas Neues zustande bringen will. Und ganz ehrlich: Ich finde die Robotersinfonie super.“

Peters, der die Robosphere, ein eiförmiges Gebilde, in dem bis zu 18 Roboter unabhängig voneinander in Echtzeit agieren können, entwickelte, hat große Pläne. Noch in diesem Jahr will er aus dem sicheren TU-Hafen auslaufen, zusammen mit zwei Gleichgesinnten als Gründer-Trio sowie mit dem gesamten bisherigen Team aus 14 festangestellten Mitarbeitern eine Start-up-Firma auf den Weg bringen. Für diese ist die Realisierung der Robotersinfonie nicht die schlechteste Referenz. Zumal er und Markus Rindt sich einig sind: Eine einmalige Nutzung der Roboterdirigenten wäre Verschwendung.

Beiden gefällt offensichtlich der Gedanke, mit dem maschinellen Personal plus Instrumentalisten aus Fleisch und Blut auf Welttournee zu gehen. „Im Gegensatz zu einem menschlichen Dirigenten wiederholen die Roboter wieder und wieder die exakt gleichen Bewegungen und Tempi“, so Rindt. „Außerdem werden sie weder müde noch krank.“

Die anstehenden Konzerte im Hellerauer Festspielhaus lässt er erst einmal auf Video festhalten. Ausschnitte sollen ins Netz gestellt, mögliche Veranstalter könnten damit anschließend aber auch überzeugt werden. Markus Rindt: „Ich hätte nicht gedacht, dass es so kompliziert ist, die Roboter sich tatsächlich organisch bewegen zu lassen. Vor einem Jahr hätten wir das noch nicht hinbekommen. Wer weiß, was wiederum in einem Jahr alles möglich ist.“