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Mittelsachsens Landrat Dirk Neubauer tritt zurück: "Ich gebe auf, weil zu viele den Mund halten"

Mittelsachsens Landrat will sich und sein Umfeld nicht länger Anfeindungen aussetzen und stellt sein Amt zur Verfügung. Er nutzt den Anlass für deutliche Worte an seine Mitbürger - und kritisiert Landes- und Bundesregierung.

Von Gunnar Klehm & Cathrin Reichelt
 6 Min.
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Zwei Jahre nach seiner Wahl kündigt Mittelsachsen Landrat Dirk Neubauer seinen Rückzug an.
Zwei Jahre nach seiner Wahl kündigt Mittelsachsen Landrat Dirk Neubauer seinen Rückzug an. © Screenshot: SZ

Mittelsachsen. Dirk Neubauer tritt als Landrat Mittelsachsens zurück. Das hat er am Dienstagnachmittag auf seinem privaten Youtube-Kanal erklärt. "Ich gebe auf, weil da draußen zu viele den Mund halten", erklärte er. Vor wenigen Tagen ist er aus seinem Sommerurlaub zurückgekehrt. "Davor war ich in Gefahr, ernsthaft krank zu werden", erklärte Neubauer. Mehr als 500 Internetnutzer schalteten sich live bei seiner Erklärung zu.

Heftige Kritik übte er an Landes- und Bundespolitik. Beide seien nicht sehr hilfreich bei der Lösung der Probleme. Die Finanzierung der kommunalen Haushalte sei nicht mehr gegeben, um handlungsfähig für alle Bürger zu sein.

In einem Interview für die Sendung "Fakt", die heute Abend im ARD-Fernsehen laufen wird, antwortete Neubauer bereits auf Nachfrage des Moderators, ob er trotz allen gerade besprochenen Problemen weitermache: „Ich denke, ich höre auf, ja“.

Angesichts der übergroßen Bürokratie sei es aus seiner Sicht effizienter, "von außen auf das politische System einzuwirken, so absurd es klingen mag". Neubauer erfuhr zuvor auch zahlreiche Anfeindungen insbesondere von den als rechtsextrem eingestuften Freien Sachsen. Das spiele bei seiner Entscheidung aber keine Rolle, erklärte er. "Was mich umtreibt, ist nicht meine persönliche Sicherheitssituation", damit könne er umgehen, erklärte er für die Fakt-Sendung, die bereits online abrufbar ist.

Neubauer fehlt das "Wir". Schulterklopfer seien schön, reichten aber nicht aus, etwas zu bewegen. Psychisch bezeichnete er sich zuletzt als angeschlagen. In der Videobotschaft war davon nichts zu merken. Neubauer wirkte aufgeräumt und erholt.

Er wisse, dass sich jetzt Menschen freuen würden und das einige enttäuscht sein werden. "Es wird viel Häme geben, aber ich erhalte meine Unabhängigkeit", sagte er. Er bedankt sich bei allen, die ihn unterstützt haben und entschuldigte sich bei denen, die er nun enttäuscht hat.

Ministerin bedauert Verlust

Als eine der ersten meldete sich Sachsens Justizministerin Katja Meier zu Wort. Die sächsische Kommunalpolitik verliere nun einen leidenschaftlichen Demokraten. „Es sollte uns alle in Sachsen nachdenklich stimmen, wenn sich engagierte Politiker aus dem politischen Leben zurückziehen“, erklärte Meier. Die massiven Angriffe auf ihn schadeten der Demokratie und müssten rechtlich und auch gesellschaftlich bekämpft werden. Mit seinem Rückzug verliere die sächsische Kommunalpolitik "einen leidenschaftlichen Demokraten".

Henning Homann, Co-Vorsitzender der SPD in Sachsen, erklärte: „Dirk Neubauer muss Bedrohungen bis ins Private hinein erdulden. Wir warnen als SPD seit Langem davor. Der Überfall auf Europaabgeordneten Matthias Ecke und viele andere war kein Zufall. Das ist eine Zermürbungsstrategie der radikalen Rechten“.

„Es ist zudem ein Armutszeugnis für unsere Demokratie, wenn ein Landrat zu dem Schluss kommt, dass er außerhalb seines Amtes mehr bewirken könne“, erklärte Stefan Hartmann, Landesvorsitzender der Linkspartei in Sachsen.

Bürokratiemonster und Überregulierung

Mit knapp 56 Prozent der Stimmen war Dirk Neubauer erst vor zwei Jahren, am 3. Juli 2022, im zweiten Wahlgang zum Landrat des Landkreises Mittelsachsen gewählt worden. Das Ergebnis hatte sich bereits im ersten Wahlgang abgezeichnet und war nun eindeutig. In 52 von 53 Kommunen hatte er gewonnen. Damit war Neubauer nach vier CDU-Landräten der erste Parteilose. Er wollte neue, andere Wege gehen, als seine Vorgänger.

Nun sei er mehr als ernüchtert, was man im Amt bewegen könne. Er spricht in der TV-Sendung von "erdrückender Papierflut" von "Bürokratiemonstern, Überregulierungen und Schnappatmung". Die Wähler würden es auch eher nicht danken, wenn jemand versuche, neue Wege zu gehen. Und in dieser Situation heiße es, konsequent, also ehrlich zu sein.

Er habe die Erkenntnis gewonnen, "dass wir in den derzeitigen sozialen Systemen und mit den Instrumenten in diesem politischen Orbit, vom Bund bis zur Kommunalebene nicht in der Lage sind, unser Probleme zu lösen. Wir sind nicht in der Lage, die Antworten auf die wirklichen Fragen unserer Zeit zu geben."

80-Stunden-Woche und doch vertane Zeit

Er habe 80-Stunden-Wochen und merke, es gehe nicht vorwärts. Es sei vertane Zeit. Leute wie er würden hierzulande "verprellt". Man komme in diesem Land nur in Gefahr, wenn man etwas wolle, nicht, wenn man nichts wolle.

Persönliche Bedrohung könne er aushalten, sagte Neubauer und bezog sich dabei auf den Wegzug aus seinem Heimatort Hohenfichte. Zu dem hatte er sich vor einiger Zeit zum Wohle seiner Nachbarn entschlossen, nachdem sein Haus mehrfach von Freien Sachsen belagert worden war.

Was er nicht aushalten könne, sei "der Irrsinn, den wir im politischen System abbilden, das tägliche gegen Sachverstand und Logik zu arbeiten", so der Landrat. Problematisch sei, dass es in Kreistagen und Kommunalparlamenten keine Mehrheiten gebe für sinnvolle Dinge, nur weil sie schwierig seien. "Wenn wir so weitermachen, bleiben wir stehen." Und Stillstand sei die schlechteste aller Ideen.

Wie der Rückzug jetzt abläuft

Dass der Rückzug noch nicht bis ins Detail durchdacht ist, zeigt die Tatsache, dass Neubauer sagte, dass er dem Landkreis noch ein paar Monate erhalten bleiben werde, „bis zur Neuwahl“. Bereits in der konstituierenden Sitzung des Kreistags am 14. August, der ersten nach der Kommunalwahl vom 9. Juni, soll es Beschlüsse zum weiteren Verfahren geben. Dass das unter der Regie von Dirk Neubauer passiert, dürfte unwahrscheinlich sein. Seine Ankündigung an sich reicht für einen Rücktritt auch nicht aus. Einen „Rücktritt“ sieht das Gesetz nicht vor.

Das Verfahren bei Wahlbeamten sieht vor, dass er einen Antrag auf Entlassung aus dem Amt bei der Landesdirektion Sachsen stellen kann. Den Antrag muss er zwar nicht begründen, allerdings einen Termin nennen, zu dem er entlassen werden möchte. Ein solcher Antrag liegt der Landesdirektion auf Nachfrage aber nicht vor.

Sollte das der Fall sein und ein Termin genannt sein, übernimmt von diesem Tag an der 1. Beigeordnete die Amtsgeschäfte. Das ist Lothar Beier von der CDU. Das jedoch maximal für sechs Monate. In dieser Zeitspanne muss es einen Termin für eine Neuwahl des Landrats geben.

Einen vergleichbaren Fall gab es in Sachsen 2020. Da war der Landrat des Landkreises Meißen, Arndt Steinbach (CDU), vorzeitig aus dem Amt geschieden und kommissarisch Beigeordnete Janet Putz übernahm. Sich völlig aus der Politik verabschieden, werde er sich nicht. Er werde auch weiter mit seinem Projekt „Denkwerk Ost“ aktiv sein.