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Reaktionen auf Neubauer-Rücktritt: Wunsch nach Ende "verbaler Scharfmacherei"

Dirk Neubauer ist der einzige von Sachsens Landräten, der nicht auf CDU-Ticket ins Amt kam. Jetzt wirft er nach nur zwei Jahren hin. Das sind die Reaktionen.

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Der Landrat des Kreises Mittelsachsen, Dirk Neubauer (parteilos), tritt zurück.
Der Landrat des Kreises Mittelsachsen, Dirk Neubauer (parteilos), tritt zurück. © Archivbild: Dietmar Thomas

Berlin/Dresden/Freiberg. Es waren Worte, die aufrütteln. Wie "Freiwild" würden Politikerinnen und Politiker teils behandelt, sagte der sächsische Landrat Dirk Neubauer im Video zur Begründung seines Rückzugs. Er sei seit Monaten konfrontiert worden mit Anfeindungen und fehlenden Durchsetzungsmöglichkeiten.

Seine Amtszeit wäre noch bis 2029 gelaufen. Der gelernte Journalist war 2022 gewählt worden - als einziger Landrat in Sachsen, der nicht der CDU angehört oder von der Union unterstützt wird. Seine Kandidatur war von SPD, Linke und Grünen unterstützt worden. Das sind die Reaktionen aus der Politik und Gesellschaft:

Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne):

"Unsere Demokratie ist nicht möglich, ohne die, die anpacken, damit der Laden läuft", sagte die grüne Spitzenpolitikerin Katrin Göring-Eckardt. Sie forderte ein "parteiübergreifendes Stoppschild und den gemeinsamen Aufruf zur Umkehr, zu mehr Respekt und Anstand miteinander". Sie wünsche dem Land "ein Ende der verbalen Scharfmacherei, die im anonymen Netz zur digitalen Anfeindung wird und auf den Straßen zu körperlicher Gewalt".

Deutscher Landkreistag:

Der Verband warnte vor Verallgemeinerungen. "Es ist kein durchgängiges Phänomen, dass Landrätinnen und Landräte in Deutschland bedroht werden", sagte Verbandspräsident Reinhard Sager. Grundsätzlich funktioniere die Arbeit in den Landkreisen gut, und man könne auch gestalten. Allerdings räumt auch Sager ein, es würden in der Kommunalpolitik "mehr oder weniger alle auch mit polemischer Kritik konfrontiert, auch mit anonymen Beleidigungen".

Matthias Kretschmer, Landesvorsitzender des Katholischen Arbeitskreises und ständiger Gast im Vorstand der sächsischen Christdemokraten:

Aus der sächsischen CDU kamen bislang kaum Reaktionen auf Neubauers Rücktritt. Mit einer Ausnahme: Mathias Kretschmer reagierte auf Instagram mit den Worten, es sei „nicht die Zeit für täglichen Murks und schönem Gerede“. Der in Bockelwitz in Neubauers Landkreis Mittelsachsen lebende Kretschmer interpretierte den Rücktritt zudem als „parteilos, planlos, ratlos … und nun sein Amt los“.

Neubauer reagiert prompt auf X: „Keine Zeit für täglichen Murks? Dann lieber Mathias Kretschmer machen Sie doch was anderes. Dann könnte es sein, dass eine CDU es wieder schafft, klare Linien, Zukunftsziele und eine klare Haltung gegen rechte Wirrköpfe zu generieren. Wer hat denn all die Jahre die Augen verschlossen, Kommunen ausgeblutet und aus Sachsen eine Art Königreich gemacht? Bei allem Respekt. Das war nicht ich.“

Petra Köpping, SPD-Spitzenkandidatin zur Landtagswahl, Sozialministerin in Sachsen

"Es macht mich fassungslos, wie hier ein Landrat zermürbt wurde. Ich kann gut verstehen, wie Dirk Neubauer sich fühlt. Wir müssen als Gesellschaft insgesamt überlegen, wie wir mit unseren gewählten Verantwortungsträgern umgehen. Wir sind alle Menschen. Wir alle ertragen den Hass und die Spaltung nur bis zu einem gewissen Grad. Wir sind hier wieder an einem Punkt, wo allen Demokraten dringend klar sein muss, was hier auf dem Spiel steht."

Henning Homann, Co-Vorsitzender der SPD Sachsen

“Der Rücktritt von Dirk Neubauer ist menschlich nachvollziehbar. Das sage ich auch als jemand, der Dirk Neubauer durch viele Höhen und Tiefen begleitet hat und selbst in Mittelsachsen wohnt. Dirk Neubauer muss Bedrohungen bis ins Private hinein erdulden. Wir warnen als SPD seit langem davor. Der Überfall auf Matthias Ecke und viele andere war kein Zufall. Das ist eine Zermürbungsstrategie der radikalen Rechten. Und hier hilft keine Pädagogik, sondern nur ein harter Rechtsstaat. Das Bagatellisieren muss aufhören. Teile der CDU in Mittelsachsen haben die Wahl von Dirk Neubauer nie akzeptiert. Sie haben Schaden für den Landkreises in Kauf genommen, um Dirk Neubauer zu schaden. Politisch ist sein Rückzug eine Katastrophe. Es ist inzwischen unerträglich, wie mit Menschen umgegangen wird, die für ihre Stadt, ihren Landkreis, ihr Land etwas anpacken wollte.

Katja Meier, sächsische Justizministerin (Grüne)

"Mit dem Rückzug von Dirk Neubauer als Landrat des Kreises Mittelsachsen verliert die sächsische Kommunalpolitik einen leidenschaftlichen Demokraten. Er hat sich stets energisch gegen Hass, Hetze und Bedrohungen durch Rechtsextreme gestellt.

Seine Amtszeit war, wie die vieler anderer Kommunalpolitiker in Sachsen, von Einschüchterungen und politischem Stalking im privaten Umfeld geprägt. Diese massiven Angriffe schaden unserer Demokratie und müssen sowohl gesellschaftlich als auch rechtlich bekämpft werden. Es sollte uns alle in Sachsen nachdenklich stimmen, wenn sich engagierte Politiker wie Yvonne Magwas oder Dirk Neubauer aus dem politischen Leben zurückziehen."

Franziska Schubert, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag

"Dirk Neubauer geht. Ich verstehe ihn. Es gibt viele Gründe zu gehen - und viele, weiterzumachen. Danke für das Engagement, den Mut zu Visionen und Größerdenken, die Kraft für Widerspruch."

Anita Maaß, Vorsitzende der FDP Sachsen

"Die Anfeindungen von rechts sind generell problematisch und nicht hinnehmbar. Gerade deshalb dürfte ein Landrat als Wahlbeamter weder selbst politisch polarisieren, noch bei Gegenwind die Flinte ins Korn werfen."

Stefan Hartmann, Landesvorsitzender von Die Linke Sachsen und Marika Tändler-Walenta, Kreisvorsitzende von Die Linke Mittelsachsen:

"Wir respektieren die Entscheidung von Dirk Neubauer, sein Amt als Landrat niederzulegen. So sehr wir seine Gründe nachvollziehen können, so groß ist auch unsere Enttäuschung, dass es soweit gekommen ist. Dass Bedrohungen, bis vor die eigene Haustür, Politikerinnen und Politikern zum Rücktritt treiben, dürfen wir als Gesellschaft nicht hinnehmen. Es ist zudem ein Armutszeugnis für unsere Demokratie, wenn ein Landrat zum Schluss kommt, dass er außerhalb seines Amtes mehr bewirken könne."

Einen Monitoring des Bundeskriminalamts zufolge haben 38 Prozent von mehr als 1.700 befragten kommunalen Amtspersonen in Deutschland zwischen November 2022 und April 2023 Anfeindungen erlebt. Gut ein Viertel davon seien Hasspostings, mit steigender Tendenz, heißt es darin. Zwei Prozent seien tätliche Übergriffe. Nur einer von zehn Vorfällen werde angezeigt. (dpa/SZ mit fa/sca/uwo)