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Brückenkollaps in Dresden: Die Carolabrücke bekam beim Brücken-TÜV die Note 3,4

In Dresden ist in der Nacht zu Mittwoch ein Teilstück der Carolabrücke eingestürzt. Der mangelhafte Zustand war seit 2021 bekannt. Was die Ursachen für den Einsturz waren und wie es jetzt weiter geht.

Von Peter Hilbert & Luisa Zenker
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18 Minuten vor dem Kollaps fuhr die letzte Straßenbahn in den frühen Morgenstunden am Mittwoch über die Elbbrücke.
18 Minuten vor dem Kollaps fuhr die letzte Straßenbahn in den frühen Morgenstunden am Mittwoch über die Elbbrücke. © SZ/Veit Hengst

Täglich fahren tausende Autofahrer, Radler, Fußgänger über die Carolabrücke in Dresden. Doch dann gibt es mitten in der Nacht zu Mittwoch einen Schlag. Ein Teil der Brücke stürzt in sich zusammen. Zum Glück befand sich niemand auf dem Bauwerk. Doch ein Blick in den letzten Brücken-TÜV zeigt, die Carolabrücke bekam die Bewertung "nicht ausreichend".

Was ist der Grund für den Brückenkollaps?

Genaue Angaben zu den Ursachen des Brückensturzes gibt es noch nicht. Holger Kalbe, Abteilungsleiter der Brücken- und Ingenieurbauwerke bei der Stadt Dresden vermutet: Korrosion und Materialermüdung. „Wir haben hier zu DDR-Zeiten massiven Chlorid-Eintrag gehabt“, sagte Kalbe am Mittwochvormittag. Chloride sind Salze, die an Gewässern oder durch Verkehr, Industrie entstehen. An der Stelle, wo das Brückenteil in der Nacht einbrach, habe ein Mast der Verkehrsbetriebe gestanden. Es sei denkbar, „dass an der Stelle massiv die Chloride eingedrungen sind und dort im Inneren der Brücke zu einer Korrosion der Bewehrung geführt haben“, sagte Kalbe. Massivbauexperte Manfred Curbach von der TU Dresden vermutet, dass „eine unglückliche Verkettung von mehreren Ursachen“ dazu führte. Auch die extreme Hitze könnte eine Rolle gespielt haben. Momentan sind das alles Hypothesen. „Ich schätze, das man eine niedrige Wochenzahl benötigt, um alles, was man sieht, zusammenzubringen.“

In welchem Zustand befand sich die Carolabrücke?

Die Carolabrücke befand sich mitten in der Sanierung. Das spiegeln auch die Noten des jüngsten Brücken-TÜVs wider. Demnach wurde der Zustand des sanierten, elbaufwärts liegenden Brückenzugs mit befriedigend (2,0-2,4) bewertet, die Mitte (von 2021 vor der Sanierung) als ausreichend (2,5-2,9). Elbabwärts, also dort, wo sich das Unglück ereignete, erhielt der Zustand der Brücke beim letzten TÜV 2021 die Bewertung „nicht ausreichend (3,0-3,4)“. Diese Zustandsnote bedeutet, dass die Standsicherheit der Brücke beeinträchtigt ist. Eine „umgehende Instandsetzung“ ist dann laut Norm erforderlich. Die Note alleine sei jedoch keine Veranlassung, eine Brücke sofort zu sperren, sagt Massivbauexperte Curbach. Die Carolabrücke sei „intensiver untersucht und überwacht“ als dies dem Mindest-Brücken-TÜV entspreche. Nur, wenn die Risse größer werden, greife man zu härteren Maßnahmen. Jedes Jahr werde die Brücke zweimal besichtigt.

Die Bagger sollten ab Anfang 2025 auf dem elbabwärts liegende Brückenzug mit Fußweg und Straßenbahnstrecke ausrücken. Bis Mitte 2021 war der erste, elbaufwärts liegende Brückenzug der 1971 fertiggestellten Carolabrücke saniert worden, von Oktober 2022 bis November 2023 der mittlere Zug.

Bereits 2023 teilte die Stadt in einer Stadtratsanfrage mit, dass an der Brücke bei einer Prüfung im Jahr 2021 „maßgebende Schäden“ festgestellt worden sind. So gebe es eine freiliegende, korrodierende Stahlbewehrung an der Hohlkastenunterseite, eine freiliegende korrodierende Bewehrung an den Gesimsen und die Dichtung im Gleisbereich sei beschädigt. Außerdem gab es Risse.

Die Stadt hatte den Stadtrat im Februar um Haushaltsmittel für die Sanierung des Brückenzugs C, also des betroffenen Teils, gebeten: „ohne die Instandsetzung sind irreversible Schäden an den Tragstrukturen der Brücke zu erwarten, welche einen Ersatzneubau zur Folge hätten“, hieß es darin. Der Stadtrat bewilligte die Bereitstellung der Mittel im Haushalt. Die Stadt wollte für die Arbeiten rund 5,8 Millionen Euro investieren. Auch die Nossener Brücke und das Blaue Wunder haben eine Note zwischen 3,5 und 4,0 erhalten. Ein Brückenkollaps drohe da aber nicht, sagt Curbach.

Wie oft müssen Brücken überprüft und gewartet werden?

Brücken werden nach der DIN 1076 durch speziell ausgebildete Prüfer inspiziert. Mindestens einmal jährlich ist eine Sichtprüfung vorgeschrieben, alle drei Jahre eine einfache und nach sechs Jahren eine Hauptprüfung. Beim landläufig als Brücken-TÜV bezeichneten Verfahren werden Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit ausgewertet und zu einer Zustandsnote von 1 (sehr guter Zustand) bis 4 (ungenügender Zustand) zusammengefasst.

Wer haftet eigentlich für Schäden an der Brücke?

Für die Sicherheit der Brücken ist der deutschen Ingenieurkammer zufolge der sogenannte Baulastträger, in diesem Fall also die Stadt zuständig. Demnach haften die Baulastträger und die beteiligten öffentlichen Stellen für Schäden.

Die Verantwortung für die Bewertung der Prüfergebnisse liegen bei der zuständigen Straßenbaubehörde beziehungsweise bei der Stelle, die den Auftrag erteilt hat. Das gilt erst recht für die Maßnahmen: Also für eine Sperrung oder eine Lastbeschränkung eingeführt wird – das war bei der Carolabrücke nicht der Fall. Die Stadt arbeite nun mit Hochdruck, erklärt Oberbürgermeister Dirk Hilbert: „Parallel dazu gilt es, die Ursachen zu finden und Szenarien zu entwickeln, wie es jetzt an der Carolabrücke weitergehen wird.“ Die Polizei gehe bislang von einem Unglück aus. Hinweise auf Fremdeinwirkung gebe es bisher nicht. Da niemand verletzt ist, hat die Polizei keinen Anlass, ein Strafverfahren einzuleiten.

Wie häufig kommen solche Einstürze von Brücken in Deutschland vor?

Für großes Aufsehen sorgte der Brückeneinsturz in Genua am 15. August 2018. Die Autobahnbrücke war 40 Meter in die Tiefe gestürzt. Dabei gab es 43 Tote. Massivbauexperte Manfred Curbach hatte damals gesagt, dass er die Wahrscheinlichkeit als äußerst gering einschätze, dass so etwas in Deutschland passiert. „Wir gehen von einer Versagenswahrscheinlichkeit von zehn hoch -6 aus. Das ist sehr, sehr wenig“, sagte er am Mittwoch. Extremes Beispiel ist der Einsturz einer Rheinbrücke bei Koblenz 1971 gewesen, wo ein Stabilitätsversagen vorlag, das kein Mensch bis dato kannte.

Was passiert jetzt mit der Carolabrücke?

„Das Bauwerk muss man heute unter komplett einsturzgefährdet verbuchen“, sagt Steffen Marx, Professor vom Institut für Massivbau an der TU Dresden. Besondere Gefahr besteht für den Teil der Brücke, der sich auf der stromabwärtigen Seite über dem Elberadweg und dem Terrassenufer befindet. Für diesen Brückenteil gelte derzeit „akute Einsturzgefahr“. Um den Rest der Brücke vor dem Einstürzen zu bewahren, sollen nun Stützen unter die Brücken gestellt werden. So soll unter anderem sichergestellt werden, dass der Rest der Brücke nicht einstürzt, wenn das Mittelteil der Brücke aus der Elbe geholt wird.

Wie lange dauert die Sanierung?

„Wir reden über Wochen, was die Beseitigung des eingestürzten Teils anbelangt“, so Marx. Laut dem Professor wird die Brücke über Monate nicht befahrbar sein. Jeder, der unter oder auf die Brücke gehe, begebe sich „in Lebensgefahr“, fügt Michael Klahre von der Dresdner Feuerwehr hinzu.

Das Technische Hilfswerk will heute Nacht mit Abstützarbeiten beginnen und hat bereits Messpunkte installiert. Sie sollen die Einsatzkräfte alarmieren, sollte sich die Brücke bewegen. Bund und Länder haben Hilfe beim Aufbau der Brücke angeboten.

Wie viele sanierungsbedürftige Brücken gibt es in Deutschland?

Zwischen 4.000 und 6.000 Brücken sind in Deutschland sanierungsbedürftig. „Wir sanieren langsamer, als die Brücken altern, wir leben quasi auf Verschleiß“, sagt Professor Curbach. Im Moment werden ihm zufolge rund 200 Brücken pro Jahr neu gebaut oder saniert. Eh alle Brücken saniert sind, dauert das mindestens 20 Jahre. Er fordert deshalb mehr Forschungsgelder, um effizientere Verfahren für die Sanierung zu entwickeln. Curbach hat den leichten Carbonbeton entwickelt, der auf dem sanierten Brückenabschnitten zum Einsatz kam.

Im Podcast "Thema in Sachsen" spricht der TU-Professor und Leiter des Instituts für Massivbau über das Unglück und den Zustand von Deutschlands Brücken. Mehr dazu: Droht Deutschland der Brückenkollaps?