Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
SZ + Feuilleton

Neue Tagebücher: Warum Manfred Krug ein toller Hecht sein wollte

Manfred Krug hört mit dem „Tatort“ auf, hat Ärger mit den Telekom-Aktien, trifft das Ehepaar Merkel und erwartet von der Bild-Zeitung eine Entschuldigung.

Von Rainer Kasselt
 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Manfred Krug 1997 bei Dreharbeiten zur ARD-Serie „Liebling Kreuzberg“. Jetzt ist sein dritter Tagebuch-Band unter dem Titel „Ich beginne wieder von vorn“ erschienen.
Manfred Krug 1997 bei Dreharbeiten zur ARD-Serie „Liebling Kreuzberg“. Jetzt ist sein dritter Tagebuch-Band unter dem Titel „Ich beginne wieder von vorn“ erschienen. © dpa pa

Am 1. Januar 2000 notiert Manfred Krug, 63: „Es wird das letzte Jahr sein, das mich als Schauspieler sehen wird. Ich kann nicht mehr.“ Er torkelt beim Gehen, trägt einen Herzschrittmacher, ist füllig geworden. Täglich steigt er auf die Waage. Aber der Zeiger rückt kaum unter 115 Kilo. Es muss sich schleunigst etwas ändern! Nur noch einen „Tatort“ drehen, statt der vereinbarten drei. Sosehr der Sender NDR auch bittet, er bleibt eisern. 16 Jahre als Kommissar Paul Stoever sind genug. „Ich kann die scheinbar immer gleichen Texte nicht mehr ertragen.“ Ohne Eingriffe in die Dialoge, die er sich pointiert auf den Leib schrieb, hätte er schon eher hingeworfen. An diesem Mittwoch erscheint der dritte Tagebuch-Band „Ich beginne wieder von vorn“.

Manfred Krug als Kriminalhauptkommissar Stoever in einer "Tatort"-Szene.
Manfred Krug als Kriminalhauptkommissar Stoever in einer "Tatort"-Szene. © NDR Presse und Information

Schreiben kann er: bissig, spöttisch, selbstironisch, schlagfertig und auch melancholisch. Den großen Autor Stefan Heym bezeichnet er als „Altmeister des Aufrechten Ganges“, Putins Watscheln vergleicht er mit dem Gang einer „energischen Soldaten-Ente“. Scharfzüngig kommentiert er private und politische Geschehnisse der Jahre 2000 bis 2001. Erinnert wird an Helmut Kohls Spendenaffäre, den er „Bimbeskanzler“ nennt, oder an die Zerstörung der zwei Türme des New Yorker World Trade Centers. „Eine Demütigung für die Amerikaner.“

Hauptsächlich aber geht es um Kunst, Kollegen und Klatsch, ebenso um Reisen, Alltag und Familie. Begeistert schwärmt Krug von seiner „reizenden Tochter“ Marlene, die ihren fünften Geburtstag feiert. Er war sechzig, als sie geboren wurde. Sie stammt aus der Beziehung mit seiner Geliebten Petra Duda. Als die Sache aufflog, strafte ihn Ehefrau Ottilie mit versalzener Suppe. Otti, wie er sie ruft, und er haben drei gemeinsame Kinder. Mittlerweile unternehmen alle Kinder zusammen Ausflüge, mit Vater vorneweg.

Erfolge in Ost und West

Manfred Krug, der 2016 mit 79 starb, gehört zu den wenigen Künstlern, die in beiden deutschen Staaten Erfolg hatten und danach im vereinten Deutschland. In der DDR, die er 1977 gen Westberlin verließ, war Krug ein hofierter Filmstar und heiß geliebter Jazzsänger. In der BRD wurde er rasch populär mit den Fernsehserien „Auf Achse“ und „Liebling Kreuzberg“. Vom „Tatort“ ganz zu schweigen.

Die Tagebücher zeigen Krug als genialen Selbstvermarkter. „Jeder Vertrag bedeutet einen harten und manchmal langen Kampf, den sich aber nur der wirklich begehrte Künstler leisten kann.“ Er wundert sich nicht über die Armut manch bekannter Schauspieler, die das Kleingedruckte scheuen und Verträge ungelesen unterschreiben. Krug lässt Vertragsinhalte streichen, drängt auf eindeutige Festlegungen: von der Höhe des Honorars bis zur Zahl der kostenlosen Belegexemplare.

Manfred Krug und Uschi Brüning bei einem gemeinsamen Konzert.
Manfred Krug und Uschi Brüning bei einem gemeinsamen Konzert. © imago stock&people

Er meidet Talkshows und gibt im Fernsehen nichts über sein Leben preis. Das macht er lieber in seinen Büchern, das bringt mehr ein. Die Einladung zu einer Sendung zu Udo Jürgens’ 66. Geburtstag lässt ihn zögern. Er fürchtet, er käme da nur als „Udo-Arabeske“ vor. „Ich will doch aber selbst ein toller Hecht sein.“ Ärger bringen ihm seine gutdotierten Werbespots für die Telekom ein. Er schämt sich nicht für sie, „weil ich sie schauspielerisch allesamt gut bewältigt habe“. Doch der Druck nimmt zu. Die Bild am Sonntag titelt: „Manfred Krug verhöhnt Telekom-Aktionäre“. Bild macht eine Kampagne daraus.

„Ich bin von den Bild-Leuten selten in Ruhe gelassen, aber viel geschmäht worden. Sie tragen mir nach, dass ich von Anfang an nicht gekuschelt und ihnen keine Stories geliefert habe“. Er ist Bestseller-Autor des Econ-Verlages, der zum Springer-Imperium gehört. Krug hat von Springer die Nase voll und kündigt wütend bei Econ. Doch der Econ-Verleger kämpft mit allen Mitteln um seinen Autor und erreicht eine Gegendarstellung in Bild am Sonntag. Das hat Krug nicht für möglich gehalten, zum Dank bleibt er bei Econ. Nachsatz: Sechs Jahre später entschuldigt er sich im Stern aus „tiefstem Herzen bei allen Mitmenschen, die eine von mir empfohlene Aktie gekauft haben und enttäuscht worden sind“.

Ein paar Tränen in Bischofswerda

Nach seiner Abkehr vom Film entdeckt Manfred Krug seine Liebe zum Gesang neu. 2000 erscheinen drei Platten von ihm bei Amiga, darunter „Deutsche Schlager“ und „Schlafstörung“. Mit einer Jazzband und Uschi Brüning geht er auf Tournee, später stößt seine Tochter Fanny dazu. Krug ist stolz auf die bejubelten Auftritte mit ihr, sie werde von Konzert zu Konzert immer besser, notiert er. Vor allem in den ausverkauften ostdeutschen Spielstätten wird Krug gefeiert. Viele Menschen kennen seine Lieder noch aus der DDR, singen die Texte mit. S

o auch die Besucher des Kulturhauses in Bischofswerda am Abend des 22. März 2001. Krug hatte das Lied „Alles geht einmal zu Ende“ wieder einstudiert, das er vor 25 Jahren mit Günter Fischer gesungen hatte. Schon nach dem ersten Takt machte das Publikum „Ah!“. Das haute Krug um. „Ich alter Heulheini krichte den totalen Kloß in’ Hals und konnte kaum noch singen.“

Manche Überraschung im Text

Jeder Auftritt wird akribisch festgehalten: Besucherzahl, Buch- und Plattenverkauf, Qualität der Hotels (meist mies), Küche der Restaurants (noch schlechter). Das zieht sich über Seiten hin. Man hätte der Lektorin und verdienstvollen Herausgeberin Krista Maria Schädlich eine straffere Hand bei der Auswahl gewünscht. Leider fehlt erneut ein Personenregister. Sonst aber wartet die Edition mit manchen Überraschungen auf. Krug meint, dass es erleichternd sein könne, sich von einigen Freunden zu trennen. „Es ist schlimm genug, dass ich selbst eitel, geizig, unwissend, gierig, rechthaberisch, halbgebildet bin. Das kenne und verachte ich alles an mir selbst. Ich brauche es bei anderen nicht zu erleben.“

Zu den wenigen Freunden zählt Wolf Biermann. Zum 25. Jahrestag von dessen Ausweisung aus der DDR gibt es am 16. November 2001 im Berliner Ensemble eine Festveranstaltung. Krug geht mit Ottilie hin: „Das Ehepaar Angela Merkel als sehr nette Leute kennengelernt, sie saßen neben mir in der Reihe 1.“ Er lobt: „Biermann hat auf der Gitarre noch mal zugelegt, der reinste Spanier.“ Dann stellt sich Biermanns altes Leiden ein, konstatiert Krug. „Er wollte nicht von der Bühne. Nach drei Stunden fängt er eine Diskussion über Krieg und falschen Pazifismus an und verdirbt sich damit den schönen Abend.“ Da haben wir den ganzen Krug. Witz und Wehmut, Charme und Charisma sind seine Welt. Schön, dass wir in sie eintreten können.

  • Das Buch: Manfred Krug: Ich beginne wieder von vorn. Tagebücher 2000–2001. Herausgegeben von Krista Maria Schädlich, Kanon Verlag Berlin, 266 Seiten, 24 Euro