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Erst Bauerndemo, jetzt Peter Hahne: Wird das DDR-Frauengefängnis Hoheneck instrumentalisiert?

Lange haben ehemalige politische Gefangene für eine Gedenkstätte im DDR-Frauengefängnis Hoheneck gekämpft. Nun gibt es diese endlich - doch gleichzeitig sorgt die Nutzung des Gefängnishofs immer wieder für Empörung.

Von Dominique Bielmeier
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Zelle 66 von Hoheneck: Hier hat Konstanze Helber einen unwiederbringlichen Teil ihres Lebens als politische Gefangene des SED-Regimes verbracht. Seit Jahren kämpft sie um ein würdiges Gedenken.
Zelle 66 von Hoheneck: Hier hat Konstanze Helber einen unwiederbringlichen Teil ihres Lebens als politische Gefangene des SED-Regimes verbracht. Seit Jahren kämpft sie um ein würdiges Gedenken. © kairospress

Stollberg. Den süßlich-schweren Duft aus dem Zellentrakt von Hoheneck vergisst man nicht so schnell. Obwohl es seit 2001 hier, hoch oben über der Kreisstadt Stollberg im Erzgebirge, keine Gefangenen mehr gibt, riecht es im Südflügel des mächtigen, vierseitigen Backsteinbaus unverkennbar nach Urin. Eingesickert in den Boden, ins Mauerwerk, über Jahrzehnte. Bis heute klagt der Geruch an: die unfassbaren Bedingungen, unter denen Frauen in der Zeit des SED-Regimes hier leben mussten – viele nur, weil sie hatten frei sein wollen.

Diesem Geruch stellen musste sich vor Kurzem auch der Bundespräsident. Frank-Walter Steinmeier war am 11. Juli zur Eröffnung der Gedenkstätte nach Stollberg gekommen, hatte sich von ehemaligen politischen Gefangenen durch den Zellentrakt führen lassen, sich ihre Geschichten angehört und erklärt, mithelfen zu wollen, „dass Ihr Schicksal endlich in ganz Deutschland gesehen und anerkannt wird“. Es war die Ehrung, auf die viele „Hoheneckerinnen“ so lange gewartet, für die manche 30 Jahre lang gekämpft hatten.

Der Bundespräsident nahm sich bei seinem Besuch auch Zeit, sich die Geschichten von einzelnen ehemaligen Insassinnen anzuhören.
Der Bundespräsident nahm sich bei seinem Besuch auch Zeit, sich die Geschichten von einzelnen ehemaligen Insassinnen anzuhören. © kairospress

Für die einen ist das Kapitel Hoheneck damit endgültig abgeschlossen. Sie leben längst glücklich mit ihren Familien in den alten Bundesländern, haben die Grausamkeiten der Haft verarbeitet oder verdrängt.

Die anderen kämpfen weiter um ein würdiges Gedenken. Immerhin wäre dieses zwischen „Männertag im Frauenknast“ und geplanten Kletterwänden fast verloren gegangen. Und selbst heute, da das Gedenken endlich gesichert scheint – da droht das Schicksal der Frauen in den Hintergrund zu treten vor Anschuldigungen gegen die Stadt Stollberg und den Oberbürgermeister, das geschichtsträchtige Areal für politische Zwecke zu missbrauchen.

"Am Abend war man dankbar über den überstandenen Tag"

Eine derer, die lange gekämpft haben, die noch immer um Hoheneck kämpfen, ist Konstanze Helber. Die 69-Jährige saß von 1977 bis 1979 als politische Gefangene in Haft, nachdem sie in einem Kofferraum über die Grenze zu ihrem Freund in den Westen geschmuggelt werden sollte. Ihn hatte sie in einem Bulgarien-Urlaub kennengelernt, es war Liebe auf den ersten Blick.

Beim Besuch des Bundespräsidenten erzählt auch Helber ihre Geschichte. „Der Kofferraum wurde geöffnet und erst war Stille, dann großes Geschrei.“ Sie ist bereits erwartet worden, war lange vorher ins Visier der Stasi geraten: In der Fluchthilfeorganisation gab es einen Spitzel.

Der Zellentrakt im Frauenzuchthaus Hoheneck. Statt von "Zellen" sprach man damals allerdings von "Verwahrräumen".
Der Zellentrakt im Frauenzuchthaus Hoheneck. Statt von "Zellen" sprach man damals allerdings von "Verwahrräumen". © dpa

Von der Zwangsarbeit in Hoheneck berichtet sie, den Schikanen und Übergriffen der „Erzieherinnen“, wie die Aufseherinnen genannt wurden. Mit dem korrekten Dienstgrad musste man sie ansprechen. Doch hinter ihrem Rücken nannten die Hoheneckerinnen sie: die Wachteln.

In ihrer Haltung seien die Frauen unbeugsam geblieben, sagte Helber bereits zur Begrüßung des Bundespräsidenten. Trotzdem: „Hoheneck ist für viele Frauen der dunkelste Ort ihres Lebens.“ Diejenigen, die überlebten, hätten den Haftalltag einfach ertragen. „Am Abend war man dankbar über den überstandenen Tag.“

Mindestens 170 Todesfälle zwischen 1945 und 1989

Von 1950 bis zur Wende waren rund 24.000 Frauen im Zuchthaus Hoheneck inhaftiert, davon etwa 8.000 „Politische“. Die standen in der Gefängnishierarchie ganz unten, teilten sich Zellen mit verurteilten Mörderinnen, mit schwer psychisch Kranken. Im Volksmund wurde Hoheneck auch „Mörderburg“ genannt.

Es kam zu sexuellen Übergriffen unter den Frauen, belegt sind auch mindestens 170 Todesfälle zwischen 1945 und 1989. Die Bedingungen waren unmenschlich, neben der schweren Zwangsarbeit für Waren wie Feinstrumpfhosen, die in den Westen verkauft wurden, waren die hygienischen Zustände untragbar; für kleinste Verfehlungen gab es Arrest in der Dunkel- oder Nasszelle – in Letzterer standen die Frauen manchmal tagelang in kaltem Wasser, gemischt mit ihren eigenen Fäkalien.

"Hoheneck ist für viele Frauen der dunkelste Ort ihres Lebens", sagt Konstanze Helber. Sie saß hier als politische Gefangene ein, bevor sie im April 1979 in den Westen freigekauft wurde.
"Hoheneck ist für viele Frauen der dunkelste Ort ihres Lebens", sagt Konstanze Helber. Sie saß hier als politische Gefangene ein, bevor sie im April 1979 in den Westen freigekauft wurde. © kairospress

Man könnte noch viel erzählen über die Schrecken von Hoheneck. Über heimlich verabreichte Psychopharmaka, fehlende medizinische Versorgung, weggenommene Kinder. Und die Anfang Juli vorgestellte Dauerausstellung tut das auch. „Anhand von historischen Exponaten und modernen Medieninstallationen wird das historische Umfeld des Haftalltages in Hoheneck eindrucksvoll dargestellt“, heißt es auf der Website – und der Besuch vor Ort zeigt, dass dieses Versprechen gehalten wird.

In Videointerviews kommen Zeitzeuginnen zu Wort, auch Konstanze Helber. Einzelne Räume sind den verschiedenen Zellentypen gewidmet. Es ist eine moderne Ausstellung, die sich sehen lassen kann. Nach jetzigem Stand soll sie Mitte September für die Öffentlichkeit zugänglich sein.

Entsetzen über "Männertag im Frauenknast"

Doch dass es diese einmal so geben würde, war lange alles andere als sicher. Den Weg zur Gedenkstätte kann man mindestens als steinig bezeichnen. Nach dem Fall der Mauer wird das Zuchthaus als einzige Frauenhaftanstalt im Freistaat bis 2001 weitergeführt, ab 1994 mit einer Männerabteilung. Zwei Jahre steht das Gefängnis leer, dann kauft ein Privatinvestor aus Westdeutschland, Bernhard Freiberger, das Areal für einen symbolischen Preis vom Freistaat. Damit, kann man heute sagen, beginnt der Irrweg.

Freibergers Artemis GmbH will hier ein Erlebnishotel mit Restaurants einrichten, Gäste sollen sich einmal wie im Knast fühlen können. Von „Jailhouse-Feeling“ ist die Rede, lautstark wird „Männertag im Frauenknast“ gefeiert. Die Opferverbände sind entrüstet, protestieren.

Tatjana Sterneberg, die von 1974 bis 1976 in Hoheneck einsaß, weil sie einen Ausreiseantrag gestellt hatte, erzählt von ihrem Schock an diesem Tag: Gefeiert wird mit Schnaps und Bier, laute Discomusik ertönt – und dann soll die Berlinerin auch noch Eintritt bezahlen. „Ick sage, Herr Freiberger, ick doch nich. Ick saß doch hier ein.“

2013 zieht der Investor sich zurück.

Die Berlinerin Tatjana Sterneberg (neben ihrem Mann, dem Mauerdemonstranten Carl Wolfgang Holzapfel) saß rund zwei Jahre in Hoheneck ein – weil sie einen Ausreiseantrag gestellt hatte.
Die Berlinerin Tatjana Sterneberg (neben ihrem Mann, dem Mauerdemonstranten Carl Wolfgang Holzapfel) saß rund zwei Jahre in Hoheneck ein – weil sie einen Ausreiseantrag gestellt hatte. © kairospress

Zwischenzeitlich hatten sich ehemalige Häftlinge an den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff gewandt. Dieser kam 2011 nach Hoheneck, rief auf, dort ein würdiges Gedenken zu ermöglichen. So kaufte 2014 schließlich die Stadt Stollberg die ehemalige Haftanstalt für 160.000 Euro und begann mit der Sanierung. Diese wurde vom Land Sachsen nicht nur gefördert – sondern auch gefordert.

Heute wird das „Areal Stalburc/Hoheneck“, wie es offiziell heißt, zweifach genutzt: Neben der Gedenkstätte mit Zellentrakt und Dauerausstellung sind hier die Lern- und Erlebniswelt „Phänomenia“ und das Kinder- und Jugendtheater „Burattino“ eingezogen. Ende 2019 erklärte auch der Bund, Hoheneck finanziell fördern zu wollen. Bis zur endgültigen Fertigstellung wird das gesamte Bauprojekt am Areal nach Schätzungen rund 35 Millionen Euro kosten. Davon zahlt Stollberg acht Millionen.

Ein "Schloss" war Hoheneck nie. Die Burg hoch oben über Stollberg war ab 1864 "Weiberzuchthaus", später Strafgefängnis für Männer, in der NS-Zeit Schutzhaftlager sowie Jugendgefängnis und in der DDR-Zeit schließlich das berüchtigte Frauenzuchthaus "Mörder
Ein "Schloss" war Hoheneck nie. Die Burg hoch oben über Stollberg war ab 1864 "Weiberzuchthaus", später Strafgefängnis für Männer, in der NS-Zeit Schutzhaftlager sowie Jugendgefängnis und in der DDR-Zeit schließlich das berüchtigte Frauenzuchthaus "Mörder © kairospress

Oberbürgermeister Marcel Schmidt (Freie Wähler) macht im Gespräch mit der Sächsischen Zeitung keinen Hehl daraus, dass er Land und Bund in der Verantwortung sieht: „Wenn ich ein ehemaliges Staatsgefängnis zu einer Gedenkstätte umnutzen möchte, liegt die Verantwortung nicht bei der Stadt, die das Gefängnis nie betrieben hat, sondern bei dem Nachfolgestaat, der diesen Staat übernommen hat.“

Tatsächlich darf man sich fragen: Macht man es sich trotz Millionenfinanzierung hier zu leicht, ein so großes Projekt, ein so wichtiges Gedenken einer Stadt mit nicht einmal 12.000 Einwohnern zu überlassen? Einer Stadt, die sich genau deshalb nicht hineinreden lassen möchte?