Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
SZ + Feuilleton

Annett Louisan in Dresden: „Wir sollten alle eine Therapie machen“

Annett Louisan feiert in Dresden ihr 20 Jahre altes „Bohème“- Album, gibt Einblicke ins Privatleben und äußerst einen Herzenswunsch für die Zukunft.

Von Tom Vörös
 3 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
In gut zwei Stunden singt sich
Annett Louisan
im Kulturpalast durch ihr gesamtes Künstlerleben – mit mehrmaligen Ausflügen durch die Sitzreihen.
In gut zwei Stunden singt sich Annett Louisan im Kulturpalast durch ihr gesamtes Künstlerleben – mit mehrmaligen Ausflügen durch die Sitzreihen. © PR

Federleichte Lieder schweben durch den Saal. Gesungen mit einer Stimme, die manchmal wie die eines Kindes klingt. Kaum zu glauben, dass die wohl bekannteste deutsche Chansonnière seit gut 20 Jahren ein Gefühl der Schwerelosigkeit vermittelt. Im Dresdner Kulturpalast warten am Montagabend ihre zahlreichen Fans auf den sanften Raketenstart durch zwei Jahrzehnte Musikkarriere. „Vielleicht werde ich heute ein bisschen persönlicher“, kündigt die Sängerin an. Man ist gespannt, was die kleine Dame mit der großen Stimme zwischen den Liedern so ausplaudern wird.

Grüße aus Manhattan

„Beginnen möchte ich mit einem One-Night-Stand – darf ich vorstellen: Ich.“ Fast wären die deutschen Charts also nicht bereichert worden mit Annett Louisan. „Kleine Zwischenfälle“ eben, die heute gerne aus der Ferne besungen werden. Und man erfährt weiter, dass die 47-Jährige in einem kleinen Dorf in Sachsen-Anhalt aufwuchs. Ihr echter Name Annett Päge kommt zwar nicht zur Sprache, dafür der Spitzname des Wohnviertels ihrer Kindheit: „Manhattan“, ein DDR-Plattenbau.

Später ging es dann mit der jungen Mutter und dem Stiefvater nach Hamburg. „Meinen leiblichen Vater habe ich erst vor 20 Jahren kennengelernt, bei einer Autogrammstunde auf einem Konzert. 200 Fans standen hinter ihm, kein guter Zeitpunkt.“ In „Daddy“ rechnet sie durchaus hart ab: „Du fehlst mir nicht / Ich fühl mich unbeschwert / Doch ich mach all diese Fehler, Daddy, / Und finde überhaupt keinen, den es stört.“

Dafür trifft „Meine Kleine“, ein Lied über Mutterliebe, voll ins Herz. Emotional werden die Balladen auch, weil drei gefühlvolle Musiker am Flügel, am Kontrabass und an den Gitarren werkeln. Mit der Sicherheit im Rücken zieht sie singend durch die Reihen. Das Konzert wird zur erfrischenden Zentimetersache.

So offen wie nie plaudert Louisan zwischen den Chansons weiter. Zum Beispiel über ihre Besuche beim Psychologen, mit erhellendem Fazit: „Ich finde ja, dass wir vorsorglich alle eine Therapie machen sollten, für die Generation danach.“ Den gesellschaftlichen Rahmen liefert sie gleich mit: „Auch wegen der Wahlergebnisse interessiere ich mich sehr für das, was in der Wendezeit passiert ist. Da ist zu wenig aufgearbeitet worden und viel Unrecht passiert.“

Das Wort zum Montag bringt ihr großen Applaus ein. Und das Lied „Chancenlos“ gerät zum Statement der Stunde. Danach regiert der Spaß fast bis zum Ende durch. Lustig macht sich die Sängerin über ihre Körpergröße und die Medien, die sich stets auf die 1,52 Meter stürzten. „Dabei ist das geschummelt“, so Louisan. „Ich bin eigentlich noch viel kleiner, habe ein paar Zentimeter bei einer Bandscheiben-OP verloren, wenn ihr’s genau wissen wollt.“

Ihr „Bohème“-Erfolgsalbum wird als feministisches Frühwerk gefeiert. Und ihr früheres Lolita-Image kritisiert – für die Unfähigkeit, mit weiblicher Selbstbestimmtheit umzugehen. „Ich finde, wir sind erst heute so weit, dass eine Frau, die Lust hat, in High-Heels, Minirock und Lippenstift aufzutreten, trotzdem hart verhandelt.“
Privat scheint alles geklärt zu sein: Louisan ist zum zweiten Mal verheiratet, hat eine kleine Tochter. Aber einen Traum hat sie auch noch: „Ich hätte gerne meine eigene Show – auf der Reeperbahn.“

Auf das Schmunzeln darüber folgt das Schunkeln. Den Saal hat sie jetzt fest in der Hand. „Kleine große Liebe“, „Eve“, „Drück die 1“ und „Das alles wär nie passiert (ohne Prosecco)“ – mit einer halben Stunde Zugaben läutet Annett Louisan die nächsten 20 Bühnenjahre ein. „Die schönsten Wege sind aus Holz“ singt sie. Und man würde ihr sogar glauben, dass sie Bühnentreppen singend überwindet.