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Drogen-Experte warnt: „Bereits zwei Milligramm Fentanyl sind tödlich“

Wer nichts mit Drogen zu tun hat, kann sich oft weder die Namen merken noch vorstellen, was diese bewirken. Fachleute werden nicht müde, aufzuklären.

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Göran Michaelsen ist Chefarzt der Soteria Klinik Leipzig für Suchtrehabilitation. Diese ist am Helios Park-Klinikum Leipzig angesiedelt. Geschäftsführer dort ist genau wie an der Helios-Klinik in Leisnig Julian Zimmer.
Göran Michaelsen ist Chefarzt der Soteria Klinik Leipzig für Suchtrehabilitation. Diese ist am Helios Park-Klinikum Leipzig angesiedelt. Geschäftsführer dort ist genau wie an der Helios-Klinik in Leisnig Julian Zimmer. © Helios Kliniken GmbH)

Leipzig/Leisnig. Fentanyl als neue Modedroge ist ein Phänomen, das zuerst in den USA aufkam. In den sozialen Medien verbreiteten sich Bilder der benommenen, schwankenden und teilweise bewusstlosen Drogenkonsumenten in den Straßen von Los Angeles rasend schnell.

Inzwischen ist die Droge laut einer Studie der Deutschen Aidshilfe (DAH) auch in Deutschland angekommen: So wurden im Jahr 2023 bereits 3,6 Prozent von 1.401 Heroin-Proben positiv auf eine Beimengung von Fentanyl getestet.

Göran Michaelsen ist Chefarzt der Soteria Klinik für Suchtrehabilitation am Helios Park-Klinikum Leipzig. Er erklärt im Interview, wie die Droge wirkt und wie er die Situation in Deutschland einschätzt.

Herr Michaelsen, was ist Fentanyl?

Göran Michaelsen: Fentanyl ist ein chemisch hergestelltes Schmerz- und Betäubungsmittel, das bei sehr starken oder chronischen Schmerzen und bei Narkosen zum Einsatz kommt. In der Klinik wird es beispielsweise eingesetzt, wenn Tumorpatienten austherapiert sind und im Rahmen der Palliativmedizin möglichst schmerzfrei zum Lebensende begleitet werden sollen.

In leichterer Form wird Fentanyl auch als Pflaster verschrieben, das bei chronischen Schmerzen eingesetzt werden kann. Wie bei jedem Medikament wird die Dosierung im Mikrogramm-Bereich individuell auf Alter, Körpergewicht, körperlichen Zustand, Erkrankungen und Begleitmedikation des Patienten abgestimmt.

Wie wirkt Fentanyl im Körper?

Fentanyl dämpft Schmerzen, beruhigt und kann Glücksgefühle auslösen. Im Körper werden dazu Herzschlag, Atmung, Blutdruck und Verdauung heruntergefahren. Fentanyl wirkt wie viele andere Opioide, aber wesentlich stärker: Es ist etwa 50 Mal stärker als Heroin und 100 Mal stärker als Morphin. Diese enorme Wirkstärke in Kombination mit dem als positiv erlebten Effekt führt dazu, dass es als Rauschmittel missbraucht wird.

Welche Ihrer Patienten könnten zu Fentanyl greifen?

Nach meiner Erfahrung lassen sich die Menschen, die Fentanyl konsumieren, grob in drei Gruppen einteilen: Medikamentenabhängige, die Fentanyl ursprünglich einmal verordnet bekommen hatten und davon süchtig wurden. Heroinabhängige, die Fentanyl als kostengünstigere Ersatzdroge nutzen oder Heroin beimischen.

Und Mehrfachabhängige, die eine breite Palette an Suchtmitteln konsumieren und auch auf Fentanyl zurückgreifen, wenn es verfügbar ist. Welche Drogen genommen werden, ist regional sehr unterschiedlich: Das hat zum einen mit Modeerscheinungen zu tun, aber auch mit den Vertriebsmechanismen und der Verfügbarkeit am Wohnort der Abhängigen.

Welches Risiko bringt der Missbrauch von Fentanyl mit sich?

Bereits zwei Milligramm Fentanyl können tödlich sein. Es gibt Hinweise dafür, dass Fentanyl in Deutschland zunehmend anderen Drogen wie Heroin beigemengt wird, ohne dass es den Konsumenten bewusst ist. Damit steigt die Gefahr einer Überdosis.

Hinzu kommt, dass Fentanyl durch seine euphorisierende, aber verhältnismäßig kurze Wirkdauer von 30 bis 60 Minuten ein großes Suchtpotential entfaltet. In Kombination mit anderen Drogen wie Alkohol oder Schlafmitteln besteht ein Risiko von Wechselwirkungen, die zu Koma oder Tod durch Atemlähmung führen können.

Wie schätzen Sie den Anstieg in Deutschland ein?

Natürlich hören ich und meine Kollegen ebenfalls davon, dass Fentanyl sich verstärkt ausbreiten soll. Wir haben immer schon vereinzelt Patienten, die – oftmals unter anderem – Fentanyl einnehmen. Ein dramatischer Anstieg spiegelt sich in unseren Patientenzahlen momentan noch nicht wider. Das kann aber auch daran liegen, dass eine Suchtrehabilitation natürlich das letzte Glied in der Kette ist. Zuerst tauchen Fentanyl-Abhängige in den Notaufnahmen und in Suchtberatungsstellen auf.

Welche präventiven Maßnahmen gibt es?

Um Medikamentenabhängigkeiten möglichst zu verhindern oder früh zu erkennen, ist es wichtig, dass die behandelnden Ärztinnen und Ärzte gut sensibilisiert sind. Wenn ein Patient beispielsweise eine fortwährende oder eine gesteigerte Therapie mit Fentanyl verlangt, obwohl es eigentlich keine medizinische Indikation mehr gibt, ist das ein Alarmsignal. Auch das sogenannte Ärzte-Hopping, bei dem Patienten bei immer neuen Arztpraxen nach Rezepten fragen, ist ein typischer Hinweis.

Wie sieht es bei den anderen Süchtigen aus?

Bei den anderen erwähnten Gruppen – die Heroinabhängigen und den Mehrfachabhängigen – sind die Präventationsmaßnahmen dieselben wie bei anderen Rauschmitteln, also beispielsweise frühzeitige Aufklärung an Schulen, in Jugendzentren, Sozialarbeit in Brennpunktvierteln und niederschwellige Beratungs- und Behandlungsangebote. Der Missbrauch von Opioiden ist kein neues Phänomen für die Suchtberatungsstellen. Die zunehmende Verbreitung von Fentanyl wird dort aufmerksam beobachtet.