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Eingestürzte Carolabrücke in Dresden: Wettlauf mit dem Hochwasser

Mit Sprengungen beginnt am Donnerstagabend der Abriss der beschädigten Carolabrücke in Dresden, dann rollt schweres Gerät an. Die Zeit drängt, denn die Pegel der Elbe steigen.

Von Alexander Schneider
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Warten auf die Fluten: In großer Eile gehen die Abrissarbeiten voran. Man will unbedingt verhindern, dass die eingestürzte Carolabrücke durch das erwartete Hochwasser zu einer noch größeren Gefahr für die Dresdner wird.
Warten auf die Fluten: In großer Eile gehen die Abrissarbeiten voran. Man will unbedingt verhindern, dass die eingestürzte Carolabrücke durch das erwartete Hochwasser zu einer noch größeren Gefahr für die Dresdner wird. © Sven Ellger

Dresden. Die Frau zieht am Ärmel ihres Mannes, der sich von dem Anblick nur langsam trennen kann. Am Freitagmorgen fasziniert ihn das Zickzack-Muster der inzwischen eingerissenen und eingestürzten Teile der Carolabrücke. Der Mann folgt seiner Frau widerwillig. "Es ist aber interessant zu kucken", klagt er.

Auch im Regen schauen viele Dresdner nach ihrer Brücke oder besser dem, was davon übrig ist. Die Zukunft des gesamten Bauwerks ist ungewiss, am Donnerstag brachte Baubürgermeister Stephan Kühn (Grüne) im Stadtrat erstmals einen kompletten Neubau ins Spiel, später wird das auch Simone Prüfer, die Leiterin des Dresdner Straßen- und Tiefbauamts, so einschätzen: "Es wird ein Neubau sicherlich notwendig sein".

Genaue Untersuchungen stünden noch aus, doch durch den Einsturz des C-Zuges sei auch der mittlere B-Zug stark in Mitleidenschaft gezogen worden, was für einen Neubau spreche.

Die Wucht zweier Katastrophen

Es ist eine wohl historische Stadtratssitzung. Während die Verwaltung das Stadt-Parlament überraschend über eine komplett neue Lage informiert, rollen am Königsufer schon Bagger und Lastwagen mit Dutzenden Bauarbeitern zur Einsatzstelle. Der Sprengstoff ist längst geordert, Gespräche mit Abrissexperten haben stattgefunden. Auch das Finanzministerium und die Staatskanzlei werden teilweise evakuiert.

Mit Baggern gegen die Zeit: Abbriucharbeiten an der Carolabrücke.
Mit Baggern gegen die Zeit: Abbriucharbeiten an der Carolabrücke. © dpa

Die einsturzgefährdete Rest-Brücke des zerstörten C-Zugs hatte die Einsatzleitung angesichts des angekündigten Hochwassers unter Druck gesetzt. Für 19 Uhr ist die erste Sprengung vorgesehen. Zumindest auf der Neustädter Seite soll möglichst viel Bauschutt weggeräumt sein, ehe das Weiterarbeiten wegen der Überschwemmungen nicht mehr möglich ist. Bis zum Beginn der Sitzung hatte das Rathaus Abrissarbeiten vor dem Wochenende öffentlich ausgeschlossen, Journalisten wurde jedoch geraten, die Übertragung der aktuellen Stunde im Stadtrat zu verfolgen. Allein das und der an diesem Donnerstag aufgerufene "Stab für besondere Einsatzlagen" zeigen, welche Wucht zwei parallele Katastrophen auslösen – der Einsturz der Brücke und das Hochwasser.

Technisches Ballett: Wie choreografiert wirken diese Abrissbagger an dem zerstörten Bauwerk.
Technisches Ballett: Wie choreografiert wirken diese Abrissbagger an dem zerstörten Bauwerk. © SZ/Veit Hengst

Die Stadträte tagen noch, als sich hunderte Schaulustige auf der Brühlschen Terrasse, auf der Augustusbrücke und am Elbufer sammeln, um die Sprengung mit eigenen Augen zu sehen oder mitzuerleben. Sie werden nicht enttäuscht. Zunächst sind die Straßenbahnschienen an der Reihe, die mit einem sogenannten Thermit-Schneidverfahren am Neustädter Widerlage vom Beton getrennt werden.

Man sieht gegen 19 Uhr Feuer und eine Rauchwolke. Die angekündigte Sprengung der Fernwasserrohre am Neustädter Widerlager verzögert sich um Stunden. Erst gegen 21.45 Uhr rummst ein dumpfer Knall durchs Tal. Er ist in der halben Stadt zu hören – die Schaulustigen spüren auch die Druckwelle und sehen den Rauch. Offenbar wurde das Ziel nicht erreicht, denn eine Stunde später muss noch einmal gesprengt werden, kurz vor 23 Uhr.

Noch liegen die Betonblöcke auf den Pfeilern. So ist es geplant. Die Sprengungen trennten die beiden 500 Millimeter starken Fernwärme-Versorgungsrohre, die unter massiver Spannung standen. Jetzt kommen die Bagger, die seit Stunden auf ihren Einsatz warten, reißen Betonteile ab, Presslufthämmer sind zu hören, es wird gearbeitet. Irgendwann morgens fällt das durchhängende Betonteil herab, an dem ein mutiger Baggerfahrer "knusperte", wie es Simone Prüfer beschreibt. Sie spricht von einer gelungenen Aktion, die genau so vorbereitet gewesen sei.

Wenig später stürzt das nächste Teil herab. So entsteht das Zickzack-Muster – und die Greifarme nagen weiter am Beton. Zehn Bagger sind vor Ort, viele Laster und insgesamt 80 bis 100 Menschen.

Im Akkord trennen sie Beton und Stahl ab, zerkleinern alles und fahren den Schutt über den Elberadweg zu einem Zwischenlager am Alten Leipziger Bahnhof. So geht das auch am ganzen Freitag, inzwischen regnet es und die Menschen machen sich Sorgen angesichts der steigenden Pegel. An den bereits am Mittwoch in die Elbe gestürzten Betonblöcken lässt sich besonders gut erkennen, wie schnell das Wasser steigt. Auf der Altstädter Seite dagegen passiert nichts. Die Brücke ist dort bislang nicht vom Lager gerutscht. Ursprünglich sollten ab Freitag auch dort die Bagger knuspern.

Panzer sollen an der Brücke helfen

Jetzt hoffen die Einsatzkräfte, dass es so bleibt und dort nicht ein zusätzliches Hochwasserhindernis entsteht. Wichtig ist jetzt die Schnelligkeit. Bis Sonntagabend hoffen die Einsatzkräfte, könnten die Abriss-Blöcke des C-Zuges beseitigt sein – wenn alles funktioniert. "Es ist ein Kampf gegen die Zeit", sagt Feuerwehrsprecher Michel Klahre in der Rathaus-Pressekonferenz am Freitagmittag. Auch zwei Bergepanzer der Bundeswehr vom Typ "Büffel" treffen am späten Nachmittag ein.

Warten auf den Einsatz: Gerade angekommener Bergungspanzer"Büffel" am Elbufer.
Warten auf den Einsatz: Gerade angekommener Bergungspanzer"Büffel" am Elbufer. © Sven Ellger

Das Angebot des Landeskommandos Sachsen habe man gerne angenommen, sagt Klahre. Die Erfahrung der Bundeswehr sei wichtig. Die Kettenfahrzeuge könnten beim Abriss helfen und auch etwa im Schlamm feststeckende Lkw befreien. Noch immer sind die Hochwasserprognosen für die konkreten Planungen zu unsicher. Die Feuerwehr orientiert sich daher vorerst an einem Pegel von vier Metern bis Sonntagabend, so könnte das Ziel erreicht werden.

Amtsleiterin Prüfer sagt, dass Korrosion eine Ursache des Einsturzes sei. Die Litzen in den vorgespannten Gliedern im Beton seien korrodiert gewesen – direkt am Pfeiler der Einsturzstelle auf der Neustädter Seite habe sich der Schwachpunkt befunden. Und noch einen unerwarteten Satz sagt die Amtsleiterin: "Die Carolabrücke war das sicherste Bauwerk".

Nun ist wohl auch der mittlere B-Zug abrissreif. Er sei erheblich beschädigt worden, weil die drei einzelnen Brücken in der Mitte mit einem Querriegel verbunden waren. Durch den Einsturz habe so eine hohe Kraft auf die gesamte Brücke eingewirkt, am B-Zug seien Verformungen sichtbar. Die gesamte Brücke stehe daher jetzt unter genauer Beobachtung. Zunächst jedoch liefern sich Bagger- und Lasterfahrer ein Wettrennen mit dem steigenden Elbepegel.