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So war die Premiere von "Hoffmanns Erzählungen" in Chemnitz

Chemnitz interpretiert die Oper „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach neu und erzählt die Geschichte nun von hinten.

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Mit beeindruckender Strahlkraft gibt Daniel Pataky den tenoralen Teil des in drei Figuren geteilten Hoffmann.
Mit beeindruckender Strahlkraft gibt Daniel Pataky den tenoralen Teil des in drei Figuren geteilten Hoffmann. © © Nasser Hashemi

Von Jens Daniel Schubert

Zu den verführerischen Klängen der Barkarole schwankt ein Betrunkener durch einen schier endlosen Tunnel. Immer wieder aus der Schnapsflasche trinkend erwehrt er sich unsichtbarer Figuren. Dann nehmen sie Gestalt an. Skurrile Fantasiewesen in mintgrünen Teilen aufgeplusterter Barockkostüme. Einer „reitet“ eine durchscheinende Einhorn-Attrappe. Wie mit Gondeln staken sie auf rollenden Bahnhofsstuhlreihen. Angeführt werden sie von einer matronenhaften Fee mit Flügelchen und Sternenzepter. Mit ihr beginnt der Trunkene zu singen: „Schöne Nacht, du Liebesnacht…“.

Opulent, aber auch irritierend

Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“, diese in unzähligen Fassungen überlieferte Oper, wird am Opernhaus Chemnitz von hinten erzählt. Wohl dem, der sich darauf einlassen kann. Wer die Musik genießt, sich von den Figuren fangen lässt, erlebt einen opulenten Opernabend großer Momente. Das Chemnitzer Publikum feierte die Interpreten nach der Premiere am Samstag teils euphorisch.

Von schönen Augen und ewiger Treue

E. T. A. Hoffmann wäre wahrscheinlich begeistert von der surrealistischen Behandlung seiner Geschichten durch Regisseurin Juana Inés Cano Restrepo. Der Opernfreund, der die Welt aus Trunkenheit und Rausch, aus Fantasie und Albträumen sortieren will, wird verzweifeln. Man erkennt die Geschichten wieder. Glücksspiel mit Duell um Schatten und Spiegelbild in der Welt der Kurtisane.

Die Schein-Welt von Automaten und Betrügern rund um Olympia. Der Künstler zwischen Ausdruck tiefer Gefühle und oberflächlicher Sucht nach Applaus in der Welt von Antonia. Auch die großen Melodien klingen (fast) alle auf. Dabei fehlen die gewohnten Kontexte, etwa beim Lied von Kleinzack. Motivationen verwischen, wie bei der Diamantenarie. Situationen werden spielerisch umgekehrt, wie in Olympias Koloraturen. Das kann ungemein irritieren und Ratlosigkeit generieren.

Oder es wird zum unterhaltsamen Spaß. Dass Olympia die einzig Menschliche ist in der Welt ihres Vaters Spalanzani, hat nicht nur Tiefsinn, sondern wird auch noch herrlich direkt gespielt. Während sie sich an Hoffmann einen sich in Koloraturen aufschwingenden und in höchsten Tönen explodierenden Orgasmus holt, singt er von abgehobener Liebe, schönen Augen und ewiger Treue.

Mintgrüne Kostüme prägen das Bild der Inszenierung
Mintgrüne Kostüme prägen das Bild der Inszenierung © © Nasser Hashemi

Offenbachs Musik ist vom Grundgestus berauschend wie Alkohol. Lutz de Veer am Pult der Robert-Schumann-Philharmonie hat Erfahrung und genaue Vorstellungen von der Musik. Die unkonventionelle Auswahl, Reihenfolge und teils geänderte Aufteilung ist eine Herausforderung. Manche Tempi waren ungewohnt, nicht immer gingen Bühne und Graben zusammen. Insgesamt führte er jedoch Orchester, Chor und Solisten zu großem Klang. Die sängerischen Leistungen waren ansprechend bis besonders, in einzelnen Partien brillant.

Euphorisierende Musik

Der Liebe und Alkohol verfallene Protagonist ist in drei Figuren geteilt. Grandios spielt und singt Marlen Bieber die Muse. Als junge Version der Hauptfigur fesselt sie, spielt authentisch und kann ihre wohlklingende, tragfähig-warme Mezzostimme in mehreren großen Arien aufblühen lassen.

Scheinbar mühelos gibt Daniel Pataky den tenoralen Teil des Hoffmann. Seine Strahlkraft und Vielfalt waren beeindruckend. Sogar die „Bösewichter“, die Antipoden Hoffmanns als Teil der Figur zu interpretieren, ist spannend. Im Spiel stellt sich das nur bedingt dar. Auch stimmlich konnte Thomas Essel nicht uneingeschränkt überzeugen. Bei den drei Seiten der einen Geliebten sammelte Tea Trifković mit ihrer liebeshungrigen Olympia Punkte.

Maraike Schröter als Giulietta und Akiho Tsujii in der Rolle der Antonia ergänzten das klangvolle Terzett.Hoffmann ist im Tunnel von Liebe und Rausch gefangen. Die Bühne von Anna Schöttl zeigt es ungewohnt deutlich. Die Gestalten, die ihn bedrängen, sind surreal, was insbesondere in den Kostümen von Lena Weikhard anschaulich wird.

Ob das hymnische Finale, das dem Künstler Erlösung und Schaffenskraft verheißt, wenn man das Leid der Liebe überwunden hat, wirklich eine Lösung ist, mag man bezweifeln. Die Musik jedenfalls entlässt den Hörer euphorisiert.

Wieder am 3. und 20. 10., 2. 11., 13. 12. 2024, am 11. und 19. 1.25, 1. 2. und 21. 3.2025

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