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10 Jahre Marmeladenmädchen in Dresden: "Wir sind ein reines Ostprodukt"

Obwohl alle sie für verrückt erklärten, machte sich Uta Weiß vor 10 Jahren selbständig - und zwar mit Marmelade. Heute ist ihr Eingewecktes bei Rewe, Konsum & Co. heißbegehrt. Ein Besuch beim Marmeladenmädchen in Dresden-Löbtau.

Von Juliane Just
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"Ich hab es nie bereut, Marmeladenmädchen zu werden", sagt Uta Weiß bis heute. Zehn Jahre sind seit ihrem Start am heimischen Herd vergangen, inzwischen ist das Familienunternehmen nicht mehr aus Dresden wegzudenken.
"Ich hab es nie bereut, Marmeladenmädchen zu werden", sagt Uta Weiß bis heute. Zehn Jahre sind seit ihrem Start am heimischen Herd vergangen, inzwischen ist das Familienunternehmen nicht mehr aus Dresden wegzudenken. © René Meinig

Dresden. Es ist, als würde der kleine Laden in Löbtau nur aus Weckgläsern bestehen. Sie stapeln sich zu Hunderten übereinander, die Karomuster der Deckel weisen den Weg um die vielen Ecken, die der kleine Marmeladen-Kosmos in sich hat. Es gibt kleine Gläser, große Flaschen und hunderte Abstufungen dazwischen. Jeder Winkel wurde ausgenutzt, denn Marmelade kann man scheinbar nie genug haben.

Seit zehn Jahren lebt und arbeitet Uta Weiß als "Marmeladenmädchen", die Jahre scheinen für sie nur so geflogen zu sein. "Das glaubt mir doch keiner", sagt sie ganz oft, wenn sie Zahlen ihrer kleinen Manufaktur nennt. 1,2 Tonnen Früchte verarbeitet sie pro Monat, 250 Sorten Fruchtaufstriche hat sie über die Jahre kreiert, monatlich 3.300 Weckgläser produziert - all das zählt sie mit einem bescheidenen Stolz auf. Was als Leidenschaft begann, ist trotz aller Widrigkeiten inzwischen ein Erfolgsmodell.

Denn eigentlich, und darüber muss Uta Weiß heut selbst ein bisschen schmunzeln, ist sie Zahnarzthelferin. Der Ausgleich damals: Marmeladen einkochen und Bekannten damit Freude schenken. Das lief so gut, dass sie einen Nebenerwerb startete und in einer Wohnung in Gorbitz nebenbei weiter einweckte. Sie ging auf Wochenmärkte und sah, dass die Kunden ihre Produkte liebten.

Von der Zahnarztpraxis zur Marmeladenküche

Ob Marmelade für einen eigenen Laden reicht? Viele ihrer Bekannten sahen in dem Laden kein Potenzial, fanden die Idee verrückt. Aber Uta Weiß ging den Schritt trotzdem - und behielt am Ende Recht. Im Jahr 2015 fand sie das Kleinod in der Wernerstraße in Löbtau, sanierte es gemeinsam mit ihrem Mann. Schließlich hing sie ihr Leben als Zahnarzthelferin an den Nagel und wurde mit Leib und Seele Marmeladenmädchen.

Das Besondere an ihren Produkten: Jeder Schritt der Produktion ist von Hand. Es wird geschnippelt, gemischt, gezuckert, gerührt - und zwar ununterbrochen. Ob das eintönig werden kann? "Ich liebe einfach, was ich hier mache", sagt Uta Weiß, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern.

Im Marmeladenmädchen stapeln sich Weckgläser über Weckgläser mit leckerem Inhalt - längst wurde das Sortiment um Soßen, Pesto und mehr erweitert.
Im Marmeladenmädchen stapeln sich Weckgläser über Weckgläser mit leckerem Inhalt - längst wurde das Sortiment um Soßen, Pesto und mehr erweitert. © René Meinig
Das "Marmeladenmädchen" im Hintergrund heißt Andy. Der Mann von Uta Weiß ist inzwischen auch Vollzeit in die Firma eingestiegen.
Das "Marmeladenmädchen" im Hintergrund heißt Andy. Der Mann von Uta Weiß ist inzwischen auch Vollzeit in die Firma eingestiegen. © René Meinig
Neben Marmeladen gibt es im Marmeladenmädchen auch mehrere Sirup-Arten, die zum Verfeinern von Getränken, Gebäcken oder Cocktails genutzt werden können.
Neben Marmeladen gibt es im Marmeladenmädchen auch mehrere Sirup-Arten, die zum Verfeinern von Getränken, Gebäcken oder Cocktails genutzt werden können. © René Meinig
Hinter dem Laden in Dresden-Löbtau befindet sich das Herz des Marmeladenmädchens: die Küche. Hier wird im Akkord eingekocht und eingeweckt.
Hinter dem Laden in Dresden-Löbtau befindet sich das Herz des Marmeladenmädchens: die Küche. Hier wird im Akkord eingekocht und eingeweckt. © René Meinig
Das Marmeladenmädchen kann auch herzhaft: Möhren, Gewürzgurken und Zuchini gibt es im Glas.
Das Marmeladenmädchen kann auch herzhaft: Möhren, Gewürzgurken und Zuchini gibt es im Glas. © René Meinig
Das Marmeladenmädchen kocht die klassischen Sorten ein, aber auch einige neue Kreationen mit Likören.
Das Marmeladenmädchen kocht die klassischen Sorten ein, aber auch einige neue Kreationen mit Likören. © René Meinig

Inzwischen lebt der Laden nicht nur von den Kunden, die sich hier mit Weckgläsern eindecken. In Dresdner Hotels gibt es Mini-Gläser beim Frühstücksbuffet und auch Cafés bieten Marmelade des Lädchens an. Sie beliefern Bauernmärkte, Landmärkte, Baumärkte und Bäckereien. Einer der ersten großen Abnehmer war Marché am Hauptbahnhof, der jedoch inzwischen schließen musste.

Einzelhandel rettet Marmeladenmädchen über Corona-Zeit

Über die dunklen Corona-Jahre halfen der kleinen Manufaktur Zufälle. Zum einen fiel der Laden dem Gastronomie-Lockdown nicht zum Opfer, da Eingewecktes nicht darunterfiel. Außerdem kam unverhofft ein weiteres Standbein dazu, als auch der Lebensmittelhandel auf die Dresdnerin aufmerksam wurde. Im August 2020 lieferte das Familienunternehmen an fünf Konsum-Filialen. "Das hat uns über die Corona-Zeit gerettet." Und die Marmeladen waren heißbegehrt.

Auch das hat sich, wie so vieles im Marmeladenmädchen, vervielfacht: Inzwischen zählen 28 Filialen von Konsum, zwei Rewe und sechs Edeka-Märkte zu ihren Abnehmern. Wenn Uta Weiß das aufzählt, sieht man ihr an, dass sie es selbst manchmal nicht glauben kann. "Wir sind ein reines Ostprodukt. Es war wie ein Lauffeuer."

Doch das rasante Wachstum hat auch seinen Preis: Täglich ist sie bis zu elf Stunden Marmeladenmädchen, für das Familienleben mit drei Kindern bleibt nur wenig Zeit. "Es ist ein harter Job", sagt Uta Weiß, auch wenn sie genau diesen Job so liebt. "Man wird nicht reich davon, aber wir können davon leben." Denn hinter jedem Glas steckt ein riesiger Aufwand fernab des Kochtopfs: Müllprotokolle, Verpackungsgesetze, Laborproben, Gefahrenstoffverzeichnisse, Nährwerttabellen. "Es ist unglaublich, was da alles anfällt."

Aus One-Woman-Show wird Familienunternehmen

Das Wachstum brachte mit sich, dass auch ihr Mann 2021 Vollzeit "Marmeladenmädchen" wurde. Anfangs kümmerte er sich nebenberuflich um den Transport, doch die Margen wurden immer größer. Heute kennt auch er alle Zahlen und Fakten aus dem Effeff, fährt zwischen Leipzig, Bad Muskau und dem Spreewald hin und her - nur das einkochen, das überlässt er seiner besseren Hälfte. Auch der Nachwuchs hilft mit, denn der 18-jährige Sohn ist auch Teil des Marmeladen-Imperiums. Ein weiterer Mitarbeiter, der 2021 zum Team hinzukam, kocht in der Küche mit ein.

Bei den Marmeladen gibt es viele Klassiker, aber auch ungewöhnliche Kreationen wie Erdbeer-Eierlikör, Fliederblüte-Himbeer oder Kiwi-Mango-Waldmeister. Ein Glas gibt es für durchschnittlich 3,30 Euro. "Viele sind bereit, für die gute Qualität zu zahlen", sagt Uta Weiß. Außerdem brachte ihre Kreativität noch mehr Produkte hervor. Inzwischen gibt es auch Sirup, Pesto, Chutneys, Dips, herzhafte Brotaufstriche und Gebäck. Auf 290 Produkte bringt es das Lädchen.

Die Früchte und das Gemüse für diese Produktion kommen von Privatgärtnern und Landwirten aus der Umgebung. Mehrere Kisten Himbeeren liegen beispielsweise heute in der Marmeladenküche, die schnellstmöglich verarbeitet werden müssen. Einige Sorten werden in diesem Jahr in Hülle und Fülle geerntet, andere wie Birnen wird es durch den Frost im Frühjahr gar nicht geben.

Stammkunden reisen auch aus dem Umland Dresdens an

So einige Kunden zieht es schon seit Stunde Null immer wieder in das Lädchen. Auch aus dem Umland würden viele Kunden anreisen, um sich mit Weckgläsern einzudecken. "Viele schätzen, dass wir ein Familienunternehmen sind", ist sich Uta Weiß sicher. Man begrüßt sich mit Vornamen und netten Floskeln, man kennt sich eben. Eine Kundin, die gerade nach ihren liebsten Sorten schaut, bestätigt das. "Ich komme so gern hier her und wünsche mir, dass Sie hier bleiben."

Und während die Kundin sommerliche Marmeladen in ihr Körbchen häuft, steht in der Küche schon das Weihnachtsgeschäft an. Dann duftet es in der Küche nach Zimt und Nelken, Lebkuchen werden in Pflaumenmarmelade gebröselt - während draußen noch Hochsommer ist. Und auch im Winter ist ihr nicht langweilig, denn dann haben exotische Früchte wie Orangen, Kiwi und Papaya Saison.

"Man kann selbst manchmal nicht begreifen, dass das alles durch unsere Hände gelaufen ist", sagt die 39-Jährige und sieht auf die unzähligen Gläser. Grob überschlagen hat sie in zehn Jahren etwa 1,2 Millionen davon hergestellt. "Wieder so eine Zahl, die man einfach nicht begreifen kann."

Der Laden vom Marmeladenmädchen befindet sich in der Wernerstraße 22 in Löbtau und ist Montag bis Freitag von 10 bis 18 sowie Samstag von 10 bis 16 Uhr geöffnet.