Erst Bauerndemo, jetzt Peter Hahne: Wird das DDR-Frauengefängnis Hoheneck instrumentalisiert?
Lange haben ehemalige politische Gefangene für eine Gedenkstätte im DDR-Frauengefängnis Hoheneck gekämpft. Nun gibt es diese endlich - doch gleichzeitig sorgt die Nutzung des Gefängnishofs immer wieder für Empörung.
Stollberg. Den süßlich-schweren Duft aus dem Zellentrakt von Hoheneck vergisst man nicht so schnell. Obwohl es seit 2001 hier, hoch oben über der Kreisstadt Stollberg im Erzgebirge, keine Gefangenen mehr gibt, riecht es im Südflügel des mächtigen, vierseitigen Backsteinbaus unverkennbar nach Urin. Eingesickert in den Boden, ins Mauerwerk, über Jahrzehnte. Bis heute klagt der Geruch an: die unfassbaren Bedingungen, unter denen Frauen in der Zeit des SED-Regimes hier leben mussten – viele nur, weil sie hatten frei sein wollen.
Diesem Geruch stellen musste sich vor Kurzem auch der Bundespräsident. Frank-Walter Steinmeier war am 11. Juli zur Eröffnung der Gedenkstätte nach Stollberg gekommen, hatte sich von ehemaligen politischen Gefangenen durch den Zellentrakt führen lassen, sich ihre Geschichten angehört und erklärt, mithelfen zu wollen, „dass Ihr Schicksal endlich in ganz Deutschland gesehen und anerkannt wird“. Es war die Ehrung, auf die viele „Hoheneckerinnen“ so lange gewartet, für die manche 30 Jahre lang gekämpft hatten.
Für die einen ist das Kapitel Hoheneck damit endgültig abgeschlossen. Sie leben längst glücklich mit ihren Familien in den alten Bundesländern, haben die Grausamkeiten der Haft verarbeitet oder verdrängt.
Die anderen kämpfen weiter um ein würdiges Gedenken. Immerhin wäre dieses zwischen „Männertag im Frauenknast“ und geplanten Kletterwänden fast verloren gegangen. Und selbst heute, da das Gedenken endlich gesichert scheint – da droht das Schicksal der Frauen in den Hintergrund zu treten vor Anschuldigungen gegen die Stadt Stollberg und den Oberbürgermeister, das geschichtsträchtige Areal für politische Zwecke zu missbrauchen.
"Am Abend war man dankbar über den überstandenen Tag"
Eine derer, die lange gekämpft haben, die noch immer um Hoheneck kämpfen, ist Konstanze Helber. Die 69-Jährige saß von 1977 bis 1979 als politische Gefangene in Haft, nachdem sie in einem Kofferraum über die Grenze zu ihrem Freund in den Westen geschmuggelt werden sollte. Ihn hatte sie in einem Bulgarien-Urlaub kennengelernt, es war Liebe auf den ersten Blick.
Beim Besuch des Bundespräsidenten erzählt auch Helber ihre Geschichte. „Der Kofferraum wurde geöffnet und erst war Stille, dann großes Geschrei.“ Sie ist bereits erwartet worden, war lange vorher ins Visier der Stasi geraten: In der Fluchthilfeorganisation gab es einen Spitzel.
Von der Zwangsarbeit in Hoheneck berichtet sie, den Schikanen und Übergriffen der „Erzieherinnen“, wie die Aufseherinnen genannt wurden. Mit dem korrekten Dienstgrad musste man sie ansprechen. Doch hinter ihrem Rücken nannten die Hoheneckerinnen sie: die Wachteln.
In ihrer Haltung seien die Frauen unbeugsam geblieben, sagte Helber bereits zur Begrüßung des Bundespräsidenten. Trotzdem: „Hoheneck ist für viele Frauen der dunkelste Ort ihres Lebens.“ Diejenigen, die überlebten, hätten den Haftalltag einfach ertragen. „Am Abend war man dankbar über den überstandenen Tag.“
Mindestens 170 Todesfälle zwischen 1945 und 1989
Von 1950 bis zur Wende waren rund 24.000 Frauen im Zuchthaus Hoheneck inhaftiert, davon etwa 8.000 „Politische“. Die standen in der Gefängnishierarchie ganz unten, teilten sich Zellen mit verurteilten Mörderinnen, mit schwer psychisch Kranken. Im Volksmund wurde Hoheneck auch „Mörderburg“ genannt.
Es kam zu sexuellen Übergriffen unter den Frauen, belegt sind auch mindestens 170 Todesfälle zwischen 1945 und 1989. Die Bedingungen waren unmenschlich, neben der schweren Zwangsarbeit für Waren wie Feinstrumpfhosen, die in den Westen verkauft wurden, waren die hygienischen Zustände untragbar; für kleinste Verfehlungen gab es Arrest in der Dunkel- oder Nasszelle – in Letzterer standen die Frauen manchmal tagelang in kaltem Wasser, gemischt mit ihren eigenen Fäkalien.
Man könnte noch viel erzählen über die Schrecken von Hoheneck. Über heimlich verabreichte Psychopharmaka, fehlende medizinische Versorgung, weggenommene Kinder. Und die Anfang Juli vorgestellte Dauerausstellung tut das auch. „Anhand von historischen Exponaten und modernen Medieninstallationen wird das historische Umfeld des Haftalltages in Hoheneck eindrucksvoll dargestellt“, heißt es auf der Website – und der Besuch vor Ort zeigt, dass dieses Versprechen gehalten wird.
In Videointerviews kommen Zeitzeuginnen zu Wort, auch Konstanze Helber. Einzelne Räume sind den verschiedenen Zellentypen gewidmet. Es ist eine moderne Ausstellung, die sich sehen lassen kann. Nach jetzigem Stand soll sie Mitte September für die Öffentlichkeit zugänglich sein.
Entsetzen über "Männertag im Frauenknast"
Doch dass es diese einmal so geben würde, war lange alles andere als sicher. Den Weg zur Gedenkstätte kann man mindestens als steinig bezeichnen. Nach dem Fall der Mauer wird das Zuchthaus als einzige Frauenhaftanstalt im Freistaat bis 2001 weitergeführt, ab 1994 mit einer Männerabteilung. Zwei Jahre steht das Gefängnis leer, dann kauft ein Privatinvestor aus Westdeutschland, Bernhard Freiberger, das Areal für einen symbolischen Preis vom Freistaat. Damit, kann man heute sagen, beginnt der Irrweg.
Freibergers Artemis GmbH will hier ein Erlebnishotel mit Restaurants einrichten, Gäste sollen sich einmal wie im Knast fühlen können. Von „Jailhouse-Feeling“ ist die Rede, lautstark wird „Männertag im Frauenknast“ gefeiert. Die Opferverbände sind entrüstet, protestieren.
Tatjana Sterneberg, die von 1974 bis 1976 in Hoheneck einsaß, weil sie einen Ausreiseantrag gestellt hatte, erzählt von ihrem Schock an diesem Tag: Gefeiert wird mit Schnaps und Bier, laute Discomusik ertönt – und dann soll die Berlinerin auch noch Eintritt bezahlen. „Ick sage, Herr Freiberger, ick doch nich. Ick saß doch hier ein.“
2013 zieht der Investor sich zurück.
Zwischenzeitlich hatten sich ehemalige Häftlinge an den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff gewandt. Dieser kam 2011 nach Hoheneck, rief auf, dort ein würdiges Gedenken zu ermöglichen. So kaufte 2014 schließlich die Stadt Stollberg die ehemalige Haftanstalt für 160.000 Euro und begann mit der Sanierung. Diese wurde vom Land Sachsen nicht nur gefördert – sondern auch gefordert.
Heute wird das „Areal Stalburc/Hoheneck“, wie es offiziell heißt, zweifach genutzt: Neben der Gedenkstätte mit Zellentrakt und Dauerausstellung sind hier die Lern- und Erlebniswelt „Phänomenia“ und das Kinder- und Jugendtheater „Burattino“ eingezogen. Ende 2019 erklärte auch der Bund, Hoheneck finanziell fördern zu wollen. Bis zur endgültigen Fertigstellung wird das gesamte Bauprojekt am Areal nach Schätzungen rund 35 Millionen Euro kosten. Davon zahlt Stollberg acht Millionen.
Oberbürgermeister Marcel Schmidt (Freie Wähler) macht im Gespräch mit der Sächsischen Zeitung keinen Hehl daraus, dass er Land und Bund in der Verantwortung sieht: „Wenn ich ein ehemaliges Staatsgefängnis zu einer Gedenkstätte umnutzen möchte, liegt die Verantwortung nicht bei der Stadt, die das Gefängnis nie betrieben hat, sondern bei dem Nachfolgestaat, der diesen Staat übernommen hat.“
Tatsächlich darf man sich fragen: Macht man es sich trotz Millionenfinanzierung hier zu leicht, ein so großes Projekt, ein so wichtiges Gedenken einer Stadt mit nicht einmal 12.000 Einwohnern zu überlassen? Einer Stadt, die sich genau deshalb nicht hineinreden lassen möchte?
"Eine Zeit der schlechten Kommunikation"
Nancy Aris, die Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, ist anfangs in den Entstehungsprozess für das Gedenkstättenkonzept involviert, leitet einen Fachbeirat, der die Stadt beraten soll. Im Herbst 2021 tritt dieser geschlossen zurück. Aris sagt: Der gesamte Entstehungsprozess sei außerordentlich schwierig gewesen. Hinweise von außen seien nicht als Bereicherung wahrgenommen worden, sondern als extrem störend.
Im Gespräch sagt OB Schmidt dazu: „Man hätte eigentlich als staatliche Seite froh sein können, dass sich die Stadt dafür bereiterklärt und auch das Risiko für die Investitionen und die Betreibung übernimmt.“ Er finde es nicht angemessen, wenn vorgegeben werde, „wie man das gefälligst zu machen habe.“
Eines immerhin habe der Fachbeirat abwenden können, sagt Aris: Im Gespräch für Hoheneck waren zwischenzeitlich auch eine Kletterwand für Sportler an der Außenwand sowie Schaukeln in den Ausstellungsräumen. Darüber schütteln ehemalige Hoheneckerinnen, die man darauf anspricht, nur den Kopf.
In den Prozess involviert waren auch Zeitzeuginnen. Schmidt sagt, er habe ein gutes Verhältnis zu vielen einzelnen. Konstanze Helber, die auch an Treffen zur geplanten Gedenkstätte teilgenommen hat, spricht von einer „Zeit der schlechten Kommunikation und der Befindlichkeiten ohne Ende“. Mit dem Ergebnis ist sie heute dennoch mehr als zufrieden. „Ich bin begeistert, auch von den Ausstellungsmachern.“
Dass die Dauerausstellung so gelungen ist, ist wohl in erster Linie der Arbeit von Stefan Appelius zu verdanken, der den Aufbau der Gedenkstätte geleitet hat. Der Professor für Politikwissenschaft hat die Geschichte des Frauengefängnisses mühsam zusammengetragen. Damit könnte das Thema „würdiges Gedenken in Hoheneck“ abgeschlossen sein. Die Geschichten der Frauen könnten endlich im Zentrum stehen, zur Bildung über das SED-Unrecht beitragen. Wäre Hoheneck nicht selbst zum Politikum geworden.
Bauernkundgebung im Gefängnishof von Hoheneck
Am 17. März demonstriert „Land schafft Verbindung“ in Stollberg – auch im ehemaligen Gefängnishof von Hoheneck. Unter den Fenstern, hinter denen Frauen Zwangsarbeit leisten mussten, spielen zwei Musikanten das Steigerlied, etliche der rund 1.000 Teilnehmer singen mit: „Glückauf, Glückauf ...“ Ein Video davon, veröffentlicht vom Dresdner „Querdenken“-Anmelder Marcus Fuchs, steht auf Youtube.
OB Schmidt geht in einer Rede hart mit der Regierung ins Gericht. Davon, dass ein anderer Redner Putin lobt, distanziert er sich gegenüber der Freien Presse später. Dieser erklärt Schmidt außerdem, Hoheneck solle auch künftig „aktiver Ort der Demokratie“ sein.
Was er damit meint, erläutert er im SZ-Gespräch. Ein Ort wie Hoheneck, „an dem wir einer Zeit gedenken, in der eine Meinung unterdrückt wurde, wenn sie nicht den staatlichen Vorgaben entsprach“, lebe nicht nur durch die Erinnerung. Er lebe auch dadurch, dass er die Demokratie hochhalte, „und dass man allen Gegnern, die die Demokratie versuchen, ins Abseits zu rücken, dort auch die Stirn bietet und sagt, wir sind ein freies Land mit freien Meinungen und alle, die ihre freie Meinung und den politischen Diskurs vorantreiben, wollen wir hier in Hoheneck willkommen heißen.“
"Ich habe gedacht, das kann doch dort nicht stattfinden"
Kritik am Bauernprotest kam vorab von der „Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft“. Nancy Aris sagt: Schmidt habe mehr oder weniger den Protest der Bauern in die Tradition der Hoheneckerinnen gestellt. „Ich habe gedacht, das kann doch dort nicht stattfinden.“
Konstanze Helber kommt am Tag, als der Bundespräsident zu Besuch ist, von alleine auf das Thema zu sprechen, sie ist empört. „Hier im Hof standen sie und haben gegrillt.“ Der Hof sei eines der Hauptexponate, ehemaliger Exerzierplatz. Hier wurden die Frauen getriezt, durften nicht einmal kurz stehenbleiben. Hier dürfe kein Halligalli stattfinden, sagt Helber – auch kein Kindergeburtstag der „Phänomenia“. Kinderlachen gab es in Hoheneck nicht.
Weit mehr als ein Kindergeburtstag ist für Ende August geplant. Bestsellerautor Peter Hahne will auf dem Gefängnishof einen „Gottesdienst“ abhalten. Wieder werden rund 1.000 Menschen erwartet. Kritiker werfen Hahne vor, den Diskurs weiter nach rechts zu verschieben, wovon vor allem die AfD profitiere.
AfD hat Veranstaltung mit Peter Hahne angemeldet
Diese steckt auch hinter dem Auftritt. Deren Landtagskandidatin Katja Dietz hat laut Polizeiverfügung vom 1. August schon Anfang Juli den „Freiluftgottesdienst“ angemeldet. Eine SZ-Anfrage dazu blieb bisher unbeantwortet. Der Veranstalter, die „Arbeitsgemeinschaft Weltanschauungsfragen“, gehört laut Harald Lamprecht, Beauftragter für Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, „in den Kontext eines radikalisierten christlichen Fundamentalismus“.
Schmidt will von der Anmeldung durch die AfD nichts gewusst haben, sagt, ihm sei es um Hahne gegangen, einen ehemaligen ZDF-Moderator, „sehr anerkannt in seiner Art und Weise als Mensch“. Wenn dieser Anhaltspunkte gebe, verfassungsfeindliche Parolen vortragen zu wollen oder die Regime der Nationalsozialisten oder Kommunisten zu verherrlichen, „würde ich diese Veranstaltung kurzerhand absagen“, so Schmidt. Er ist aufgebracht, spricht davon, wie die Medien versuchten, „in Deutschland bestimmte politische Meinungen in eine rechte Ecke zu rücken“.
Nach Bekanntwerden der geplanten Veranstaltung häuft sich die Kritik. Nancy Aris formuliert scharf, sie finde den Auftritt an diesem Ort „völlig deplatziert“, sei „immer wieder erstaunt, was in Stollberg jenseits der Schamgrenze alles möglich ist“.
Die Arbeitsgemeinschaft „Kindheit hinter Stacheldraht“ erklärt in einer Stellungnahme, auch sie empfinde „die Zustimmung durch OB Schmidt als jenseits der Schamgrenze“. Hoheneck sei ein Ort der Mahnung und des Gedenkens „und keiner für politische Großveranstaltungen“ wie den Bauernprotest und „Wahlveranstaltungen unter dem Deckmantel eines Freiluftgottesdienstes“.
Hahne instrumentalisiert das Leid der Hoheneckerinnen
Erneut ist Hoheneck als Schauplatz bewusst gewählt. In einem Video spricht Hahne selbst von dem „besonderen Ort“, dem „Innenhof des berüchtigten Frauengefängnisses Hoheneck“. Bei seinem Besuch habe Steinmeier Aufklärung gefordert. „Genau das brauchen wir, dafür haben die Frauen dort gelitten: für Wahrheit, für Freiheit, für Frieden und gegen das Unrecht.“ Es brauche Aufklärung, sagt Hahne, „vor allem in der aktuellen Situation der vergangenen Monate und Jahre“.
Hahne stellt also nicht nur eine Verbindung zwischen der politischen Gegenwart und dem SED-Regime her, er instrumentalisiert dafür auch das Leid der Hoheneckerinnen. Und obwohl er direkten Bezug nimmt auf die Rede des Bundespräsidenten, scheint er einen Satz nicht gehört zu haben: Diejenigen, die sagten, heute sei es wie in der DDR, weil man seine Meinung nicht mehr sagen dürfe, erklärte Steinmeier, – die verhöhnten die Schicksale der Frauen von Hoheneck.