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Das bedeuten die Kulturkürzungen für die Freie Szene in Sachsen

Dresden wird wohl massiv an der Kultur sparen, auch der Bund streicht Millionen. Freie Künstler fürchten um ihre Existenz – einige haben schon aufgegeben.

Von Johanna Lemke
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Die Tanzcompany Go Plastic konnte sich so etablieren, dass sie inzwischen weit über Dresden hinaus erfolgreich ist.
Die Tanzcompany Go Plastic konnte sich so etablieren, dass sie inzwischen weit über Dresden hinaus erfolgreich ist. © Go Plastic Company

Sie hat gedacht, ihre Kraft sei unendlich. Viele Jahre war Johanna Roggan Tänzerin, Choreografin und Leiterin einer eigenen Company in Dresden. Ihre Guts-Company gehört zu den Tanzgruppen, die von der Stadt Dresden stark gefördert werden, weil sie hier und überregional sehr erfolgreich sind. Ihre Tanzstücke liefen im Festspielhaus Hellerau oder im Societaetstheater. Wenige andere Tanzgruppen in Dresden haben es so weit gebracht. Johanna Roggan konnte trotzdem nicht mehr.

Die Guts Company erhält eine institutionelle Förderung, also einen festen Betrag jedes Jahr – aber es reicht nicht. "Wir haben manchmal ein ganzes Jahr gearbeitet, konnten uns aber nur drei Monate lang Gehalt zahlen", sagt sie. "Das macht man mit Anfang 20. Aber ich habe zwei kleine Kinder – und ich bin an der Belastung krank geworden." Vor einem Jahr hat Johanna Roggan die Leitung der Guts-Company abgegeben, um sich in einem Midi-Job sozialversicherungspflichtig anzustellen. "Ich verdiene nicht viel, aber es ist sicherer", sagt sie.

Ein Jahr gearbeitet, nur wenige Monate Geld bekommen: Tänzerin und Choreografin Johanna Roggan hat das Handtuch geschmissen.
Ein Jahr gearbeitet, nur wenige Monate Geld bekommen: Tänzerin und Choreografin Johanna Roggan hat das Handtuch geschmissen. © Inge Jann

Ähnlich wie Johanna Roggan geht es vielen Künstlerinnen und Künstlern in Sachsen, sagt Michael McCrae, selbst Theaterregisseur und Vorstand im Landesverband Freie Theater in Sachsen, der Interessenvertretung freier Theater- und Tanzkünstler – also all jener, die nicht an Stadt- oder Staatstheatern angestellt sind. "Überall sind die Befürchtungen groß", so McCrae. "Wir als Verband rechnen damit, dass nicht alle durchhalten."

Kommt das große Sterben der Freien Szene in Sachsen? Viele befürchten das. Kürzlich wurde bekannt, dass die Stadt Dresden an der Kultur sparen will. Der Stadtrat muss noch über die Beschlussvorlage abstimmen, aber Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch sagte im SZ-Interview: "Wir müssen uns auf zwei dürre, schwierige Jahre einstellen."

Die Kürzungen werden alle Kulturbereiche treffen. Aber insbesondere die freie Tanz- und Theaterszene träfen sie heftig. Der Grund: Hier soll nicht nur die Projektförderung um 700.000 Euro auf 4,7 Millionen Euro gestrichen werden, also das Geld, was freie Künstler für ihre Projekte erhalten. Zusätzlich wird wohl auch ein wichtiger Kooperationspartner viel weniger Geld bekommen: Das Europäische Zentrum der Künste Hellerau soll allein von der Stadt Dresden 600.000 Euro weniger erhalten, auch die Förderung aus dem Bund wird sich vermutlich reduzieren, sodass für das Haus ein Minus von 1,3 Millionen Euro entstehen wird. Dies wird sich darum auf die Freie Szene auswirken, weil freie Tanz- oder Theaterprojekte immer an verschiedenen Stellen um Geld werben. Meist entsteht dann eine Mischkalkulation aus Zuschüssen der Stadt Dresden, der Kulturstiftung des Freistaats und eines Kooperationspartners, etwa Hellerau oder Societaetstheater, die dann auch die Bühne für die Vorstellungen sind.

Das Europäische Zentrum der Künste Hellerau muss mit starken Kürzungen rechnen.
Das Europäische Zentrum der Künste Hellerau muss mit starken Kürzungen rechnen. © Stephan Floß

Die Kürzungen der Stadt Dresden fallen aus dem Grund so stark ins Gewicht, weil auch der Kulturförderfonds des Bundes – der Fonds Darstellende Künste – mit starken Kürzungen rechnen muss: 18 statt 32 Millionen Euro soll er nach Willen von Kulturstaatsministerin Claudia Roth 2025 erhalten. Die Gelder aus dem Fonds sind gerade für große, strahlkräftige Projekte oft ein wichtiger Anschub. Sie waren es auch in der Corona-Zeit, als der Fonds Darstellende Künste mit dem Programm "Neustart Kultur" vielen Künstlern die Existenz rettete. Insgesamt 136 Millionen wurden damals gezahlt – für viele Gruppen in der Freien Szene war das die Rettung.

Ist Sachsens Freie Szene zu gut?

"Durch den Neustart Kultur konnten sich einige endlich sehr stabil aufstellen", sagt Michael McCrae vom Landesverband Freie Theater. Manche konnten sogar Stellen schaffen, etwa für Pressearbeit oder Produktionsassistenz. "Neustart Kultur hat die Szene professionalisiert", sagt auch Helge Björn Meier vom Bundesverband Freie Darstellende Künste. Er beobachtet die Situation freier Theatermacher bundesweit. "Das bedeutet, dass nun viel mehr Anträge gestellt werden – und diese werden auch immer besser. Doch die Förderstrukturen sind nicht hinterhergekommen."

Man könnte also sagen: Sachsens Freie Szene ist zu gut – zumindest für die nicht mitwachsenden Förderungen, die Meyer in Sachsen eigentlich gar nicht schlecht findet, zumindest im bundesweiten Vergleich. "Natürlich geht es immer besser", sagt er, Nordrhein-Westfalen sei etwa vorbildlich. Aber auch Hamburg stocke die Förderung jetzt auf, und sie fördere Gruppen über mehrere Jahre. "So sind langfristige Planungen möglich", sagt Meyer.

Carena Schlewitt will als Intendantin von Hellerau die Freie Szene fördern - und gerät nun an ihre Grenzen.
Carena Schlewitt will als Intendantin von Hellerau die Freie Szene fördern - und gerät nun an ihre Grenzen. © Matthias Rietschel

In Sachsen hingegen entstehen immer wieder neue Gruppen, die dann aber schnell an fehlender Förderung scheitern. Durch die Palucca-Schule ist Dresden ein Hotspot für Tanz und Choreografie – und faktisch Ausbildungsstätte für Berlin oder Hamburg. Denn jedes Jahr wandern vielversprechende Absolventinnen und Absolventen ab, weil sie hier keine Chance sehen, zu arbeiten, ohne sich selbst auszubeuten. Die Kulturstadt Dresden lässt sehenden Auges ihr größtes Potenzial gehen.

Das erlebt Carena Schlewitt regelmäßig. Sie trat 2018 als Intendantin von Hellerau mit dem Vorhaben an, die Freie Szene durch Kooperationen zu stärken – erfolgreich. So konnte sich etwa die Tanzcompany Go Plastic – auch ihre Gründerinnen haben einst an der Palucca-Schule studiert – durch kontinuierliche Kooperationen so etablieren, dass sie inzwischen weit über Dresden hinaus erfolgreich ist. Das Geheimnis? "Es ist wichtig, dass Künstler Kontinuität in der Finanzierung bekommen", sagt Carena Schlewitt. Es bringe nicht viel, immer mal ein paar Tausend Euro für ein Projekt auszugeben, so die Hellerau-Intendantin. Damit sich Künstler etablieren können, müsse man langfristig mit ihnen zusammenarbeiten. Gerade das sei aber gefährdet, wenn der Stadtrat im November tatsächlich den Haushaltsvorschlag mit den Kürzungen für Hellerau beschließt.

"Der Stadt geht Fachpersonal verloren"

Klar ist: Immer schon arbeiten Künstler unter prekären Bedingungen. Niemand macht diesen Job, um reich zu werden. "Unsicherheit gehört in der Kunst dazu", sagt Choreografin Johanna Roggan. "Aber ich hätte mir gewünscht, irgendwann so etwas wie Verlässlichkeit zu erleben." Derzeit kann sie sich nicht vorstellen, wieder als Choreografin oder Tänzerin zu arbeiten.

Dresden riskiert mit seiner neuen Kürzungspolitik also nicht nur den Abgang strahlkräftiger Künstlerinnen und Künstler. "Der Stadt geht auch Fachpersonal verloren, das sie vorher teuer ausgebildet hat – von Steuergeldern", sagt Helge Björn Meyer. Er macht sich außerdem Sorgen, welche Auswirkungen ein potenzielles Ausbluten der Freien Szene hätte – "gerade in der derzeitigen politischen Situation".