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Wegen Mikrochip-Ansiedlung: Forstdirektor kämpft um Bäume in der Dresdner Heide

Mit Hochdruck wird in Dresden am Anschlusskanal für die Mikrochipwerke gebaut. Viele Anwohner und Fachleute kritisieren das Vorgehen. Worum es bei der Debatte geht.

Von Peter Hilbert
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Projektleiter Heiko Nytsch (l.) und Forstdirektor Heiko Müller begutachten die Baustelle unweit des Moritzburger Wegs.
Projektleiter Heiko Nytsch (l.) und Forstdirektor Heiko Müller begutachten die Baustelle unweit des Moritzburger Wegs. © René Meinig

Dresden. Die Dresdner Heide ist zur Baustelle geworden. In Hellerau, unweit des Moritzburger Wegs, ist in den vergangenen Wochen am Augustusweg eine tiefe Baugrube entstanden, die die Stadtentwässerung Dresden für den Anschlusskanal für die Dresdner Mikrochipbranche errichten lässt.

"Allerdings werden die Eingriffe im Landschaftsschutzgebiet auf das Nötigste reduziert. Trotzdem geht es nicht ohne spürbare Eingriffe", erklärte Investitionschef Torsten Seiler von der Stadtentwässerung am Donnerstagabend zum Auftakt einer Informationsveranstaltung mit Anwohnern im Bürgerzentrum Waldschänke.

Das ist die asphaltierte Zufahrt zur Baugrube der Stadtentwässerung, über die bei der Infoveranstaltung diskutiert wurde. Der Sachsenforst hatte deren Bau nur zähneknirschend zugestimmt.
Das ist die asphaltierte Zufahrt zur Baugrube der Stadtentwässerung, über die bei der Infoveranstaltung diskutiert wurde. Der Sachsenforst hatte deren Bau nur zähneknirschend zugestimmt. © Torsten Fiedler/Stadtentwässerung Dresden

Die neue Baustelle ist nicht weit davon entfernt. Dorthin ist eine provisorische, etwa 400 Meter lange Asphaltstraße auf dem Augustusweg durch den Wald gebaut worden. Deshalb hatten Bürger beim Sachsenforst in Dresden angefragt. Details wollte die Stadtentwässerung den Anliegern bei der Veranstaltung erklären. Bei der Baugrube am Augustusweg handelt es sich um eine sogenannte Doppelstartgrube.

Aus der Luft ist die Baugrube mitten in der Heide gut zu erkennen. Für den Sachsenforst ist sie ein schmerzhafter Kompromiss.
Aus der Luft ist die Baugrube mitten in der Heide gut zu erkennen. Für den Sachsenforst ist sie ein schmerzhafter Kompromiss. © Torsten Fiedler/Stadtentwässerung Dresden

"Das ist die zentrale und wichtigste Baugrube für unser Großprojekt am Dresdner Heller", sagte Seiler. Von dort aus werden ab Frühjahr 2025 Kanalrohre mit Pressen in den Untergrund gedrückt. Für die insgesamt zwei Kilometer lange Trasse müssen zirka 500 jeweils neun Tonnen schwere Rohre antransportiert werden – und das auch im Winter. "Genau dafür brauchen wird diese Straße und haben uns deshalb mit dem Sachsenforst abgestimmt", erklärte er.

Das Großprojekt: Neuer Kanal zur Hälfte unterirdisch

Erst am Dienstag hat der taiwanesische Konzern TSMC mit einem symbolischen Spatenstich den Bau seiner Dresdner Fabrik nördlich des Boschwerks begonnen. Die Serienproduktion soll 2027 starten. Mit diesem Werk und der neuen Infineon-Chipfabrik an der Königsbrücker Straße wäre das vorhandene Kanalnetz überlastet, erläuterte Seiler. Deshalb baut die Stadtentwässerung für rund 71 Millionen Euro bis zum Herbst 2026 den rund zehn Kilometer langen Hauptkanal vor allem für die Abwässer der Mikroelektronik-Betriebe, den Industriesammler Nord. Der Nordkanal führt vom Klärwerk zu den Gewerbegebieten in Rähnitz und an der Königsbrücker Straße (siehe Grafik).

Auf dieser Grafik sind der Verlauf und die Anschlüsse des neuen Industriesammlers Nord dargestellt.
Auf dieser Grafik sind der Verlauf und die Anschlüsse des neuen Industriesammlers Nord dargestellt. ©  SZ-Grafik: Gernot Grunwald

Etwa elf Millionen Kubikmeter Industrieabwasser fließen aktuell zur Kläranlage. "Allein die Werke von Globalfoundries, Infineon, Bosch und X-Fab leiten schon jetzt 93 Prozent der Dresdner Industrie-Abwässer ein", erklärte Seiler.

Investitionschef Torsten Seiler von der Stadtentwässerung erklärte, wie die Eingriffe im Naturschutzgebiet Heide so gering wie möglich gehalten werden.
Investitionschef Torsten Seiler von der Stadtentwässerung erklärte, wie die Eingriffe im Naturschutzgebiet Heide so gering wie möglich gehalten werden. © Peter Hilbert

In den kommenden Jahren wird sich die Menge des Industrieabwassers verdoppeln. Das vorhandene Kanalnetz wäre damit überlastet. Der neue Kanal wird jeweils zur Hälfte in offener und geschlossener Bauweise hergestellt. Offen heißt, dass Gräben ausgebaggert und Rohre verlegt werden. Beim geschlossenen Verfahren werden Stahlbetonröhren durch die Erde gepresst.

Ein Blick in die über 100 Meter lange Röhre, die am Wilden Mann unter der Moritzburger Landstraße in Trachenberge bereits in die Erde gedrückt wurde. Mit dem zehn Kilometer langen Industriesammler Nord erhalten die Mikrochipwerke im Dresdner Norden einen
Ein Blick in die über 100 Meter lange Röhre, die am Wilden Mann unter der Moritzburger Landstraße in Trachenberge bereits in die Erde gedrückt wurde. Mit dem zehn Kilometer langen Industriesammler Nord erhalten die Mikrochipwerke im Dresdner Norden einen © Peter Hilbert

In den Untergrund gepresst werden zwei Meter hohe und vier Meter lange Stahlbetonrohre, erläuterte der Investitionschef. Innen sind sie 1,6 Meter hoch. So werden die Rohrtunnel entstehen, in denen teilweise Leitungen aus Kunststoff verlegt werden. Mit einem Durchmesser von 1,2 Metern, wie auf der gesamten Strecke des Industriesammlers Nord.

Der Heller-Abschnitt: Seit Juli wird gearbeitet

Das letzte, rund 2,4 Kilometer lange Stück führt von der Radeburger Straße vorbei am Heller bis zur Königsbrücker Straße, wo Infineon einen Anschluss an den neuen Nordkanal bekommt. Anfang Juli wurde mit dem Herstellen der Fläche für die Baustelleneinrichtung begonnen, die unweit der Hellerauer Werkstätten am Moritzburger Weg liegt. Jetzt entsteht dort die Doppelstartgrube.

Der Forstdirektor: Zähneknirschend Asphaltzufahrt zugestimmt

"Für uns ist es eine Herausforderung", sagte Heiko Müller, der als Forstdirektor beim Sachsenforst für die Dresdner Heide zuständig ist. "Für uns kommt es darauf an, die Eingriffe so gering wie möglich zu halten. Wir streiten uns auch um einzelne Bäume."

Forstdirektor Heiko Müller arbeitet zwar eng mit der Stadtentwässerung zusammen. Dennoch streitet er oft um die Erhaltung jedes Baums, machte er bei der Infoveranstaltung deutlich.
Forstdirektor Heiko Müller arbeitet zwar eng mit der Stadtentwässerung zusammen. Dennoch streitet er oft um die Erhaltung jedes Baums, machte er bei der Infoveranstaltung deutlich. © Peter Hilbert

Nicht nur die Stadtentwässerung baut den Anschlusskanal für die Chipindustrie. Die Sachsen-Energie verlegt dort auch die 110-Kilovolt-Hochspannungstrasse und den Industriewasseranschluss für die Halbleiterwerke. "Sie haben großes Verständnis für unsere Belange beim Schutz des Waldes."

Viele Bürger waren zur Infoveranstaltung gekommen, die zahlreiche Fragen an Investitionschef Seiler stellten.
Viele Bürger waren zur Infoveranstaltung gekommen, die zahlreiche Fragen an Investitionschef Seiler stellten. © Peter Hilbert

Heiß debattierten die Hellerauer über den tiefen Eingriff mit der Asphaltstraße auf dem Augustusweg. "Dort wird auch mit Schadstoffen belastete Erde weggebracht. Auch deshalb ist viel Lkw-Verkehr nötig", erklärt der Forstdirektor. "Da haben wir der Asphaltstraße zähneknirschend zugestimmt." Hinterher wird die Straße beseitigt und der Augustusweg so hergerichtet, dass er auch wieder mit Fahrrädern gut befahrbar ist.

Der Bau der Industriewasserleitung wird im Abschnitt ab der Königsbrücker Straße zeitlich parallel zum unterirdischen Kanalbau verlaufen, erklärte Müller. "Zum Großteil wird das aber in offener Bauweise gemacht", stellte er klar. "Die Hochspannungstrasse wird ab der Königsbrücker entlang der Bahnlinie 8 gebaut."

Entsetzt waren Hellerauer über Pläne über die Trasse für die Industriewasserleitung (blau) und die Hochspannungstrasse (rot) der Sachsen-Energie, die Forstdirektor Müller vorstellte. Davon hatten die Anwohner noch nie etwas gehört.
Entsetzt waren Hellerauer über Pläne über die Trasse für die Industriewasserleitung (blau) und die Hochspannungstrasse (rot) der Sachsen-Energie, die Forstdirektor Müller vorstellte. Davon hatten die Anwohner noch nie etwas gehört. © Peter Hilbert

Die Hellerauer wollten mehr dazu wissen. Doch dazu konnte die Stadtentwässerung nichts sagen. Forstdirektor Müller verwies darauf, dass entsprechende Ausgleichsvorhaben geplant sind, so auf dem ehemaligen Deponiegelände zwischen Klotzsche und Langebrück.

Die Bürgerkritik: Erst Bäume gefällt, dann informiert

"Da kommt einiges auf uns zu", sagt Anwohnerin Nicole Schmalenberger. Zumal sie erst an diesem Abend erfahren hat, dass dort auch eine Wasser- und eine Stromtrasse gebaut werden. Zumindest ist sie froh, dass die Stadtentwässerung die Hellerauer bei dieser Veranstaltung vernünftig informiert habe. Die Erklärungen der Sachsen-Energie fehlten ihr und den anderen Bürgern.

Auf SZ-Nachfrage teilte die Sachsen-Energie mit, dass es Ende September ein Informationsangebot zum Ausbau des Stromnetzes geben wird. "Auch zu den geplanten Baumaßnahmen für die Wasserversorgung wird Sachsen-Energie vor Ort zur gegebenen Zeit informieren", teilt der Versorger mit. Derzeit habe der Leitungsbau an der Fischhausstraße begonnen.

Detlef Springer vom Bürgerverein Hellerau findet die Infoveranstaltung zwar gut, aber viel zu spät durchgeführt. Denn zuvor wurden die Hellerauer mit Baumfällungen und der Asphaltstraße zur Baugrube vor vollendete Tatsachen gestellt.
Detlef Springer vom Bürgerverein Hellerau findet die Infoveranstaltung zwar gut, aber viel zu spät durchgeführt. Denn zuvor wurden die Hellerauer mit Baumfällungen und der Asphaltstraße zur Baugrube vor vollendete Tatsachen gestellt. © Peter Hilbert

"Wenn hier etwas abgesägt oder gebaut wird, klingelt bei mir immer das Telefon", erklärt Detlef Springer. Der 75-Jährige leitet die Arbeitsgruppe Umwelt beim Hellerauer Bürgerschaftsverein. Er findet es zwar sehr gut, dass bei der Infoveranstaltung Details erklärt wurden. "Das war aber viel zu spät. Zuerst wurden Bäume gefällt und die Baustraße asphaltiert und erst jetzt wird informiert."

"Ganz kritisch sehe ich die geplante Wassertrasse der Sachsen-Energie zum Augustusweg", sagt er. Das ist der Fahrradweg für die Querung der Königsbrücker Straße. "Man kann doch nicht die Radfahrer zum Moritzburger Weg schicken, wo Hunderte Schwertransporte fahren. Das wird haarig."