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Wie ein Mann aus Niesky für die Musik des Ostens kämpft

Weil Peter Günther aus Niesky die Musik des Ostens in Radio und Fernsehen vermisst, feiert er sie eben selbst auf seiner Website und in Online-Sendungen.

Von Andy Dallmann
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Die ungarische Band Omega in den Siebzigern. Ihr größter Hit „Gyöngyhajú lány“ wurde mehrfach gecovert. Zuletzt baute ihn sogar Kanye West 2013 in seinen Song „New Slaves“ ein. Und ein Mann aus Niesky gehört bis heute zu den größten Fans der Band.
Die ungarische Band Omega in den Siebzigern. Ihr größter Hit „Gyöngyhajú lány“ wurde mehrfach gecovert. Zuletzt baute ihn sogar Kanye West 2013 in seinen Song „New Slaves“ ein. Und ein Mann aus Niesky gehört bis heute zu den größten Fans der Band. © Archiv

Am Anfang war die Wut. Egal, welchen Radio- oder TV-Sender Peter Günther auch anschrieb, er bekam nicht mal eine Antwort. Als 1999 das 3.000. Konzert der Puhdys in der Berliner Waldbühne anstand, gab es immerhin eine klare Absage. „Da hat mich der Kleister gepackt“, sagt der kleine Mann mit den langen weißen Haaren und haut auf die Armlehne. „Wenn alle die Musik aus dem Osten ignorieren, dann kümmere ich mich eben darum!“ Er legte los und ging 2000 mit der Website ostmusik.de an den Start.

In sehr persönlichen Texten mixte er Erinnerungen mit Fakten zu einzelnen Bands, schrieb sich zudem den Frust über die mediale Ignoranz von der Seele. Schnell stellte sich heraus: Viele ticken wie er und feierten den ehemaligen Elektriker aus Niesky für sein Engagement. Günther: „Die Website wurde ein Selbstläufer.“ Er fing an, das Ganze um seine Eindrücke von Konzerten zu ergänzen. „Plötzlich lieferten Hunderte Texte und Fotos. Ich kam kaum hinterher, alles auf die Seite zu stellen.“ Doch dann ließen ihn die rechtlichen Untiefen des Internets auflaufen.

Peter Günther aus Niesky in seinem Dachstudio. Von dort aus widmet er sich einmal im Monat in einer Online-Radiosendung der Musik des Ostens.
Peter Günther aus Niesky in seinem Dachstudio. Von dort aus widmet er sich einmal im Monat in einer Online-Radiosendung der Musik des Ostens. © Andy Dallmann

„Um Urheberrechte und so etwas hatte ich mir ja keine Gedanken gemacht. Nun fand ich mich in einem juristischen Theater wieder.“ Immerhin konnte er sich mit einem Fotografen, von dem er etliche Motive aus den 70er-Jahren nutzte und der ihn verklagt hatte, nach einem Telefonat einigen. „Er erklärte: Gib mir 500 Euro, dann ziehe ich die Klage zurück, und du kannst die Fotos auf der Website lassen“. Leider sei nicht alles so einfach zu regeln gewesen. „Die Rechtslage änderte sich dauernd“, so Günther. „Und für diesen Kram fehlte mir die Zeit. Also beschloss ich 2016: Schluss, aus, die Website wird auf Eis gelegt.“

Großes Interesse aus dem Westen

Potenzielle Nutzer hakten immer wieder nach, Günther vertröste sie und ein bisschen auch sich selbst auf 2021, auf den Zeitpunkt, an dem aus dem damaligen Techniker für TV- und Internet-Empfangsanlagen ein Rentner, oder wie Günther es nennt, ein Dauerurlauber werden würde. Planmäßig zog er tatsächlich das Projekt wieder auf, listet nun wieder akribisch die Diskografien, Besetzungen und Geschichten von DDR-Bands und denen aus Ungarn, Polen und der ehemaligen Tschechoslowakei auf. Auch eigene Konzertrezensionen und die von Gastautoren gehören zum stetig wachsenden Angebot. „Bevor es erneut losging, habe ich mich aber diesmal um alle Genehmigungen gekümmert, mich rechtlich abgesichert.“ Günther feixt. „Noch einmal lasse ich mich nicht so einfach von irgendwelchen Paragrafenreitern ausbremsen.“

Motiviert wird er nicht allein durch seine eigene Leidenschaft für die Musik aus den ehemaligen Ostblockländern. „Die vielen Reaktionen und Anfragen zeigen, dass das Interesse nicht nur im Osten, sondern auch im Westen groß ist, eher wächst als abnimmt.“ Befeuert werde der Trend nicht zuletzt durch seine eigene Online-Sendung beim Streamingsender rockradio.de.

Seit 2005 geht Günther dort jeden dritten Sonntag im Monat von 18 bis 20 Uhr mit „Peters Musikoase“ on air, spielt zum Sendungsthema passende Songs und lädt sich regelmäßig prominente Gesprächspartner ein. „Ich hatte fast alle namhaften DDR-Rocker zu Gast“, erklärt er mit sichtlichem Stolz. „Von Hans-Eckardt Wenzel bis Dieter ,Quaster’ Hertrampf, von Uwe Hassbecker bis Tino Eisbrenner. Es fehlen mir eigentlich nur Dieter ,Maschine’ Birr und die Karat-Leute.“ Die nächsten drei Sendungen seien bereits verplant, am 15. September etwa soll Ferenc „Ciki“ Debreceni, Schlagzeuger der ungarischen Band Omega, per Telefon zugeschaltet werden.

Günthers goldene Regel: Kein Geschwätz, immer richtig vorbereitet sein und vernünftige Fragen stellen. „Das wurde bisher auch von den Musikern stets honoriert.“ Wenn er in sein Studio, ein Kämmerlein unterm Dach seines Häuschens am grünen Rand Nieskys, steigt, klopfe ihm schon etwas das Herz. Schließlich mache er alles live. „Das heißt, ich muss den Stream kontrollieren, dass der sauber rausgeht, muss die Leute unterhalten, dazu den Chat im Blick behalten und die Musik auf den Punkt abspielen. Beim Plattenauflegen hilft mir manchmal meine Frau.“ Günther gesteht: „Nach diesen zwei Stunden bin ich jedes Mal völlig breit.“

Wer ihm live zuhöre, könne das nicht einfach so nebenbei wie beim üblichen Radio machen. „Man muss sich zur entsprechenden Zeit einloggen, also sehr zielgerichtet für diese Sendung entscheiden. Das sorgt für durchweg aufmerksames Publikum.“ Damit Fans alle seine Interviews mit den Musikern, die er mal selbst anfragt, mal von deren Management quasi als Partner empfohlen bekommt, wieder und wieder anhören können, parkt er diese Teile seiner Sendungen auf ostmusik.de.

Doch wie kam der heute 66-Jährige, der mehr als 700 Platten und zig CDs säuberlich in Regalen verwahrt, dazu, sich derartig für diese spezielle Musik einzusetzen? Peter Günther muss keine Sekunde überlegen. „Ich war 13 und sofort infiziert.“

1958 in Görlitz geboren, ging er dort zehn Jahre zur Schule, machte dann beim VEB Waggonbau Niesky eine Lehre zum Elektromonteur, arbeitete anschließend viele Jahre dort. Doch bereits in Görlitz gab es die Initialzündung. „Mein allererstes Konzert überhaupt erlebte ich 1972 im damaligen Palastkinotheater – Renft, früh um zehn. Die hatten am Abend zuvor zum Tanz gespielt und danach eben noch ein Konzert drangehängt.“

"Omega in Görlitz – das war purer Wahnsinn!“

Vier Monate später haute es den 13-jährigen Schuljungen vollends aus den Latschen. „Am 20. Mai 1972 spielte Omega in der Görlitzer Stadthalle. Der Vater eines Kumpels war dort Hausmeister und hatte uns Karten für die erste Reihe besorgt. Die Musik, die Ausstrahlung, die Show – einfach irre. Also Omega in Görlitz – das war purer Wahnsinn!“ Günther war dieser ungarischen Band verfallen, blieb und bleibt ihr treu. Obwohl sie seit dem Tod von Frontmann János Kóbor im Dezember 2021 endgültig Geschichte ist.

Der von Günther mitgegründete Verein der deutschen Omegafreunde, der stets engen Kontakt zu den Musikern hielt, wird sich im November wieder in Berlin treffen. Fans aus dem gesamten Bundesgebiet tauschen sich dann aus, und sie werden – so will es die Tradition – vereint die Hits der Combo schmettern.

Die deutschen Omegafreunde kommen aus Ost wie West und haben sich sogar einen eigenen Wimpel gegönnt.
Die deutschen Omegafreunde kommen aus Ost wie West und haben sich sogar einen eigenen Wimpel gegönnt. © Andy Dallmann

Für Peter Günther ging es einst nach dem Erstkontakt beim Konzert sofort weiter. Er wollte alles über Omega und vergleichbare Bands wissen. „In der Schule wurde ich zwar prompt zum Außenseiter, weil ich mich kaum für Westmusik interessierte, aber die einschlägigen Sendungen des DDR-Rundfunks förmlich aufsaugte.“ Bei der Wertung im DT-64-Musikstudio habe er regelmäßig mitgemacht, Postkarten mit seinen Favoriten hingeschickt und irgendwann tatsächlich gewonnen. „Ich machte das Paket auf und hatte sofort eine Gänsehaut“, erinnert sich Günther. „Ich hielt eine ungarische Platte, die zweite von Lokomotiv GT; in den Händen. Viel schicker aufgemacht als die Amiga-Platten, super Sound und in einer Ecke ein aufgeklebter Hinweis auf das Haus der ungarischen Kultur in Berlin. Das war für mich unbedarften Jungen aus der Provinz eine Entdeckung. Und dieses Institut wurde zu einer meiner wichtigsten Quellen.“

Günther musste sich nicht mit den Platten begnügen, seine Lieblingsbands kamen fast alle zu ihm nach Hause. Also nach Niesky. „Man kann sich das heute, wo in unserer Stadt rein gar nichts mehr stattfindet, kaum vorstellen. Doch in den 70er- und 80er-Jahren spielte mindestens einmal pro Monat im Kulturhaus Stern eine Top-Band. Jeweils für 5,10 Mark Eintritt.“

Mit leuchtenden Augen zählt er auf: „Bergendy, Lokomotiv GT, Scorpio. Aber auch Silly und Karat.“ Günther lacht. „Einmal traten sogar The Teens aus Westberlin auf. Die Leute hier waren so was von heiß.“ Er stand im Saal und fühlte nichts. „Das war das einzige Konzert meines Lebens, bei dem ich nach 15 Minuten abgezogen bin.“ Doch Günther, der schon als Lehrling ein leidenschaftlicher Elektronikbastler war und das bis heute geblieben ist, hat auch eine Historie als Aktiver im DDR-Musikgeschäft. Dank seiner gut funktionierenden Eigenbau-Anlage tingelte er ab den Siebzigern erfolgreich mit seiner Kontakt-Diskothek durch die Lausitz.

Die Color Band aus Niesky, bei der Peter Günther Mitte der 80er-Jahre Tontechniker war.
Die Color Band aus Niesky, bei der Peter Günther Mitte der 80er-Jahre Tontechniker war. © Peter Günther

1982 trat er frustriert aus der SED aus und reagierte sich zudem bei einigen Auftritten verbal ab. Prompt kassierten die Genossen seine Spielerlaubnis. Zur selben Zeit ging in Niesky ein Amateurmusiker-Duo an den Start, das bald zur fünfköpfigen Color Band wuchs. Peter Günther stand nicht nur hinterm Mixer, er hatte die meiste Technik zusammengebaut. „Ausgerechnet die ist bei der Einstufung ausgefallen, aber wir haben trotzdem noch die Oberstufe bekommen.“ Lachend erzählt er vom Repertoire, das neben eigenen Songs Hits von Barclay James Harvest und Neil Young enthielt. „Unsere Fassung von ,Like a Hurricane’ lief über 20 Minuten. Wahrscheinlich wurde sie gerade deshalb Kult.“

Hammerverdienst von 30 Mark pro Auftritt

Die Band, mit der Günther – neben seinem regulären Job – zweimal pro Woche probte und bis zu dreimal am Wochenende auftrat – stand 1986 kurz vorm Ritterschlag. „Wir waren eingeladen, im Landesfunkhaus Dresden drei Titel aufzunehmen. Eine Woche vor diesem Termin stellte der Bandchef einen Ausreiseantrag.“ Nicht nur die Aufnahmen waren passé, die Band löste sich auf. Die lustige Zeit mit dem „Hammerverdienst von 30 Mark pro Auftritt“ endete schlagartig.

„Vielleicht hätte aus uns etwas werden können“, sinniert Peter Günther heute. Der verpassten Gelegenheit trauert er dennoch nicht hinterher. Schnell ist er wieder bei seinen einstigen Helden und der Ignoranz der Gegenwart. Die Wut ist noch nicht verflogen. Aber er hat inzwischen ein wirksames Mittel dagegen gefunden. „Ich baue halt meine Website immer weiter aus.“