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Eingestürzte Carolabrücke in Dresden: "Diese Brücke ist mein Lebenswerk"

Witlof Riedrich hat als Oberbauleiter viel Herzblut in den Bau der Carolabrücke gesteckt. Er erinnert sich auch daran, wie schwierig es war, den schlanken Brückenzug mit der Straßenbahntrasse zu errichten.

Von Peter Hilbert
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"Viel Herzblut": Spannglieder und Stahlbewehrung der Carolabrücke sind im Juli 1970 verlegt. Hier wird noch einmal bei einer Abnahme ein prüfender Blick darauf geworfen.
"Viel Herzblut": Spannglieder und Stahlbewehrung der Carolabrücke sind im Juli 1970 verlegt. Hier wird noch einmal bei einer Abnahme ein prüfender Blick darauf geworfen. © Straßen- und Tiefbauamt Dresden

Dresden. Der Dresdner Witlof Riedrich ist schockiert. Der elbabwärts liegenden Brückenzug mit der Straßenbahntrasse ist in der Nacht zum Mittwoch eingestürzt. Eigentlich sollte er ab Anfang kommenden Jahres als letzter der drei Brückenzüge des 1971 fertiggestellten Bauwerks sanieren werden.

"Die Carolabrücke ist mein Lebenswerk", sagt Witlof Riedrich. "Da habe ich viel Herzblut reingesteckt". Tatsächlich ist die rund 400 Meter lange Spannbetonbrücke unter Leitung des heute 88-jährigen Dresdners gebaut worden. Der damalige Oberbauleiter weiß, dass es jetzt erst mal am wichtigsten ist, die Elbe wieder freizubekommen und über die weiteren Schritte nachzudenken.

Ein Gespräch unter Fachleuten im September 2020. Witlof Riedrich (l.) führte als Oberbauleiter die Arbeiten an der 1971 fertiggestellten Carolabrücke. Thomas Börner vom Straßenbauamt war Projektleiter bei der Sanierung des elbaufwärts liegenden Brückenzug
Ein Gespräch unter Fachleuten im September 2020. Witlof Riedrich (l.) führte als Oberbauleiter die Arbeiten an der 1971 fertiggestellten Carolabrücke. Thomas Börner vom Straßenbauamt war Projektleiter bei der Sanierung des elbaufwärts liegenden Brückenzug © René Meinig
Oberbauleiter Witlof Riedrich am 10. Juni 1971: Die moderne Carolabrücke kann feierlich übergeben werden. In den Bau der Spannbetonbrücke hatte der heute 88-jährige Dresdner viel Herzblut gesteckt. Er hatte den Bau ab 1968 geleitet.
Oberbauleiter Witlof Riedrich am 10. Juni 1971: Die moderne Carolabrücke kann feierlich übergeben werden. In den Bau der Spannbetonbrücke hatte der heute 88-jährige Dresdner viel Herzblut gesteckt. Er hatte den Bau ab 1968 geleitet. © SLUB/Deutsche Fotothek / Erich Höhne

Der Auftakt: Brücken-Gelenke bringen die Lösung

1967 begannen die ersten Erschließungsarbeiten an dem Bauwerk. Es entstand in dem Bereich, wo die 1945 zerstörte und bis 1952 abgebrochene Königin-Carola-Brücke stand. Benannt wird der Neubau damals nach Dr. Rudolf Friedrichs, dem ersten Dresdner Oberbürgermeister und ersten sächsischen Ministerpräsidenten nach dem Zweiten Weltkrieg.

Für den damaligen Chefingenieur Eckhart Thürmer war es eine besondere Herausforderung, ein schlankes Bauwerk zu planen, durch das wie gefordert der Blick aus Richtung Albertbrücke zur Altstadt erhalten bleibt. Letztlich kam er mit seinen Planern auf eine völlig neue Idee. Eine so schlanke Konstruktion wurde nur möglich, weil drei Gelenke aus Gussstahl in den Brückenzügen eingebaut wurden.

"Im April 1968 war ich als Oberbauleiter dazu gestoßen", erinnert sich Riedrich heute. Als erster der drei Brückenzüge wurde damals der elbabwärts liegende Zug mit der Straßenbahnstrecke gebaut. Durch die geringe Dicke des Überbaus zwischen 1,60 und 5,20 Metern war es nicht möglich, eine durchgehende Spannbetonbrücke zu bauen. Es mussten einzelne Abschnitte errichtet werden.

"1968 haben wir angefangen, den Überbaukörper auf der Altstädter Seite herzustellen", erklärt Riedrich. Die Spannbetonkonstruktion mit ihrem Hohlkasten überspannt auf 80 Metern das Terrassenufer und ragt hinter dem Pfeiler zwölf Meter über die Elbe hinaus. "Mit Hydraulikpressen erhielten die jeweiligen Bündel von Stahllitzen letztlich eine Spannung von 100 Tonnen", sagt der frühere Oberbauleiter. 1969 war das geschafft.

Parallel dazu entstand das insgesamt 136 Meter lange Neustädter Pendant. Zwischen den beiden Pfeilern ist es 80 Meter lang. "Der Spannbetonbau ragt jedoch 44 Meter in den Bereich der Elbe hinein", beschreibt Riedrich die Besonderheit.

Das Mittelteil: Besonderer Aufwand vorm Absenken

So klaffte 1969 noch eine 60 Meter lange Lücke in der Brückenmitte. Auf einem Gerüst errichtete man den sehr schlanken Baukörper. "Allerdings gab es eine Herausforderung", beschreibt der Ex-Oberbauleiter den nächsten Schritt. Zum Schluss sollte der rund 600 Tonnen schwere Baukörper mit Hydraulikpressen auf die Gelenke zwischen den Brückenteilen abgesenkt werden.

"Bei der schon ein Jahr zuvor vorgespannten Hohlkonstruktion auf der Neustädter Seite bestand aber die Gefahr, dass sie sich nach oben wölbt", sagt Riedrich. "Um diese Verformung zu vermeiden, haben wir 300 Tonnen Splitt in den Hohlkasten gefüllt." Ein Kraftakt. Schließlich mussten dafür rund 60 Fuhren mit Fünf-Tonnen-Lkws herangeschafft werden. Das Mittelteil, der sogenannte Einhängeträger, wurde letztlich mit den Hydraulikpressen auf die Gelenke abgesenkt. Alles passte.

Ein Blick ins Innere des jetzt eingestürzten Brückenzugs der Carolabrücke im April 1968. Hier bauen Eisenflechter die Stahlbewehrung im sogenannten Hohlkasten der Brücke ein.
Ein Blick ins Innere des jetzt eingestürzten Brückenzugs der Carolabrücke im April 1968. Hier bauen Eisenflechter die Stahlbewehrung im sogenannten Hohlkasten der Brücke ein. © Archiv Straßen- und Tiefbauamt Dresden

Die Konsequenz: Brückenteil mit Spannstählen befestigt

Beim ersten Brückenzug lernen die Bauleute damals viel. Die Gerüste auf beiden Seiten werden seitlich verschoben, sodass zuerst der mittlere und zum Schluss der elbaufwärts liegende Brückenzug gebaut wird. Die 300-Tonnen-Füllung der Hohlkästen auf der Neustädter Seite ist jedoch nicht mehr nötig. "Es gab einen Vorschlag, Spundwände in die Elbe zu rammen und den über den Pfeiler auskragenden Neustädter Brückenteil mit Spannstählen zu verankern", erklärt Riedrich Jahrzehnte später. Das Ziel: So kann sich die Spannbeton-Konstruktion vorm Einheben des Mittelteils nicht nach oben wölben.

Das Finale: Millimeterarbeit für Gleishöcker

Beim Überbau des ersten, elbabwärts liegenden Brückenzugs mit der Straßenbahntrasse stand Riedrichs Team damals vor einer besonderen Herausforderung. "Weil der Brückenzug so schlank ist, konnten die Straßenbahngleise nicht wie bei anderen Brücken im Schotterbett verlegen", erklärt der frühere Oberbauleiter. "Dafür wurde eine neue Methode entwickelt." Zuerst wurde die Oberfläche mit Epoxidharz beschichtet. Zur Verankerung des Gleise kamen dann Bolzen. "Da hatten wir erhebliche Probleme, um die Stahlbewehrung des Brückenkörpers nicht zu beschädigen."

Schließlich bauen sie damals Höcker aus Epoxidharz, auf denen die Gleise liegen. Denn Betonschwellen, wie sonst üblich, gibt es nicht. Die Höcker müssen äußerst belastbar sein. "Das war Millimeterarbeit. Schließlich musste alles ganz genau passen", sagt der Bauchef. "Die Vermesser waren ständig vor Ort." Außerdem wird ein langes, mit Folien verkleidetes Schutzgerüst über diesem Brückenzug gebaut. Mithilfe von Heizlüftern trocknet das Epoxidharz. Ist ein Gleisabschnitt fertig, kann das fahrbare Schutzgerüst zum nächsten verschoben werden.

Im Juni 1971 wird die Brücke schließlich wie geplant übergeben. "Geschafft haben wir das nur, weil sich alle Mitarbeiter so stark engagiert und voll mitgezogen haben", sagt Riedrich. Später baut er noch weitere Brücken, steigt zum Technischen Direktor des Brückenbau-Betriebs im Autobahnbaukombinates auf und leitet nach der Wende die Dresdner Niederlassung der Alpine Bau, bis er im Jahr 2000 in den Ruhestand geht. Die Carolabrücke wird etwas Einzigartiges für ihn bleiben.

Unter diesem mit Folien verkleideten Schutzgerüst werden die Dichtungen und die Höcker, auf denen die Gleise verlegt werden, hergestellt.
Unter diesem mit Folien verkleideten Schutzgerüst werden die Dichtungen und die Höcker, auf denen die Gleise verlegt werden, hergestellt. © Horst Köhler
Das Lehrgerüst am Altstädter Ufer steht im März 1968. Auf ihm wird der Überbau errichtet.
Das Lehrgerüst am Altstädter Ufer steht im März 1968. Auf ihm wird der Überbau errichtet. © Archiv Straßen- und Tiefbauamt Dresden
Polier Günther Krell (l.) mit Oberbauleiter Witlof Riedrich vor der neuen Carolabrücke.
Polier Günther Krell (l.) mit Oberbauleiter Witlof Riedrich vor der neuen Carolabrücke. © Klaus Dauberschmidt
Die Elbquerung wächst. In der Mitte ist noch die „Hängebrücke“ zu sehen, die den Bauleuten als Zugang diente. Jetzt muss im Brückenzug für die Straßenbahntrasse nur noch das Mittelteil eingebaut werden.
Die Elbquerung wächst. In der Mitte ist noch die „Hängebrücke“ zu sehen, die den Bauleuten als Zugang diente. Jetzt muss im Brückenzug für die Straßenbahntrasse nur noch das Mittelteil eingebaut werden. © Archiv Straßen- und Tiefbauamt Dresden