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App in die Zukunft: Roßweiner Gerüstbauer setzen auf Handy statt Papier

Mit ihrer Azubi-App ist die Firma in ihrer Branche Vorreiter. Auch in allen anderen Bereichen des Unternehmens ist Digitalisierung kein Fremdwort mehr.

Von Lea Heilmann
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Marcus Muschke (l.) und Dirk Eckart von Gerüstbauer Gemeinhardt sind überzeugt, dass es kein Vorbeikommen an der Digitalisierung gibt. Mit ihrer Azubi-App wollen sie ihren Lehrlingen lästiges Ordner schleppen ersparen.
Marcus Muschke (l.) und Dirk Eckart von Gerüstbauer Gemeinhardt sind überzeugt, dass es kein Vorbeikommen an der Digitalisierung gibt. Mit ihrer Azubi-App wollen sie ihren Lehrlingen lästiges Ordner schleppen ersparen. © SZ/DIetmar Thomas

Roßwein. Drei große, unhandliche Ordner – für Gerüstbauer-Azubis sind die während der Ausbildung fester Bestandteil. Alle wichtigen Lerninhalte sind dort zu finden.

Doch wer schleppt freiwillig drei riesige und schwere Ordner die ganze Zeit mit sich rum? Das haben sich die Mitarbeiter der Gemeinhardt Service GmbH auch gefragt und entschieden, sie machen das anders.

Herausgekommen ist eine Azubi-App mit allen wichtigen Inhalten. „Fahrschulen arbeiten ja auch mit solchen Apps, mit denen man unterwegs lernen kann. Und ich dachte: Warum das nicht auch für die Ausbildung nutzen“, sagte Marcus Muschke, Projektleiter Ausbildung, zu der Grundidee. Im vergangenen Jahr haben die Azubis im Rahmen des Projekts Digiscout, die Fragen zusammengesucht und eine erste Version entwickelt. Da hatte jedoch der Ausbilder keinen Zugriff drauf, Muschke konnte nicht nachvollziehen, wie der Lernstand ist.

Schnell und einfach auf Lerninhalte zugreifen

Über den Dachdecker-Verband Berlin ist die Firma dann auf Moodle, eine Lernmanagement-Seite, gestoßen. Dort können nicht nur Fragebögen eingefügt werden, sondern auch Lerninhalte und Multiple-Choice-Tests. Auch Videos seien vorstellbar. Das Ganze funktioniert als webbasierte App.

Seit dem 1. September ist die Anwendung für die Azubis zugänglich, aktuell können sie diese noch freiwillig nutzen, perspektivisch soll sie aber ein fester Bestandteil in der Ausbildung werden. „Wichtig ist, dass die Azubis unterwegs darauf zugreifen können“, so Muschke weiter. Denn sie haben lange und häufige Fahrzeiten, nicht nur zur Baustelle, sondern auch zur Schule, die sich in Magdeburg befindet.

Die Idee klingt zeitgemäß, in einer Welt, in der immer mehr Prozesse digitalisiert werden. Als klar war, dass die App programmiert werden soll, richtete sich Gemeinhardt mit der Idee an die Gerüstbauer-Innung. Denn die Kosten fürs Programmieren sind hoch. So hätten sich mehrere Firmen daran beteiligen und die App selbst nutzen können.

Keine andere Gerüstbau-Firma wollte sich an App beteiligen

Aber niemand wollte. Rund 2.800 Gerüstbaubetriebe gibt es in Deutschland und scheinbar habe keiner ein Interesse daran, die Ordner abzuschaffen und den Azubis etwas Modernes an die Hand zu geben, sagte der geschäftsführende Gesellschafter Dirk Eckart und ergänzte: „Aber wir haben gesagt: Okay, wir ziehen das durch und bezahlen es auch. Wir haben dieses Jahr wieder fünf Azubis eingestellt. Das zeigt, dass wir am Zahn der Zeit sind.“ Und auch die Rückmeldung von den Azubis sei positiv, schon für die Ursprungsidee gab es viele gute Resonanzen.

„Der Digitalisierung kann man sich nicht mehr entziehen“, sagte Dirk Eckart. Bei Gemeinhardt seien so gut wie alle Bereiche digitalisiert: Die Bauakten, die Stundenerfassung, der Essensplan oder der Lohnnachweis, der nicht mehr als Brief zugestellt wird, sondern aus der Cloud abgerufen werden kann. In der Firma gebe es nicht eine einzige Bauakte aus Papier, so der Gesellschafter.

Die Vorarbeiter und Bauleiter sind mit Tablets ausgestattet. Änderungen der Bauakte können direkt vorgenommen werden, ohne ewiges Hin- und Herschicken von neuen Dokumenten, die eingefügt werden sollen. Die Kunden haben Zugriff auf ein Dashboard und die Zeitschiene des jeweiligen Projekts. „Da steht beispielsweise ‘Statik anfertigen‘. Wenn die Statik fertig ist, kriegt der Kunde eine Benachrichtigung, dass er in die Akte reinschauen soll. Dort kann er Wünsche äußern und direkt reinschreiben“, so Eckart. Er betonte aber auch, dass die digitalen Prozesse nicht zum Stellenabbau dienen. Sondern sie sollen den Mitarbeitern Zeit sparen, die sie wiederum für die Betreuung der Kunden nutzen können.

Unternehmen öffnen zum Gewerbefest ihre Tür

Auch neu dazu gekommen ist der KI-Chatbot auf der Website von Gemeinhardt. Dieser greift alle Seiten des Unternehmens ab, wie verschiedene Social Media-Plattformen, die Blogs und Internetseiten, die die Firma nutzt. Der Kunde kann dem Bot eine Frage stellen und erhält sofort eine Antwort. „So müssen unsere Kunden nicht erst googeln und sich durch die Seiten durchscrollen“, erklärte Eckart. Set 1. August ist der Chatbot online. Bisher hat er weit über 14.000 Anfragen, sagte er weiter. Eigentlich sollte er pünktlich zum Gewerbefest im Juni online gehen. Das wurde jedoch aufgrund des gewaltsamen Todes der neunjährigen Valeriia aus Döbeln, die zuvor mehr als eine Woche als vermisst galt, abgesagt.

Am Sonnabend wird das Gewerbefest aber nachgeholt und auch die offizielle Vorstellung des Bots. Von 10 bis 15 Uhr öffnen viele Unternehmen ihre Türen. Dazu wurden noch viele Gäste eingeladen: der Spielmannszug, der Boxverein, die Freiwillige Feuerwehr oder der Verein der Förderschule. „Die Leute sollen zeigen: Uns gibt es, wir haben Gewerke und ihr könnt auch gerne bei uns kaufen“, sagte Eckart. Neben dem Chatbot zeigt Gemeinhardt, wie eine Höhenrettung funktioniert, wenn jemand vom Gerüst fällt.

Alle teilnehmenden Firmen haben Führungen durch ihre Betriebe organisiert, und stellen ihre Produkte sowie Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten vor. Außerdem gibt es ein Kinderschminken, Zielspritzen mit der Jugendfeuerwehr, Job-Speed-Dating und Bienenhotels werden gebaut. Für das leibliche Wohl ist ebenso gesorgt. Auch in diesem Jahr gibt es wieder einen Shuttle-Service vom Markt ins Gewerbegebiet und zurück.

  • Roßweiner Gewerbefest: 21. September von 10 bis 15 Uhr, auf der „Goldenen Höhe“