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Diese Hausnummern gibt es nur in Bischofswerda

In der Stadt begegnet man dem Schiebock an vielen Stellen. Jetzt ziert das einrädrige Gefährt auch zwei Hauswände. Den Auftrag dafür gab es an einem Abendbrottisch.

Von Miriam Schönbach
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Familien-Projekt: Die Idee der etwas anderen Hausnummern in Bischofswerda hatte Andreas Wendler, seine Tochter Annabell entwarf schließlich den Schiebock für das Haus an der Ecke Putzkauer/Dr.-Lange-Straße sowie für die Neustädter Straße 42 bis 50.
Familien-Projekt: Die Idee der etwas anderen Hausnummern in Bischofswerda hatte Andreas Wendler, seine Tochter Annabell entwarf schließlich den Schiebock für das Haus an der Ecke Putzkauer/Dr.-Lange-Straße sowie für die Neustädter Straße 42 bis 50. © Steffen Unger

Bischofswerda. Die Ziffer 2 ergibt einen hervorragenden Griff für das schubkarrenähnliche Einrad. Dessen Ladefläche lässt sich mit der 5 und ein bisschen Bewegung hervorragend in Szene setzen. Annabell Wendler schaut hoch zu den großen Hausnummern 42 bis 50 in der Neustädter Straße, die sich wie von selbst zu Bischofswerdas Wahrzeichen zusammensetzen.

„Am Abendbrot-Tisch erzählte mein Vater, dass die Fassaden der Mehrfamilienhäuser neu gestaltet werden soll und er sich die Hausnummer als Schiebock wünscht“, sagt die 21-Jährige Grafikdesign-Studentin. Für ihren Entwurf und die Umsetzung an zwei Blöcken der Wohnungswirtschaft und Bau GmbH (WuB) gab es nun den „Schiebock 2021“ als Auszeichnung.

Damit bleibt der Preis in der Familie – und die Neugestaltung der Fassaden ein Vater-Tochter-Projekt. Der Anstoß beim Abendessen kam von WuB-Geschäftsführer Andreas Wendler. Die Idee Bischofswerdas Alleinstellungsmerkmal an die Wand zu bringen, trieb ihn schon länger um. Schließlich begegnet dem Besucher der Stadt dieses Gefährt allerorts – als Zunftzeichen an der Stadtapotheke, als Kunst auf dem Kreisel an der Neustädter Straße, in Form einer Infotafel auf dem Butterberg, im Tierpark oder ganz präsent als Sitzgelegenheiten auf dem Markt. Oberbürgermeister Holm Große (parteilos) schätzt, dass inzwischen 30 bis 35 Objekte dieser Art in der Stadt und den dazugehörigen Ortsteilen zu finden sind.

Was hat der Schiebock mit Bischofswerda zu tun?

Doch was hat der Schiebock eigentlich mit Bischofswerda zu tun? Überlieferungen ranken sich zahlreiche um die Entstehung des städtischen Kosenamens, der in seiner Ursprünglichkeit auf das Sorbische zurückgeht. Ein Sprachwissenschaftler führt die Entstehung auf einen sorbischen Begriff „při boku“ zurück, was so viel wie „an der Seite“ (des Flusses Wesenitz) bedeutet.

Die Sage indes behauptet, dass sich während der Pest im Mittelalter kein Bauer der umliegenden Dörfer mehr in die Stadt traute. Daher entschloss man sich, Butter, Milch und Getreide an den Stadttoren zu übergeben. Dorthin brachten die Bauern ihre Waren mit ihrem einrädrigen Schiebock, die Städter wiederum holten sie sich von dort mit ihrem Schiebock ab.

Eine andere Erzählung bringt die Namensentstehung mit dem großen Stadtbrand 1813 in Verbindung. Das Feuer soll seinerzeit alle festen Marktstände vernichtet haben, so dass fortan die Landfrauen mit dem Schiebock – ihrem quasi mobilen Verkaufstand – in die Stadt kamen.

Breslauer Zwerge dienen aus Vorbild

Die Spekulationen über den Spitznamen ließen sich endlos fortführen. Fakt aber ist, dass die Bischofswerdaer bei einer Zukunftswerkstatt erkannten, dass ihr Namens-Doppel etwas Besonderes ist und vor allem touristisch ausbaubar. „Unser Vorbild sind die Breslauer Zwerge. Sie tauchen in der Stadt immer und überall auf“, sagt Andreas Mikus von der Arbeitsgruppe „Tourismus und Kultur“.

In der polnischen Stadt klettern die kleinen Bronze-Wichtel auf Laternen, betrinken sich auf der Straße und machen auf Motorrädern die Stadt unsicher. In Bischofswerda kann auch jeder bei der Gestaltung der Schieböcke der Phantasie freien Lauf lassen. Um das Thema anzuschieben, entstand 2017 der erste Schiebock-Wettbewerb. Inzwischen hat sich die Idee in der Stadt schon fast verselbständigt. „Es freut uns, wenn immer mehr Schieböcke entstehen, vor allem auch, wenn junge Kreative, wie Annabell Wendler das Thema aufgreifen“, sagt Holm Große.

Jene junge Grafikdesign-Studentin verfolgt die Preisverleihung mit einem großen Lachen. „Es tut gut, Dinge so machen, dass man am Ende des Tages sagen kann: Das habe ich geschafft. Es verleiht mir ein Gefühl von Glückseligkeit“, sagt die Schiebockerin. Ihre Freude am künstlerischen Ausdruck legt ihr die Mutter Van Anh Wendler in die Wiege. Schon früh geht die Tochter mit ihr ins Atelier, um sich mit Farbe und Formen auszuprobieren. Nach dem Abitur ist es für die junge Frau deshalb nur folgerichtig, dass sie Studentin an der POP-Akademie der Musik- und Medienbranche in Dresden wird.

Junge Schiebocker Künstlerin geht nach Ungarn

Den Entwurf der Schieböcke aus den Hausnummern nennt Annabell Wendler einen wunderbaren Praxisauftrag. „Ich bin zuerst auf den Markt gegangen, um dort die Exemplare zu fotografieren. Anhand dieser Vorlagen habe ich dann begonnen, mit den Ziffern zu experimentieren“, sagt sie. Gute zwei Stunden hat sie die 42, 50 sowie für die Putzkauer Straße die 20 und 22 hin- und hergedreht, bis ein grafischer Schiebock entstand. An den Fassaden ist das Ergebnis seit einem guten Jahr zu sehen.

Diese Referenz will sich die junge Künstler mit ihr Portfolio nehmen. Überhaupt hat die Grafikerin Lust, ihr Handwerkszeug nach dem Ende ihres Bachelor-Studium im Sommer auszuprobieren. So will Annabell Wendler von Mai bis Juni ins ungarische Miskole Tiszai, um Grafik- und Zeichen-Workshops mit Kindern und Jugendlichen zu machen. Danach will sie aber zumindest immer mal wieder einen Abstecher nach Bischofswerda einlegen.

Schließlich hat ihr Vater schon die nächste Schiebock-Idee: „Auf dem Dach vom Bahnhof wäre noch ein perfekter Platz“, sagt er – und Außenstehende haben das Gefühl, vielleicht gibt es demnächst mal wieder eine Gestaltungsanfrage am Abendbrottisch.